- „Macht die NSA Grillabende?“
Im NSA-Untersuchungsausschuss beschrieb ein Zeuge erstmals Details der US-Massenüberwachung. Angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe war die Befragung teilweise eine Farce. Mit Tricks und Verzögerungstaktiken verhindert Schwarz-Rot die Aufklärung
Wer auf eine Aufklärung des NSA-Skandals hofft, wird sicher noch eine Weile warten müssen. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages droht sich mit dieser Aufgabe jedenfalls selbst zu behindern.
Am Donnerstag waren in den Ausschuss erstmals wichtige Zeugen aus dem US-Geheimdienst geladen: der frühere Technikchef der NSA, William Binney, und Ex-Agent Thomas Drake. Beide verließen die Agentur, weil sie nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, wie der US-Geheimdienst massenhaft unschuldige Bürger abhört, überwacht und ausspioniert. Sie informierten die Öffentlichkeit, wurden Whistleblower.
Für den Untersuchungsausschuss hatten sie einiges im Gepäck, das hatten sie beide in diversen Interviews angekündigt.
Zu viel Öffentlichkeit sollten sie allerdings nicht bekommen – vor allem keine im Bewegtbild. Die Union verhinderte nach Angaben des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele eine Fernsehübertragung aus dem Ausschuss. Dabei hätten die Zeugen selbst einem Live-Streaming zugestimmt. Auch gab es Kritik an der Platzvergabe: Journalisten hatten sich vorab um einen Sitz im Publikum bewerben müssen. Mehrere Pressevertreter wurden Twitter-Berichten zufolge abgewiesen.
Dennoch eröffnete der CDU-Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg die Sitzung mit der Feststellung: „Die Öffentlichkeit ist hergestellt.“
Und die nutzte während der mehr als fünfstündigen Befragung Binneys vor allem einer: Patrick Sensburg. Fast eine halbe Stunde lang stellt der CDU-Politiker ziellose Fragen, die er im Vorfeld des Ausschusses mit ein bisschen googeln selbst hätte beantworten können. Etwa zum Lebenslauf des Ex-NSA-Technikchefs. „Wie verlief Ihre schulische Ausbildung?“ „Wann erhielten Sie Ihren Bachelorabschluss?“ Als Binney beschrieb, wie er dem Geheimdienst beitrat, bemerkte Sensburg: „Da hatte IBM noch nicht den XT auf den Markt gebracht, oder?“ Sensburg schaute amüsiert nach rechts und links im Ausschuss, doch als niemand, auch nicht der Zeuge, reagierte, wiederholte er seinen Satz – „und auch Apple noch nicht das iPhone“. Binney, höchst geduldig: „Korrekt“.
Der 70-jährige und gehbehinderte Zeuge zeigte sich tapfer: Gleich in seinem Eingangsstatement bezeichnete er das massenhafte Datensammeln als „totalitär“. „Das ist ein sehr häßlicher Weg, den meine Regierung gegangen ist.“ Die Massenüberwachung verstoße fundamental gegen die US-Verfassung. Nach dem 11. September 2001 habe es „keine Privatsphäre mehr“ gegeben. Das Ziel der globalen Aktivitäten sei es gewesen, „alles zu sammeln, was zu kriegen ist“. Die NSA werfe nie etwas weg. „Das verletzt Bürgerrechte weltweit“, sagte William Binney, der kurz nach den Terroranschlägen und den folgenden Überwachungsmaßnahmen die Agentur verließ.
Der Geheimdienst wolle das Denken fremder Staatschefs verstehen – so erklärte Binney, warum die NSA das Handy von Angela Merkel abhörte. Er beschrieb eindrucksvoll, wie Massendaten genutzt werden, um Telefonate, E-Mails und Internetverhalten von Nutzern weltweit auszuwerten. Dass andere Geheimdienste das auch tun, davon zeigte sich Binney überzeugt: Die Hintertüren, die die NSA in diverse Softwaresysteme einbaue, seien von Hackern und anderen Regierungen mit Leichtigkeit zu knacken.
Für den Auftritt von Binney und Drake hätte es kaum keinen besseren Zeitpunkt geben können. Am Morgen war bekannt geworden, dass die NSA Deutsche, die sich vor Überwachung im Internet technisch schützen, gezielt ausspäht. Ein Erlanger Student und Entwickler des Anonymisierungsnetzwerkes Tor war demnach selbst das Ziel von Spionage, wie NDR und WDR berichteten. Die Grünen hatten sich empört gezeigt: Die Überwachung von Tor sei „skandalös und absurd“, sagte Obmann Konstantin Notz.
Unter den Zuschauern des Ausschusses waren auch Vertreter von US-Medien sowie eine Delegation des Kongresses. Für sie hat die Zeugenbefragung eine ganz besondere Bedeutung: Der Bundestag ist weltweit das einzige Parlament, das den NSA-Untersuchungsausschuss aufarbeitet.
Oder zumindest so tut.
Denn streckenweise glich Sensburgs Befragung einer Comedy. Der CDU-Mann wollte von Binney wissen: „Macht die NSA Grillabende für Familienangehörige?“ Obwohl dieser anfangs erklärt hatte, dass er 2001 die Agentur verlassen hatte, erkundigte sich der Ausschussvorsitzende dennoch, ob er Edward Snowden aus dem aktiven Dienst kenne.
Einige Journalisten schüttelten den Kopf. In einer Vernehmungspause fragte ein Reporter: „Wie viel Zeit darf der hier eigentlich verschwenden?“
Die Opposition hat in diesem Ausschuss – gemäß ihrer Fraktionsstärke – nur Mini-Redezeiten: pro Befragungsrunde je acht Minuten für Linke und Grüne.
Seit seiner Konstituierung ist der Ausschuss von Skandalen geschüttelt. Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger hatte überraschend sein Mandat als Ausschussvorsitzender zurückgelegt – weil er nicht nur über eine Befragung von Snowden reden wollte. Der Streit um eine Befragung Edward Snowdens könnte möglicherweise juristisch weitergehen. Linke und Grüne wollen gegen die Untätigkeit der schwarz-roten Ausschussmehrheit vorgehen und prüfen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.
Um kurz vor 19 Uhr unterbrach Patrick Sensburg den Ausschuss, um hinter verschlossenen Türen weiter zu tagen und eine Anhörung der Bundesregierung einzuschieben. Erst danach wollte der Ausschuss mit der Befragung des zweiten Zeugen beginnen: Ex-NSA-Mitarbeiter Thomas Drake. Bis in die Nacht hinein.
Wie praktisch für jene im Ausschuss, die Aufklärung verhindern wollen: Um diese Zeit hatten bereits viele Journalisten das Haus verlassen. Der Vorschlag, die zweite Zeugenbefragung auf den nächsten Tag zu verschieben, fand unter den Obleuten offenbar kein Gehör.
Um 19 Uhr hätte eigentlich auch ein netzpolitischer Abend der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung stattfinden sollen. Dort geladen: die beiden Zeugen William Binney, Thomas Drake, die beiden Grünen-Ausschussmitglieder von Notz und Ströbele. Sie alle saßen noch im Ausschuss fest. Ihr Termin platzte.
Darüber haben sich die Bundesregierung und die schwarz-rote Mehrheit im Ausschuss bestimmt nicht so sehr geärgert.
Update: Laut CDU-Ausschussvorsitzenden Sensburg wurde kein einziger Journalist abgewiesen. Im Saal waren auch noch Plätze frei.
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