Außenansicht von Schloss Kummerow: Weit und breit keine Menschenseele / Bernd Lasdin

Schloss in Mecklenburg-Vorpommern - Ankunft in Kummerow

Unser Autor Ralf Hanselle macht sich auf den Weg zu Schloss Kummerow und sieht sich dabei ständig erinnert an Franz Kafkas „Das Schloss“. Ruft man im Schloss an, ist da nur dieses geheimnisvolle Summen in der Leitung - und das Versprechen auf eine über 300-jährige Geschichte.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Es war spätabends, als ich ankam. Das Dorf lag im tiefen Sommergrün. Vom Schloss war nichts zu sehen. So – oder zumindest ähnlich – beginnt ein bedeutendes Stück Weltliteratur: Franz Kafkas 1922 geschriebener und leider Fragment gebliebener Roman „Das Schloss“. Es ist die Geschichte um einen angeblichen Landvermesser namens K.. Bei Einbruch der Dunkelheit strandet der in einem kleinen, ärmlichen Dorf, in dem merkwürdige Gestalten hausen. Von dort, so sein Plan, will er zu einem nahe gelegenen Schloss aufbrechen – einem mythenumwobenen Gemäuer mit unzähligen Gängen und runtergekommenen Nebengebäuden. Eine sonderbare Macht, heißt es, gehe von dem alten Kasten aus. Und so beginnt Stück für Stück das Verhängnis. Wie es weitergeht? Es entwickelt sich zu einem typischen Kafka-Stoff; zu einer Geschichte voller Versuche und voller Scheitern; stehender Sturmlauf im Schatten eines gespenstischen Herrenhauses.

Meine Geschichte ist vielleicht ähnlich; denn auch mein Schloss leuchtet weit in der Ferne. Seitdem ich hinter einem kleinen Dorf namens Leuschentin – eigentlich kaum mehr als ein verfallener Kotten und eine kleine Friedhofskapelle – nach links in eine weit gespannte Lindenallee eingebogen bin, sehe ich es hinten, fern am Horizont liegen. Und je mehr ich unter der warmen Abendsonne meinen Weg dem alten Gemäuer andiene, desto mehr, so glaube ich es zumindest noch zu Beginn, wächst das Schloss vor meinen Augen. Weiß oder gelblich scheinen seine Mauern zu sein, und rot funkelt das Dach vor dem weit ausgespannten See von Kummerow. Die Leute im Dorf haben mir erzählt, dass dieser eines der größten Binnengewässer Deutschlands sein soll; beweisen kann ich das auch heute noch nicht. 

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar
  • Ohne Abo lesen
    Mit tiun erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Cicero Plus Inhalte. Dabei zahlen Sie nur so lange Sie lesen – ganz ohne Abo.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Gerhard Schwedes | Di., 9. Juni 2020 - 07:38

Sehr schöne, träumerische Schilderung. Danke.