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Bürgerinitiative - Kämpft mit Glenn Greenwald für mehr Medienpluralismus!

Der Snowden-Enthüller Glenn Greenwald erklärte der Welt nicht nur die Machenschaften des US-Geheimdienstes. Er prangerte auch die Zustände des traditionellen Journalismusbetriebs an. Eine europäische Bürgerinitiative für mehr Medienpluralismus will seinen Kampf nun fortführen. Bis 18. August kann hier jeder mitmachen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Um ein Haar hätte eine weltweit renommierte Tageszeitung ihren größten Coup vermasselt. So gereizt war Glenn Greenwald. Der Journalist, der vor einem Jahr in einem Hongkonger Hotel Edward Snowdens Enthüllungsgehilfe wurde, hatte dem Guardian gerade seinen ersten Artikel über die NSA-Affäre geschickt. Da bremste die US-Redaktion der britischen Tageszeitung: Die Anwälte hätten erhebliche Bedenken gegen diese Story. Sie wollten sich erst einmal mit der amerikanischen Regierung abstimmen.

Glenn Greenwald war außer sich. Da hatte er sich kurz zuvor persönlich der Redaktion vorgestellt. Da hatten er und seine Recherchepartnerin, die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, den Verantwortlichen in New York erste Ausschnitte aus dem Snowden-Material gezeigt. Die beiden hatten es sogar akzeptiert, dass der Guardian ihnen einen eigenen Mitarbeiter – quasi als Aufpasser – mit nach Hongkong schickte. Das Fact-Checking dauerte Tage und beschäftigte viele. Und dann das. Der Guardian drohte vor den US-Behörden einzuknicken.

„Zerstörerische Dynamik des etablierten Journalismus“


In seinem gerade erschienenen Buch „Die globale Überwachung“, das Greenwald von Donnerstag bis Sonntag in Deutschland vorstellt, beschreibt er, wie er in diesem Moment einen Plan B entwickelte. Er wollte sein eigenes Ding drehen, eine ganz neue Webseite aufbauen. Einen Namen hatte er auch schon: NSAdisclosures.com. Der Mann, der als Blogger anfing und kurz vorm Durchbruch zum wichtigsten investigativen Reporter der Welt stand, wollte zu seinen Anfängen zurückkehren – simples HTML.

Edward Snowden hatte Greenwald ganz bewusst auserwählt. Er war ein Alleinkämpfer, ein Außenseiter. Ein bisschen wie er selbst. Vor allem aber war er unabhängig. Mit seiner eigenen Plattform hätte sich Greenwald endgültig von den marktbeherrschenden Medienorganisationen abgenabelt. Er hätte so nicht nur die Praktiken der NSA anprangern können, sondern auch das, was er als „zerstörerische Dynamik des etablierten Journalismus“ bezeichnete.

In einem Moment, da sich freie Journalisten, Netzaktivisten und klassische Medienunternehmen in Europa zu einem grenzübergreifenden Appell für mehr Pressefreiheit zusammenfinden, kommt Greenwalds packender Report wie gerufen. Er erinnert uns daran, wofür Medien eigentlich da sind. Sie sollen nachfragen, kritisieren, anecken. Sie sollen unbequem sein, unabhängig, unbestechlich. Sie sollen den Mächtigen auf die Finger schauen, und sich nicht auf deren Schoß setzen.

Die wichtigsten amerikanischen Pressehäuser aber haben in den vergangenen Jahren Letzteres getan, empört sich Greenwald. 2004 gehorchte die New York Times einem Befehl des damaligen Präsidenten George Bush: Die Zeitung unterdrückte mehr als ein Jahr lang einen Bericht über NSA-Abhöraktionen gegen US-Bürger ohne richterlichen Beschluss. Der Artikel erschien erst, als Bush längst wiedergewählt war.

2005 demonstrierte auch die Washington Post ihre Obrigkeitshörigkeit. In einem Bericht über CIA-Gefängnisse verschwieg sie die Namen betroffener Länder. So habe die Post zum Fortbestehen der weltweiten Folterstätten beigetragen, schreibt Greenwald. Er diagnostiziert einen „ängstlichen, servilen Journalismus“: US-Zeitungen räumten Regierungsaussagen regelmäßig enormen Platz ein. Offizielle Stellungnahmen erschienen dadurch glaubwürdiger. Enthüllungen würden verwässert.

Genau das fürchtete Greenwald, als er mit seinem Lebensgefährten seinen Plan ausheckte: dass auch der Guardian sich würde einschüchtern lassen.

Einseitiges Machtgefälle


Offenbar wusste er nicht, ob sich europäische Medien überhaupt von den amerikanischen unterscheiden. In Europa gibt es großartige, unabhängige Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunksender. Noch. Denn in den vergangenen Jahren sind sie zunehmend unter wirtschaftlichen Druck geraten. Greenwald mag das geahnt haben: Wo der Staat oder – wie in Osteuropa – zunehmend Oligarchen unterstützend einspringen, droht die Unabhängigkeit aufgeweicht zu werden. Aber selbst in Deutschland sind Politik und Medien aufs Engste miteinander verflochten. Die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ bezeichnete diese Beziehungen als „korruptes Netzwerk“. Das Video von Ende April wurde im Internet ein Hit. Wer so eng mit Militär und Staatsführern anbändelt, verliert zwangsläufig den kritischen Blick.

Mitunter ist das Machtgefälle sogar einseitig: Die Razzia, die der britische Geheimdienst GCHQ später beim Guardian anordnete, um dort Festplatten mit NSA-Datenmaterial zu zerstören, war für ein westliches demokratisches Land beispiellos.

Aber es gibt Hoffnung. Im Jahr der Europawahl haben sich Organisationen, Gewerkschaften und Verbände aus mehreren Mitgliedsstaaten zusammengeschlossen, um gegen diese Zustände zu kämpfen. Seit 2010 treiben sie unter dem Dach der „European Alternatives“ und der „Alliance Internationale de Journalists“ eine europaweite Abstimmung voran. Die Initiatoren fordern die Europäische Kommission auf, eine Medienpluralismus-Richtlinie zu entwickeln. Konkret wünschen sie sich Maßnahmen gegen die Eigentumskonzentration im Medienmarkt, gegen den Einfluss von Lobbygruppen, für Freiheit im Internet und mehr Unabhängigkeit von der Politik. Das Ganze soll in einem regelmäßigen Transparenzbericht und in neuen ethischen Leitlinien für Verlagshäuser münden. Wo die Medien- und Informationsfreiheit verletzt wird, soll die EU künftig direkt eingreifen dürfen. Das Magazin Cicero unterstützt all diese Forderungen.

Bitte teilen, twittern, thematisieren


Die Aktion ist zugleich ein Test für ein neues Mitbestimmungsinstrument der EU: die Europäische Bürgerinitiative, einem Gesetzgebungsprozess von unten. Damit die Petition Erfolg hat, müssen mehr als eine Million EU-Bürger in mindestens sieben Mitgliedsstaaten mitzeichnen. In Deutschland braucht es mindestens 75.000 Stimmen, die Initiatoren erhoffen sich allerdings 100.000. Dafür braucht es Unterstützer, die das Anliegen über die sozialen Netzwerke verbreiten, die es teilen, twittern, thematisieren.

Wäre das nicht ein ermutigendes Signal: Jene alternativen Kommunikationskanäle, zu denen Greenwald beinahe zurückgekehrt wäre, würden den traditionellen Medien helfen, sich auf ihre wichtigste Ursprungsaufgabe zu besinnen.

Bei Greenwald ist es am Ende noch gut gegangen. Der Guardian hat sich als standhaft erwiesen. Er brachte die NSA-Affäre ins Rollen. Ein amerikanischer Enthüller, der ein europäisches Medium auserwählte: Vielleicht war das nur der Anfang vieler weiterer guter Nachrichten aus Europa. Diesmal sind es aber nicht nur Journalisten, die dafür sorgen müssen. Sondern auch die Bürger. Bis zum 18. August können sie die Petition noch mitzeichnen.

Hier geht es zur europaweiten Online-Petition für mehr Medienpluralismus.

 

Glenn Greenwald: „Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen.“ Droemer, 2014, München 368 Seiten, 19,99 Euro.

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