- Sprachverwirrungen
Der Krimi-Autor Lenz Koppelstätter über die Weltoffenheit Südtirols und die damit einhergehenden Verständigungsversuche zwischen den unterschiedlichen Sprachen
Selbstverständlich halten wir Südtiroler uns für den Nabel der Welt. Bin ich auf Reisen, so bemerke ich indes immer wieder, dass andere Erdbewohner eigenartigerweise keine Ahnung von Südtirol haben. Sie wissen nicht einmal, wo das liegt, dieses Südtirol. Hier ein paar Gesprächsfetzen vermeintlicher Südtirol-Experten, die ich im Laufe der Jahre aufgeschnappt habe: „Südtirol? Ein Teil davon liegt in der Schweiz, einer in Italien“; „Südtirol, das ist alles nördlich von Mailand“; „Ja, das ist noch die EU, grenzt aber an Slowenien"; „Die sprechen da eine Mischung aus Latein und Französisch.“
Zur Verteidigung der hier zitierten Zeitgenossen sei gesagt, dass das mit den Sprachen nun wirklich ein wenig kompliziert bei uns ist. Manche Südtiroler sprechen deutsch, manche italienisch, ein paar wenige sogar ladinisch – offiziell. Tatsächlich aber wird in jedem der vielen verzweigten Täler Südtirols, ja in jedem Dorf, anders gesprochen. Den einen Südtiroler Dialekt? Fehlanzeige! Ich lebe zum Beispiel im Unterland, ganz im Süden Südtirols, an der Grenze zum rein italienischsprachigen Trentino. Wir Unterlandler mischen für unser Leben gern italienische Worte in unser klobiges Bauerndeutsch. Das Autokennzeichen heißt bei uns „Targa“; wenn sich jemand ständig übers Ohr hauen lässt, dann ist er ein „Sfigierter“; und die Carabinieri sind bei uns die „Karpf“. Begebe ich mich hingegen im hintersten Gsiesertal – am anderen, nördlichen Ende Südtirols, wo hinter den Bergen bereits Österreich liegt – in ein Dorfgasthaus, dann verstehe ich kein Wort von dem, was die Alten sich beim Weintrinken und Kartenspielen zuraunen.
Kein Fußball am Hang
Ich bin mit 18 Jahren weg aus Südtirol, vor zwei Jahren bin ich wiedergekommen. Vieles hat sich verändert in den fast 20 Jahren dazwischen. Südtirol ist weltoffener geworden, bunter, vielfältiger. Der Wein schmeckt besser als damals – viel besser, exzellent! –, das Essen auch. Die moderne Architektur beeindruckt, aber das Sprachenwirrwarr ist geblieben. Zum Glück! Es gibt doch nichts Schöneres.
Ich kann heute noch einen Kalterer an seiner Sprache von einem Traminer und einem Kurtatscher unterscheiden – und das, obwohl die drei Dörfer nur einen Spaziergang auseinanderliegen. „Bo uns isch dr Ball rund“, sagt der Kalterer. „Pa ins isch dr Boll rund“, sagt der Traminer. Der Kurtatscher indes sagt so etwas gar nicht. Die Kurtatscher – die Stichelei darf ich mir als Traminer erlauben – haben es nicht so mit dem Fußball. Verständlich. Kurtatsch liegt schließlich am Hang, hoch über dem Tal. Bei jedem Fehlschuss landet der Ball 100 Höhenmeter tiefer in den Apfelplantagen.
Auf die Internationalität!
Am liebsten sind mir die Aurer. Auer ist ein recht unbekanntes, aber liebenswertes Südtiroler Dorf. Es liegt nicht an der Weinstraße, nur an der Staatsstraße, was natürlich weniger schön klingt. Das ist den Aurern aber egal. Die Aurer sprechen niemals nur deutschen Dialekt oder nur italienisch – sondern meistens beides gleichzeitig. Sie wechseln in einem Satz zwischen den Sprachen gern dreimal hin und her.
In meinem letzten Südtirol-Krimi lasse ich meinen Kommissar Johann Grauner, der neben seiner Tätigkeit als Ermittler auch noch Viechbauer ist, in Auer in eine Bar gehen. „Wir Aurer sprechen alle Sprachen der Welt“, sagt ihm der Wirt und tritt sogleich den Beweis an. Er dreht sich zu zwei Chinesen, die in der hintersten Ecke seiner Bar sitzen – seitdem die 5000 Jahre alte Gletscherleiche Ötzi in Bozen im Museum liegt, kommen auch Chinesen nach Südtirol –, hält zwei Schnapsgläschen und eine Schnapsflasche hoch, stößt Gläser und Flasche aneinander, dass es klirrt. Die Augen der beiden Chinesen glänzen, sie klatschen und nicken eifrig. Der Wirt schenkt ein. Prosit! Zum Wohl! Alla salute! Chin-chin! 干杯! Ein Hoch auf die hochprozentige Völkerverständigung!
Dies ist ein Artikel aus dem Sonderheft „Südtirol“ von Cicero und Monopol.
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