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re:publica 2014/Flickr

Digitales Dilemma - Wie die re:publica 2014 die NSA in Ekstase versetzt

Heute endet die Re:publica in Berlin. Eine gute Veranstaltung, wie eh und je. Und eine, die in diesem Jahr ungewollt zum Sinnbild geworden ist. Für ein digitales Dilemma, das zwar jeder kennt, aber für das so schnell keine Lösung in Sicht ist

Autoreninfo

Christian Jakubetz, Jahrgang 1965. Stationen u.a. beim ZDF, N 24, ProSiebenSAT1 sowie bei diversen Tageszeitungen. Dozent u.a. an der Deutschen Journalistenschule in München und Lehrbeauftragter an der Universität Passau. Herausgeber des Buchs “Universalcode” (Euryclia, 2011). Seit 2006 freiberuflich tätig u.a. für das ZDF, die FAZ und die deutsche Ausgabe von “WIRED”. Blogger mit “jakblog.de”.

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In diesem Jahr also 7000. So viele Besucher sollen es gewesen sein, die die re:publica 2014 besucht haben. Man erkennt nicht nur an den nackten Zahlen, sondern auch am gewaltigen medialen Echo, dass die Veranstaltung in Berlin längst dem früheren Status des kuscheligen Nerdtreffens entwachsen ist. Heute kommen: Staatssekretäre, die die „Hochachtung“ der Politik vor der Arbeit der 7000 aussprechen. Bianca Jagger, Kai Diekmann (als Besucher) und David Hasselhoff (als eine Art Maskottchen).

Natürlich gibt es immer noch so abseitige Workshops wie den, dass man sich Sexspielzeug aus 3-D-Druckern zusammenbasteln kann, aber alles in allem ist die Veranstaltung inzwischen ein Ritual einer Community, die sich nur ungern als „Netzgemeinde“ bezeichnen lässt, dennoch aber mit diesem Begriff gut charakterisiert ist: Sie hat zumindest den Absolutheitsanspruch nicht irgendeiner, sondern der Gemeinde schlechthin. Die Selbstironie Sascha Lobos, der eine „Rede zur Lage der Nation“ hielt, war zwar immer noch selbstironisch, beinhaltet aber vermutlich etwas mehr Realität, als es Lobo und seiner Gemeinde lieb sein dürfte.

Sascha-Lobo-Rant ohne Popcorn


Das Leben im Netz und mithin auch auf der re:publica ist inzwischen ziemlich ritualisiert. Zu den Ritualen gehört auch, dass Gemeindepräsident Lobo einmal im Jahr dem Auditorium die Leviten liest und sich das Auditorium ziemlich darauf freut. Im Netz nennt man so etwas nämlich Rant und ein Rant hat immer auch etwas Unterhaltsames. Oder, wie man in Netzkreisen gerne schreibt: Ich hol schon mal das Popcorn. Popcorn ist beim diesjährigen Lobo-Rant nicht gesichtet worden, aber jede Menge Mate und Szene-Cola und der eine oder andere amüsierte Schenkelklopfer war auch dabei: Ist er nicht lustig, der Typ mit der ulkigen Frisur, der sich da jedes Jahr aufregt?

Dabei muss man Lobo nicht alles abnehmen, was er so erzählt. Wohl aber seine wachsende Verzweiflung darüber, dass er es zwar mit einer durchaus klugen Gemeinde zu tun hat, aber eben auch mit einer lethargischen. Von den letzten hundert Kolumnen Lobos haben sich gefühlte 99 mit dem Thema digitale Überwachung auseinandergesetzt. Mit dem Ergebnis, dass man inzwischen auch in der Netzgemeinde schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, wenn die Kanzlerin mal wieder beim US-Präsidenten vorstellig wird und über das Thema eines No-Spy-Abkommens nicht mal mehr geredet wird. Ist halt so und momentan hat man mit dem Herrn Putin ja auch wirklich Wichtigeres zu tun als das Bedürfnis nach Privatheit von ein paar digitalen Spinnern. Die im Übrigen ja auch sagenhaft inkonsequent sind: Schreien den ganzen Tag nach Freiheit und Selbstbestimmtheit und sondern dann während ihres dreitägigen Klassentreffens so viele digitale Spuren ab, dass die NSA vermutlich in einen ekstatischen Sinnesrausch geraten ist.

Trotzdem blieb dann auch bei der re:publica im Jahr eins nach Snowden unverkennbar, dass es selbst dem größten Digital-Euphoriker inzwischen dämmert: Digitale Technologien bringen es mit sich, dass sie immer und überall in beide Richtungen ausschlagen können. Alles, wirklich alles, was digital ist, ist Fluch und Segen zugleich. Nichts, aber auch gar nichts, kann nicht genau das Gegenteil dessen bewirken, was eigentlich im Sinne des Erfinders war. Der skeptische Grundton kam fast überall durch, wo in diesem Jahr #rp14 draufstand. Und er ist nicht neu, dieser Ton: Präsident Lobo beklagte schon vor Monaten in der FAZ, das Internet sei kaputt. Auch ruhigere Zeitgenossen wie Markus Beckedahl fordern allerdings schon seit Monaten, man müsse sich das Netz zurückerobern, weil es ganz offensichtlich in die falschen Hände geraten ist. Müsste man, ja. Ganz sicher. Aber, ach Gott, was man nicht alles müsste.

Was alles natürlich noch nicht die alles entscheidende Frage beantwortet: Was bringt eine riesige Zahl offensichtlich vernunftbegabter, intelligenter und die Dinge durchaus durchschauende Menschen dazu, regelmäßig Dinge zu tun, von denen sie wissen (oder zumindest: wissen müssten), dass sie nicht gut für sie sind? Beginnend im Kleinen und noch lange nicht endend im Großen, ist das Verhalten des aufgeklärten Digitalmenschen von einem verblüffenden Widerspruch. Im Kleinen weiß man seit einigen Studien beispielsweise, dass Facebook schlechte Laune macht. Warum nutzen wir dann dennoch eine unsympathische, schlechte Laune machende Datenkrake eines Großkonzerns, wenn wir davon nicht mal gute Laune kriegen? Warum wissen wir alle von den Tücken unsicherer Daten, die von Geheimdiensten in unvorstellbaren Mengen ausgelesen werden – und mailen weiterhin unverdrossen unverschlüsselt vor uns hin und liefern unsere Daten bei den bekennenden Datenkraken ab?

Digitale Überforderung, die in Notwehr umschlägt


Wie wir ja überhaupt schon seit Anbeginn unserer digitalen Tage erstaunliche Dinge tun: Noch nie waren unsere Möglichkeiten, unsere Angebote in jeder Hinsicht derart überwältigend groß wie in den Tagen des Netzes. Und gleichzeitig ist mit der Größe der Angebote auch die fatale Neigung gewachsen, in diese unüberschaubare Masse ein paar Pflöcke einzuschlagen, Pflöcke im Sinne von Oligopolen. Angesichts dessen, welche Möglichkeiten es gäbe, im Internet zu suchen, mit Menschen zu kommunizieren, Bücher zu bestellen oder Nachrichten zu lesen, ist das, was wir tatsächlich nutzen, lächerlich gering.

Dabei gibt es auf dieses scheinbar paradoxe Verhalten eine vergleichsweise simple Antwort: digitale Überforderung, die wiederum eine Art psychologische Notwehr auslöst, wie es der Kommunikationswissenschaftler Bernard Pörksen ausdrückt. Notwehr gegen Massen und Vorgänge, über die wir längst jeglichen Überblick verloren haben und deren Ausmaße wir zwar theoretisch absehen, aber tatsächlich nicht mehr begreifen können. Weswegen wir lieber weiter machen wie eh und je, es lebt sich ja auch ganz kuschelig inmitten von kostenlosen Angeboten, grenzenloser Kommunikation, ständig verfügbaren Nachrichten und einer in Echtzeit existierenden virtuellen Parallelwelt. Einer Welt, in der nichts so richtig wehtut, nicht mal ein Rant.

Die re:publica 2014 war insofern ein Sinnbild dieser Entwicklung: Das digitale Leben ist irgendwo in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aus 700 wurden 7000 und selbst ein, ähm, „Nachrichtensender“ wie n-tv lässt News der Veranstaltung schon mal durch seinen Ticker laufen. Es waren wie immer brillante Vorträge dabei und manchmal auch solche, die man eher belächelt, aber das ist schon ok so. Das Wetter war prima und am Ende haben sich alle wieder gefreut auf die Veranstaltung im kommenden Jahr. Erzeugt haben die 7000 wieder immense Datenmengen. Die am anderen Ende der Leitung werden sich gefreut haben. Man hat den Unmut und Skepsis formuliert, aber natürlich keine Lösung gefunden. Wie auch?

Vielleicht sind die auf der anderen und der dunklen Seite der Macht viel zu groß dafür.

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