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EuGH-Urteil - Warum die SPD die Datenspeicherung nicht aufhalten wird

Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung abserviert. SPD-Justizminister Maas freut es, CDU-Innenminister de Maizière juckt es nicht: Er pocht trotzdem auf eine Regelung. Die SPD wird ihn dabei kaum aufhalten können. Ein Kommentar

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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An dieser Stelle muss der FDP einmal gedankt sein. Ja, sie wurde vom Wähler vielleicht nicht völlig zu Unrecht aus dem Bundestag verbannt. Aber sie hat verhindert, dass es in der Bundesrepublik die Vorratsdatenspeicherung gibt. Deutschland ist keines jener Länder, die die Grundrechte ihrer Bürger von Staats wegen aushöhlen. Der Europäische Gerichtshof hat die entsprechende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung am heutigen Dienstag in der Luft zerrissen. Die Überwachung sei unverhältnismäßig, urteilten die Richter. Mit seiner strengen Entscheidung ging das Gericht sogar noch über den Antrag des Generalanwaltes hinaus, der die Datenspeicherung bereits im Dezember für rechtswidrig erklärt hatte.

Wir erinnern uns: In der schwarz-gelben Koalition musste sich die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vier Jahre lang den Spott ihrer Kabinettskollegen von der Union anhören – unter anderem, weil sie Strafzahlungen aus Brüssel provoziert hatte. Wie richtig sie damals lag, sehen wir heute.

Vorratsdatenspeicherung freut die NSA


SPD-Justizminister Heiko Maas war in die Fußstapfen seiner Amtsvorgängerin getreten, als er den Beschluss der Großen Koalition, die Vorratsdatenspeicherung schnell umzusetzen, erst einmal auf Eis legte. Und auf das Gerichtsurteil wartete. Jetzt sieht Maas keinen Anlass mehr, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen: „Die Grundlage für die Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist entfallen.“ Es bestehe daher kein Anlass mehr, schnell einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Der Richterspruch könnte also eine gute Nachricht sein für die Menschen in der EU, deren Verbindungsdaten tagtäglich von den Geheimdiensten abgegriffen werden. Die Speicherpraxis ist ein wesentlicher Teil der NSA-Spionageprogramme, wie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in einer Stellungnahme warnt.

So sehr Bürgerrechtler das Urteil feiern – der Jubel könnte ihnen schon bald im Hals stecken bleiben. Denn tatsächlich hat der Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung nicht komplett verboten. Im Gegenteil: In der Urteilsbegründung heißt es zum Beispiel, dass die Vorratsdatenspeicherung „eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung“ darstelle (Absatz 44). An anderer Stelle ist von einem nützlichen Mittel für strafrechtliche Ermittlungen die Rede (Absatz 49).

„Feiertag für das organisierte Verbrechen“


Bundesinnenminister Thomas de Maizière sieht daher keinen Grund zur Beunruhigung. Auch wenn die Richtlinie selbst aufgehoben wurde, habe der Europäische Gerichtshof das Instrument für verfassungsrechtlich und europarechtlich zulässig erklärt. De Maizière forderte daher die schnelle Einführung von – wie er sie nennt – Mindestspeicherfristen: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung.“ Der Minister zeigte sich überzeugt, dass die schwarz-rote Koalitionsvereinbarung dem Urteil standhalten könne.

Am liebsten würde er Telekommunikationsunternehmen zwingen, die Verbindungsdaten ihrer Kunden vorzuhalten. „Und dann soll der Staat nur zur Verfolgung schwerer Straftaten und nur dann, wenn ein Richter das zugelassen hat, darauf zugreifen dürfen“, sagte er in einem Interview im Januar.

Aus Sicht von Kritikern würde damit trotzdem das Rechtsstaatprinzip umgekehrt: Statt erst zu einem Richter zu gehen und dann mit der Datensammlung möglicher Straftäter zu beginnen, würden die Daten schon im Voraus bei Privatfirmen gespeichert. So würden pauschal alle Bürger zu Verdächtigen.

Nicht einmal Bundesdatenschützerin Andrea Voßhoff – übrigens auch CDU-Mitglied und eine erklärte Befürworterin der Speicherpraxis – würde sich den Plänen ihres Dienstherren de Maizière in den Weg stellen. Sie rief den europäischen Gesetzgeber auf, zu prüfen, „ob und wie eine europarechtskonforme Neuregelung der Richtlinie erfolgen soll“.

Der Konflikt, den Maas und de Maizière vorläufig abgeräumt hatten, ist damit wieder voll entbrannt. Auf den Hinterbänken liefern sich Christ- und Sozialdemokraten bereits Scharmützel: Der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz schrieb bei Twitter, das Urteil sei wie ein Feiertag für das organisierte Verbrechen. SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil empörte sich prompt und schrieb, „so denkt die CDU über Gerichtsurteile!!!!!“

Sollte die Union ihre Drohungen nun wahr machen und ungeachtet des Zwischenrufs aus Luxemburg auf einen neuen Entwurf für die Vorratsdatenspeicherung drängen, könnte es gut sein, dass sich die Hardliner durchsetzen.

Dies hängt auch mit den Machtverhältnissen in Brüssel zusammen. Zwar hatten Europaparlament und Kommission bereits vor dem Richterspruch eine partielle Änderung der EU-Richtlinie angemahnt. Doch beide Institutionen werden für die nächsten sieben Wochen wegen des Europawahlkampfs lahmgelegt. Ob die Überwachungsgegner in dieser Zeit überhaupt noch etwas durchsetzen können, ist fraglich. Zudem könnten nach der Wahl auch deutlich mehr rechte und konservative Kräfte im neuen Europaparlament vertreten sein – und damit mehr Befürworter der umstrittenen Datenspeicherung.

Spitzenkandidat Juncker nur Merkels Schoßhündchen


Entscheidender aber könnte die Haltung des Europäischen Rates werden. Der Zusammenschluss von Staats- und Regierungschefs ist die eigentliche Machtzentrale der Europäischen Union. Und dort ist der Ruf nach der Vorratsdatenspeicherung besonders laut: Die Mehrzahl der EU-Mitgliedsländer hatte die umstrittene Richtlinie bereits in nationales Recht umgesetzt, bevor sie vom EuGH geprüft wurde. Und die Datenschutzrichtlinie, die das Europaparlament vor einem Monat verabschiedet hat, blockiert der Ministerrat bislang.

Auf dem Europaparteitag der CDU am Wochenende konnte man darüber hinaus erahnen, wer tatsächlich die Fäden in der EU in der Hand hält: die deutsche Regierungschefin, nicht der Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten. Der Parteitag war ganz auf Angela Merkel ausgerichtet, EVP-Mann Jean-Claude Juncker wirkte neben ihr eher wie ein Schoßhündchen.

Die Vorratsdatenspeicherung wird zum Blutzoll


Wenn Merkel will, kann sie sich also durchsetzen. Und da bekommt die SPD das Problem. Die Sozialdemokraten nämlich haben in der Großen Koalition bislang ein solches Tempo vorgelegt, dass die Union wie blamiert danebensteht. Die großen Reformprojekte gehen auf das Konto der Genossen. Der Mindestlohn: erzwungen. Die Rente mit 63: durchgeboxt. Die doppelte Staatsbürgerschaft: ertrotzt. Die Optionspflicht: geschliffen. Jede dieser Kröten haben CDU und CSU geschluckt – die Rente mit 63 hat Merkel sogar noch richtig Ärger in ihren eigenen Reihen eingebracht. Das Verhältnis zwischen den Koalitionären ist zudem durch die Edathy-Affäre belastet: Bis heute haben es viele in der Union nicht verziehen, dass ein CSU-Minister (Hans-Peter Friedrich) wegen eines SPD-Fehltritts über die Klippe springen musste.

Was das alles für die Vorratsdatenspeicherung heißt? Nichts Gutes. Die Union könnte bald einen Blutzoll von ihrem Bündnispartner einfordern. Und warum nicht einen, der der SPD nicht einmal sonderlich schmerzt? Schließlich war die Vorratsdatenspeicherung für Sigmar Gabriel allenfalls Verhandlungsmasse, die er in den Koalitionsverhandlungen bereitwillig opferte. SPD-Innenpolitiker sprechen sich schon lange für ein solches Instrument aus. Zudem gibt es einen Parteitagsbeschluss, der sich für eine eingehegte Fristenregelung ausspricht. Dass sich die Genossen doch noch zu einer Einigung mit der Union durchringen, dafür könnte auch sprechen, dass sich viele junge, digital affine SPD-Mitglieder sowieso längst von ihrer Partei abgewandt haben.

SPD-Justizminister Maas kann noch so oft beteuern, dass es mit ihm keine Datenspeicherung geben wird. Eine Leutheusser-Schnarrenberger ist er nicht – und eine FDP hat er auch nicht hinter sich. Denn die SPD hat sich mit der Vorratsdatenspeicherung in Wahrheit längst abgefunden.

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