Alain Finkielkraut
Auf offener Straße wurde Alain Finkielkraut als „Scheiß-Zionist“ , „Rassist“ und „Faschist“ beschimpft / picture alliance

Wuchernder Antisemitismus - Hinter dem Vorhang

Das Beispiel der Attacke gegen den französischen Philosophen Alain Finkielkraut verdeutlicht: Der Antisemitismus zeigt wieder offen seine Fratze. Wie in den dreißiger Jahren kam er nicht über Nacht. Warum schauen wir wieder nur zu?

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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In Paris wurde der französische Philosoph Alain Finkielkraut in Paris von demonstrierenden Gelbwesten bedrängt und – unter anderem – als „dreckiger Zionist“ beschimpft.

Der jüdische Denker interpretiert den Übergriff als Ausdruck eines „neuen Antisemitismus“, der sich «als Antirassismus ausgibt» und den man „nicht im Lexikon des traditionellen Antisemitismus nachlesen kann“. Weiter sagte er im Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit: „Ich habe niemanden ‚dreckiger Jude‘ rufen hören. Stattdessen hieß es: ‚Scheiß-Zionist‘, ‚Rassist‘, ‚Faschist‘, ‚Palästina, Palästina‘. Einer der aufdringlichsten Demonstranten zeigte seine muslimische Kopfbedeckung und sagte, Gott werde mich bestrafen, denn ‚Frankreich gehört uns‘.“

Finkielkraut: „Antisemitismus im Namen der Unterdrückten“

Der Interviewer der Zeit war bemüht, sein journalistisches Plansoll an politischer Korrektheit zu erfüllen, indem er dem Mitglied der Académie française suggerierte: „Waren es nicht doch ganz normale Leute, die sich plötzlich als Antisemiten entpuppten, so wie früher in Deutschland?“

Finkielkrauts Antwort: „Nein. Wir befinden uns nicht auf dem Rückweg in die dreißiger Jahre. Wir erleben einen anderen Antisemitismus, der umso gefährlicher ist, weil er sich nicht anklagen lässt. Denn er kommt im Namen der Unterdrückten, der Entrechteten und der leidenden Menschheit daher.“

Wie es scheint, wird der Schulterschluss zwischen Islamisten und drittweltseligen Linken, die ihren Hass auf die westlich-kapitalistische Zivilisation, vor allem auf Israel und die USA gemeinsam ausleben, neuerdings durch Gelbwesten aus dem rechtsextremen Milieu ergänzt – die aktuelle antisemitische Giftmischung.

Juden in Frankreich müssen ihr Wohnviertel mit größter Vorsicht wählen, ebenso die Schulen für ihre Kinder, sogar deren Schulweg. Der jüdische Alltag ist gefährlich.

Jude sein heißt wieder, auf der Hut zu sein. Nur in Frankreich?

Das Tabu ist gebrochen

Drei Generationen nach dem Holocaust erwacht in Europa ein Ungeheuer, das für immer gebannt schien. Das Tabu ist gebrochen: Der Antisemitismus zeigt offen seine Fratze, auf der Straße und natürlich online.

In deutschen Städten sind vor Wohnhäusern kleine quadratische Gedenktafeln aus glänzendem Messing ins Pflaster eingelassen: Die Inschriften der sogenannten Stolpersteine erinnern an deportierte und ermordete jüdische Bürger, die von den Nazis aus ihren Wohnungen geholt worden waren oder sich nach behördlicher Anordnung auf den Weg zur Sammelstelle gemacht hatten, von wo aus sie – in Vieh- und Güterwaggons – ihre Todesfahrt ins Vernichtungslager antraten.

Was dachten damals die nicht jüdischen Mitbewohner, wenn sie – hinter dem Vorhang verborgen – diese Nachbarn beim Verlassen ihres Hauses beobachteten? Dachten sie an ihre eigene Mitschuld? An ihre Begeisterung für die Nazis? Daran, dass sie auf jeden Widerstand gegen den Antisemitismus verzichtet hatten, als dieser noch möglich gewesen wäre?

Schämten sie sich?

2015 brachte Schub für geduldeten Judenhass

Schämen wir uns heute, wenn wir schulterzuckend hinnehmen, dass islamistische Migranten ihren Judenhass herausbrüllen? Schämen wir uns heute, wenn wir linken Israelhass hochloben zum Einsatz für die Rechte der Palästinenser? Schämen wir uns heute, wenn wir den rechtsextremen Antisemitismus als Phänomen einiger Ewiggestriger verharmlosen?

Der neue Antisemitismus kam nicht über Nacht. Nicht in Frankreich, nicht anderswo. Er wuchert seit Jahren. 2015 erfuhr er einen Schub mit der grobfahrlässigen Öffnung der deutschen Grenzen durch Kanzlerin Angela Merkel. Seither genießt vor allem der Judenhass der muslimischen Migranten die Duldung durch eine Phalanx liberaler, linker und grüner Politiker – und vieler gleichgesinnter Journalisten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellt fest, verantwortlich für die „beispiellose Wiederkehr des Antisemitismus“ sei „der radikale Islamismus“. Nun ruft der Präsident zur „republikanischen Wiedereroberung“ der islamisierten Wohnviertel auf.

Der Kampf gegen die Brandstifter als Krieg im eigenen Land?

Wir schauen zu

Ja, so weit ist es mit Frankreich gekommen. Joël Mergui, ehemaliger Präsident des jüdischen Zentralkonsistoriums, sagt weshalb: „Aus Angst zu stigmatisieren hat Frankreich den Kampf gegen den Islamismus verloren.“

Was aber ist das Resultat, wenn der Strom des Antisemitismus weiter anschwillt, wenn er mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger mitreißt – als Mitmacher, Mitfeixer, Mitbrüller? Ja, was ist dann?

Dann wird Faschismus sein, zu dessen Vorboten die Hetze gegen Juden schon einmal gehörte – heute ein Faschismus islamischer, linker und klassisch-rechtsextremer Prägung.

Und wir schauen zu.

Hinter dem Vorhang.

Dieser Text erschien zuerst im Schweizer Sonntagsblick

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Dorothee.Sehrt-Irrek | Do., 28. Februar 2019 - 13:46

Dennoch halte ich diesen neuen Antisemitismus in Deutschland nicht für möglich.
Merkels Agieren mag unvorsichtig und überhastet gewesen sein, aber der Islamismus wird in Deutschland nie siegen.
Er ist meines Erachtens zu rückständig.
Israel ist etwas, das Araber evtl. ersteinmal begreifen müssen.
Dazu gibt es keine Alternative, davon gehe ich aus.
Also warum nicht dazulernen wollen?
Fordert ein sagen wir "globaler Islam" nicht in gewisser Weise Intertextualität mit anderen Religionen ein?
Aber wie lange hat das beim Christentum gedauert?

Aus dem Islam importierter Antisemitismus:
Zu erinnern ist explizit an die Palästinenser-Demos in Berlin und Frankfurt, wo ungestraft von "Demonstranten" skandiert wurde: "Hamas, Hamas, Juden ins Gas!"
Und im arabischen Kinderfernsehen, was auch in Deutschland von hier lebenden Arabern (und deren Kindern) gesehen wird:
"Eine Biene namens Nahul hat es sich in einem Sessel bequem gemacht und telefoniert mit einem kleinen Jungen. Stofftiere und knallbunte Kulissen sorgen für eine Atmosphäre wie bei einer Geburtstagsfeier. "Sag, mein Freund: Sind Juden in deiner Nähe?" "Nein, im Moment nicht." ..."Wenn sie kommen: schlag sie. Mach ihr Gesicht rot wie eine Tomate." Dann wendet sich die Person im knuffig schwarz-gelben Bienenkostüm - einer junge Moderatorin - einem etwa fünfjährigen Kind im Studio zu, das Polizist werden will wie sein Onkel. "Was macht ein Polizist?", fragt die Moderatorin. "Er fängt Diebe ... und er erschießt Juden... "- "Gut", sagt die Moderatorin!

gerhard hellriegel | Do., 28. Februar 2019 - 14:23

Ich behaupte, dass der Antisemitismus in der indigenen deutschen Bevölkerung NICHT zugenommen hat.
Aber zwei Entwicklungen sind plausibel:
1. die Kritik an der israelischen Politik hat sicher zugenommen. Wer behauptet, das sei Antisemitismus, der instrumentalisiert den Antisemitismus selbst.
2. durch soziale Medien, Internet, kommen jetzt auch antisemitische Haltungen ans Tageslicht, die vorher durch die systemische Zensur verborgen waren. Die Idee, es gäbe keinen Antisemitismus, nur weil man ihn nicht sieht, entlarvt sich damit als Fake.
3. Es gibt aber den muslimischen Antisemitismus. Seine Quellen sind zum einen der Islam, Religionen tendieren immer dazu, sich selbst zu verabsolutieren und andere zu diffamieren, zum anderen die sowohl säkularen als auch muslimischen Staatsdoktrinen, die den Nahost-Konflikt propagandistisch instrumentalisieren.

Karla Vetter | Do., 28. Februar 2019 - 19:54

Antwort auf von gerhard hellriegel

" Wer Israelkritik als Antisemitismus bezeichnet instrumentalsiert ihn ",so Ihr Beitrag Herr Hellriegel. Seltsam ist ,dass es k e i n Land außer Israel gibt dessen Landesbezeichnung feststehend mit dem Wort Kritik verbunden wird .Oder kennen Sie Italienkritik oder Indienkritik ?Es scheint nur ein Land auf dieser Welt zu geben das kritikwürdig ist. Es gibt so etwas wie einen sekundären Antisemitismus, definiert mit den drei D : Doppelstandard,Israel wird für Dinge kritisiert die sonst nicht interessieren (deswegen gibt es ja auch nur Palästina und keine Zypern- oder Kaschmirkomitees) :Delegitimation -alle Länder sind legitim von der marokkobesetzten Westsahara bis Nordzypern-nur Israel nicht . Dämonisierung ,dazu empfehle ich das Buch die" UN gegen Israel". Ich schlage vor wir halten uns in Deutschland einfach mal 100 Jahre zurück was die Juden betrifft, nach dem wir sie 1000Jahre, vom Mittelalter bis zum 3. Reich vertreiben(Juden ab nach Palästina) und ermordet haben.

Gerhard Lenz | Do., 28. Februar 2019 - 23:38

Antwort auf von gerhard hellriegel

Wie können Sie argumentieren, ein Antisemitismus, der zuvor - da gebe ich Ihnen recht - gar nicht oder kaum sichtbar war, habe nicht zugenommen? Ein solches Argument ist in sich schon nicht schlüssig, lässt sich doch das Ausmaß des (zuvor nicht sichtbaren) Antisemitismus gar nicht einschätzen.
Mehr noch: Antisemitismus erstarkt europaweit (wenn nicht weltweit), nur in Deutschland nicht? Eher ist es wohl so, dass das Auftauchen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien auch dem Antisemitismus Auftrieb gegeben hat, oftmals verborgen hinter Kritik am Staat Israel oder der angeglichen Zurückweisung der "Political Correctness".
Natürlich gibt es den hässlichen, islamisch begründeten Antisemitismus, auch bei uns. Alle Statistiken besagen aber, dass die meisten antisemitistischer Vergehen - darunter natürlich viele verbaler Art - von Deutschen des rechtsextremen Spektrums begangen wurden. Verschweigen oder Leugnen hilft niemandem.

Petra Führmann | Do., 28. Februar 2019 - 15:00

Behauptungen aufgestellt, aber man darf nicht antworten, also lasse ich es. Dann muss man vielleicht auch nicht mehr fragen, wenn man nicht hören will, was die Leute denken.
Persönlich habe ich noch nirgends Antisemitismus vernommen, nichts gehört, es ist seit vielen Jahren ruhig. Wenn man gegen jemanden etwas hat, dann sind es Muslime, aber die wollen wir hier (und in Frankreich) ja gern haben. Seine Herkunft kann niemand verändern, aber seine Überzeugungen. Und ich bin seit Jahren überzeugter Atheist. Wären das alle, gäbe es all diese hausgemachten Probleme nicht, dann wären es vielleicht ethnische oder territoriale oder finanzielle oder ideologische Gründe. Aber Gründe für Ablehnung, Ausgrenzung, Angriffe wird es immer geben.
Meine Frage an Herrn Meyer: "Wir schauen zu... " Was konkret sollte denn geschehen? Verbote werden es nicht regeln, bestenfalls Aufklärung und Umdenken. Das ist genau so wenig zu erwarten wie das Verschwinden aller anderen Ursachen.

Weil in Deutschland der Antisemitismus der Linken verschwiegen, der islamische Juden-Hass verharmlost wird, muss es wieder erklärt werden.
Juden werden nach 1945 weltweit besonders in der arabisch-islamischen Welt verfolgt und ermordet. Und: die RAF arbeitete mit dem MfS der DDR (Stasi), aber auch mit den linken Terror-Palästinensern eng zusammen. Bis heute fühlen sich diese „Genossen“ auf´s Innigste verbunden.
Merkel-Regierung: Warum holt man die Hauptfeinde der Juden aus dem Islam millionenfach nach Deutschland, wenn man weiß, was die tun werden? Und dann gibt man vor, judenfreundlich zu sein und Antisemitismus zu ächten …. Das ist gelogen und scheinheilig: wer aus dem Islam den neuen Juden-Hass importiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, selbst ein Antisemit zu sein!
Übrigens: der Antisemitismus der Linken in Deutschland wird bewusst verschwiegen … ! Und der Judenhass der Islam-Fanatiker in Deutschland wird mit Fleiß heruntergespielt: soviel zum Rassismus in Deutschland!

über das, was Sie liebe Frau Führmann als "hausgemacht" bezeichnen, mochte und möchte man bis heute nichts hören und sehen. Erinnern Sie sich noch an den shit-storm, der über den inzwischen leider von uns gegangenen bekanntesten Deutschen mit Wahlheimat Frankreich Karl Lagerfeld hereinbrach? Bester Kenner beider Kulturen und völlig unverdächtig was "mangelnde Weltoffenheit", Rassismus oder die sonst üblichen Unterstellungen betrifft und dieses oder ähnliche Themen angeht. Was konkret sollte geschehen? Als allererstes sollten wir und unsere jüdischen Mitbürger allen feindselig gesinnten ob von innen oder von außen kommend klar machen, wie da die von uns aufgestellten Spielregeln lauten. ALLE müssen damit aufhören Dinge und Probleme aus Rücksicht und Angst vor vorgefertigten Mainstream Fettnäpfen, NICHT zu benennen! Ich glaube, im Jüdischen nennt man es Tacheles reden? Ansonsten gebe ich Ihnen recht! Wir (er)finden immer einen Grund uns ganz humanistisch die Köpfe einzuschlagen. LG

Haben Sie nichts gehört von den lauten Rufen „ Hamas Hamas,Juden ins Gas“,“Kindermörder Israel“,nichts gesehen von den verbrannten Israel—Fahnen auf Straßen in mehreren Städten unseres Landes? Das geschah ganz offen,unter den Augen der Polizei,die——was?——tat? Und daß Juden in manchen Stadtvierteln auf Kippa und Stern—Kettchen verzichten aus Angst vor gewalttätigen muslimischen jungen Männern? Nie gehört? Wo leben Sie?

Christine Weiske | Do., 28. Februar 2019 - 18:45

Leider kann ich den latenten und auch offenen Antisemitismus in der kleinbürgerlichen Mitte bestätigen. Er kommt in diesem Milieu (fast) ausschließlich als Anti-Israel-Kritik daher. Der Umgang mit den Palästinensern wird ohne Zögern mit dem Handeln der Nazis gleichgesetzt. Differenzierte Gespräche sind kaum möglich.

gabriele bondzio | Fr., 1. März 2019 - 09:33

der umso gefährlicher ist, weil er sich nicht anklagen lässt. "... auch unser Geheimdienst ignoriert offenkundigen Antisemitismus von anderer Seite.In den Moscheen wird gegen unsere Rechtsordnung, gegen Juden und Christen gehetzt. "Jude sein heißt wieder, auf der Hut zu sein. Nur in Frankreich?" ist wohl ein Wunschdenken. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist der Proviteur solcher Ausschreitungen. Die man aber provoziert hat, in dem man den kleinen Mann im Stich gelassen und die Länder mit Migranten, sozusagen zugestopft hat.
Man hat zu bereits vorhandenen großflächigen Problemen, neue hinzugefügt.
Finkielkraut, wurde-wie ich gelesen habe bei ET: "antisemitischen Pöbeleien ausgesetzt. Es mehrten sich zwar in weiterer Folge Hinweise dahingehend, dass der Verantwortliche ein radikaler pro-palästinensischer Islamist war" und solche nutzen halt auch die Gunst der Stunde.

Maria Fischer | Fr., 1. März 2019 - 10:57

danke Cicero für diesen Artikel und für Ihren unermüdlichen Einsatz, diese entsetzliche Entwicklung in Europa und insbesondere in Deutschland und Frankreich immer wieder zu thematisieren.
Ebenso agiert die WELT und NZZ. Ich war überrascht aber dankbar, dass die ZEIT ebenfalls ein Artikel dazu veröffentlicht hat.
Wer die ständige Anti-Israel Propaganda und den „neuen Antisemitismus“in Deutschland nicht sieht, ist blind oder schaut gekonnt weg.
Ich wohne in Paris in unmittelbarer Nähe von Alain Finkielkraut.
Ich kann kaum zum Ausdruck bringen, wie entsetzt ich über die verantwortungslose Politik von Frau Merkel und ihrer Profiteure bin.
„Wenn wir diese Leute gefragt haben, warum sie solange mitgemacht haben, sagten sie: Weil sie hätten Schlimmeres verhüten wollen, und wenn wir sie fragten, warum alles so schlimm gekommen ist, dann sagten sie: Sie hätten keine Macht gehabt. Hier hebt sich wirklich alles auf und die Apologie wird zur Ausrede. Funktionäre ohne Skrupel.“ J.Fest 1964