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Christian Wulff - Ein Freispruch ohne Wert

Vom Landgericht Hannover wurde Christian Wulff entlastet, in der Öffentlichkeit hat der Ex-Bundespräsident weiter einen schweren Stand. Viele Journalisten haben sich auf seine Kosten von jeder Schuld für eine beispiellose mediale Hetzjagd exkulpiert. Ein Kommentar

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Freispruch für den Angeklagten. Der Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff endete, wie es zu erwarten war. Der Vorwurf der Vorteilsannahme aus seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident ist vom Tisch. Christian Wulff sieht sich durch das Urteil rehabilitiert. Juristisch ist die Affäre damit abgeschlossen. Kaum zu glauben, dass die Staatsanwaltschaft nach diesem Fiasko in Revision gehen wird.

Endlich hat die Affäre Wulff damit einen Schuldigen: die Staatsanwaltschaft Hannover im Allgemeinen, Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer im Besonderen. Die Medien sind sich einig: Der Prozess um 720 Euro und den Ausflug mit dem Filmunternehmer Groenewold auf das Oktoberfest 2008 hätte nie stattfinden dürfen, die Ermittler hätten völlig das Maß verloren. Zwei Jahre und zwei Monate, nachdem die Bild-Zeitung im Zusammenhang mit der Finanzierung seines Hauses erstmals massive Vorwürfe gegen den damaligen Bundespräsidenten erhoben hatte, findet die Aufarbeitung der Wulff-Affäre nun ein vorläufiges Ende.

Wie viel der juristische Erfolg für Christian Wulff allerdings tatsächlich wert ist, das muss sich erst noch erweisen. Denn der eigentliche Prozess gegen Christian Wulff findet seit zwei Jahren in den Medien, in den sozialen Netzwerken im Internet und in der politisch interessierten Öffentlichkeit statt. Die Schlacht um die Deutungshoheit im Fall Wulff tobt weiter – auch wenn neue Argumente nur sehr selten zu hören sind, neue Fakten schon lange nicht mehr veröffentlicht werden. Doch in dieser Schlacht befindet sich Wulff weiterhin in der Defensive, vor der Öffentlichkeit hat es der Ex-Präsident längst nicht so einfach wie vor Gericht.

Medien spielen ihre eigene Verantwortung herunter


Denn die Pharisäer in den Redaktionsstuben und Parteibüros haben sich längst exkulpiert, auf Kosten von Christian Wulff. Journalistische Selbstkritik gab es allenfalls in Maßen. Und um die eigene Verantwortung im Fall Wulff herunterzuspielen, verweisen Journalisten stattdessen unermüdlich auf die fragwürdige Nähe des niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff zu Lobbyisten und Wirtschaftsmanagern. Auf die vielen Ungereimtheiten bei der Finanzierung seines Privathauses oder eine fragwürdige Sponsorensuche.

Dabei hat keiner dieser Vorwürfe die massive Skandalisierung des Falls gerechtfertigt. Keiner dieser Vorwürfe wog so schwer, dass es gerechtfertigt gewesen wäre, ihn aus dem Amt zu treiben. Warum Deutschland vor zwei Jahren am Rande einer Staatskrise stand, lässt sich kaum noch nachvollziehen. Weil viele Journalisten dies zumindest ahnen, verweisen sie zusätzlich noch darauf, dass sich Christian Wulff in der Affäre schließlich ziemlich schlecht verteidigt habe und blenden dabei Ursache und Wirkung aus. Zudem stellen sie gerne fest, der Bundespräsident Wulff sei dem hohen Amt nicht gewachsen gewesen. Der Überzeugung kann man sein, aber auch das hat mit den ursprünglichen Vorwürfen überhaupt nichts zu tun.

Dass auch Medien in der Wulff-Affäre vor zwei Jahren völlig das Maß verloren hatten, davon ist in diesen Tagen hingegen kaum die Rede. Konstruierte Vorwürfe? Geschichte? Die Hetzjagd? Vergessen. Die niederträchtigen Gerüchte gegen seine Ehefrau? Verdrängt. Dass der Blutrausch der Medien der Demokratie Schaden zufügt, wollen sie nicht wahrhaben. Hinzu kommt, auch viele Parteifreunde von Christian Wulff sich nicht mehr so gerne daran erinnern wollen, dass sie ihn bereits fallen gelassen hatten, lange bevor die Staatsanwaltschaft Hannover ihr Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Wulff hatte keine Chance. Außerhalb des Gerichtssaals hat er sie immer noch nicht.

Die mediale Hetzjagd war Thema der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop nachbestellen können.

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