- Angriff der Klonraupen
Original? Kopie? Der neue Roman von Argentiniens berühmtestem Schriftsteller ist vor allem ein enormer Lesespaß
Als César Aira 1967 aus dem kleinen Dorf Coronel Pringles nach Buenos Aires zog, war er 18 und brannte darauf, ein „junger militanter Linker zu werden und große realistische Romane” zu schreiben. Gut, dass es bei diesem Vorsatz nicht geblieben ist. Denn kaum eines der über fünfzig Bücher, die Argentiniens bekanntester Schriftsteller bislang geschrieben hat, ist viel länger als hundert Seiten. Und wenn eine Zuordnung auf diese Bücher nicht zutrifft, ist es die Kategorie „Realismus” – gerade die Kombination aus Kürze und Phantastik nämlich macht diesen Autor so brillant.
Auch in seinem neuesten Roman würfelt Aira wieder wild durcheinander, was auf keinen Fall zusammengehört. Dies sind die Elemente: Ein Naturwunder namens „Faden von Macuto” in einem Vorort von Caracas. Ein Schriftsteller, der genau dorthin fährt, um an einem langweiligen Literaturkongress teilzunehmen. Der den Aufenthalt dann aber nutzt, um seinen ebenfalls dort weilenden mexikanischen Kollegen Carlos Fuentes mit Hilfe einer Klonwespe zu klonen. Das abstruse Experiment geht schief, denn das kurzlebige Insekt klont nur einen Fetzen von Fuentes’ Schlips statt einer Körperzelle. Und der Badeort an der Karibikküste droht in einer Invasion riesiger blauer Raupen unterzugehen, die der Klonator über Nacht in den Bergen aus dem Textil brütet – eine Kulisse wie in einem B-Movie: phantastisch und lächerlich zugleich.
César Aira hat einmal die „konstante Bewegung nach vorn” als sein literarisches Prinzip bezeichnet, es gibt hier nichts Überflüssiges. Trotz eines monologisierenden Ich-Erzählers verzichtet der Autor auf eine innere Psychologie des Protagonisten und seiner Mitspieler, die bizarre Kombination divergierender Motive und unmotivierter Szenenwechsel erweckt mitunter sogar den Eindruck, sie sollten die Idee eines plausiblen Plots generell ad absurdum führen. Am Schluss löst Aira seine Zauberlehrlinge mit einem literarischen Taschenspielertrick wieder in Nichts auf: Der zur bedrohlichen Realität gewordene Einfall eines Autors schnurrt wieder auf die Größe einer fixen Idee.
Trotzdem gelingt es dem ironischen Postmodernisten, mit dieser Methode drei große Diskurse der Gegenwart zu verknüpfen: die Selbstreflexion des Schriftstellers, den Diskurs um die Gentechnik und denjenigen um Original und Kopie – es fällt ein anderes Licht auf Urheberrechtsfragen, wenn Airas Alter Ego César erklärt, Autoren könnten „Individuen in unbegrenzter Stückzahl reproduzieren”.
Mit dem Lateinamerika-Etikett des „magischen Realismus” hat diese Literatur zum Glück nichts zu tun. Und auch im autobiografischen Mustopf, in dem der deutsche Literatur-Nachwuchs so ermüdend rührt, wird nicht fündig, wer diesen Autor „erklären” will. Wenn man die Maxime des verhinderten Revolutionärs ernst nimmt, dass er eigentlich nur schreibt, „um zu konstruieren”, dann ist sein „Literaturkongress” schlichtweg ein Kleinod der ästhetischen Ingenieurskunst.
César Aira: Der Literaturkongress. Roman. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs. Ullstein, Berlin 2012. 112 S., 18 €
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