- „Gabriel hat die Grünen genial abgefischt“
Die Grünen haben sich von Sigmar Gabriel ausmanövrieren lassen, schreibt der Realo Boris Palmer in einem Gastbeitrag für Cicero Online. Die Personalpolitik des SPD-Chefs schade den Grünen nachhaltig. Das sei auch die Schuld der Grünen selbst
Über Sigmar Gabriels gelungenes „Gesellenstück auf dem Weg zum Kanzleramt“ ist nach Bekanntgabe der Kabinettsliste bereits vieles geschrieben worden. Der erfolgreiche Mitgliederentscheid verschafft der SPD neues Selbstbewusstsein. Ihr Vorsitzender scheint stark wie lange keiner mehr. Die strategischen Wirkungen von Gabriels Personal- und Ressortauswahl auf die Grünen sind hingegen bisher kaum thematisiert worden.
Das liegt nicht daran, dass darüber nichts zu sagen wäre. Viel eher ist dies ein Indiz für den rapiden Bedeutungsverlust meiner Partei der Grünen. Denn es sieht alles danach aus, als habe Gabriel sich dafür entschieden, systematisch in grünen Gewässern zu fischen. Wenn er damit erfolgreich ist, werden die Grünen in vier Jahren als dauerhafte einstellige Kleinpartei aus der Zeit der GroKo hervorgehen. Sie werden nicht – wie es viele erwarten – als quasiautomatischer Profiteur einer durch das Regieren verbrauchten SPD wiedererstarken.
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Schon die Ressortwahl der SPD ist aus grüner Sicht bemerkenswert. Gabriel hat nach allgemeiner Auffassung bedeutende Ministerien freimütig der Union überlassen. Diese besetzt mit Finanzen, Innen, Verteidigung und Verkehr neben dem Kanzleramt viele herkömmliche Schlüsselressorts. Gabriel hat sich hingegen ausnahmslos alle Ministerien gesichert, die mit grünen Kernthemen befasst sind.
Gabriel trocknet die grünen Biotope aus
Die Energiewende will er selbst als SPD-Chef zum Erfolg führen und damit den Kompetenzvorsprung der Grünen auf diesem Feld übernehmen. Nicht Cem Özdemir wird erstes Kabinettsmitglied mit türkischen Wurzeln, sondern Aydan Özoguz als SPD-Staatsministerin. Den Verbraucherschutz, in dem Renate Künast den grünen Kompetenzvorsprung begründet hat, entreißt Gabriel dem Agrarressort und ordnet ihn der Justiz zu – in der Hand von SPD-Minister Heiko Maas. Das Umweltministerium kommt selbstredend zur SPD und auch bei Familie, Kinderbetreuung und Sozialem stellt Gabriel sicher, dass SPD-Ressortchefs zeigen können, dass es die Grünen gar nicht braucht, um die Anliegen ihrer Wählerschaft zu erfüllen. Das erledigt die SPD gleich mit.
Wie ernst es Gabriel mit dieser Strategie sein muss, zeigt ein Blick auf die zweite Reihe. In sein eigenes Ministerium holt Gabriel den Energiewendestaatssekretär Jürgen Trittins, den allseits renommierten Experten Rainer Baake. Der in grünen Kreisen ebenso geschätzte Jochen Flasbarth, bisher Chef des Umweltbundesamtes, wird Staatssekretär im Umweltministerium. Und Gerd Billen, bisher Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, wird Staatssekretär im Justiz- und Verbraucherschutzministerium. Sigmar Gabriel macht damit quasi ein rot-grünes Kabinett unter dem Dach der großen Koalition, aber unter seiner alleinigen Führung. Die Grünen stellen Personal, Ideen und Konzepte, dürfen aber am Katzentisch der Opposition staunend zuschauen, wie Gabriel ihre Biotope austrocknet und nebenan umso schönere Ersatzquartiere bereitstellt. Für die Verbände und Organisationen, die bisher die Grünen als natürliche Verbündete ansehen konnten, gibt es jetzt erstklassige Ansprechpartner in SPD-Ministerien.
Für die Grünen lässt Gabriels Strategie nicht mehr viel Raum für eigene Initiativen. Sachorientiert wie ihre Wählerschaft nun einmal ist, kann die Partei schwerlich darauf setzen, dass Gabriel mit den grünen Themen Schiffbruch erleidet. Ist er aber erfolgreich, wird es schwer, in künftigen Wahlkämpfen zu erklären, wozu es eigentlich die Grünen noch braucht. Einen relevanten Einfluss, welches von beiden Szenarien Wirklichkeit wird, haben die Grünen nicht. Und Gabriels Personalwahl lässt unschwer erkennen, dass er ins Gelingen verliebt ist, wie er selbst sagt.
Wenn Gabriels Strategie aufgeht, hat er eine historische Wende geschafft. Noch vor zwei Jahren sah die Welt ganz anders aus. Die Grünen eilten nach Kretschmanns Wahl zum Ministerpräsidenten von Wahlsieg zu Wahlsieg und hatten die Möglichkeit, sich dauerhaft über 20 Prozent zu etablieren. Das hätte die Chance eröffnet, zu einer neuen Volkspartei zu werden.
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Darüber wurde auch in den Spitzengremien der Partei diskutiert, jedoch entschied man sich bewusst gegen einen solchen Kurs. Besonders die Parteilinke um Jürgen Trittin und Steffi Lemke fürchtete, dass ihr innerparteiliches Gewicht schwinden könnte, wenn die Partei und ihre Wählerschaft zu schnell in bürgerliche Milieus wächst. Statt die Chance zu ergreifen, redeten sie diese klein. Folgerichtig behaupten sie heute, die Grünen seien damals überbewertet gewesen.
Schwarz-Grün hätte eine Alternative sein können
So sahen die Grünen mehr oder weniger tatenlos zu, wie interessierte neue Wählerschichten sich allmählich abwendeten und spätestens mit dem Steuerwahlprogramm begann man sie gezielt vor den Kopf zu stoßen. Das Ergebnis ist bekannt, bei der Bundestagswahl fiel das grüne Wahlergebnis auf Werte einer Kleinpartei zurück.
Gleichwohl hätte das Wahlergebnis ein Comeback der Grünen viel eher erlaubt als jenes von Sigmar Gabriel, dessen SPD nicht weniger deprimierend abgeschnitten hatte. Der Parlamentsexitus der FDP hatte erstmals eine Situation geschaffen, in der Schwarz-Grün die einzige Alternative zur großen Koalition war. Nur leider hatten die Parteilinken den Graben zur CDU inhaltlich und rhetorisch im letzten Jahr so weit vertieft, dass der Sprung hinüber nicht mehr gelingen konnte. Es ist bezeichnend, dass die Grünen die Sondierungsgespräche beendeten und nicht die Union. Inhaltlich gab es dafür angesichts der Zugeständnisse der Union keinen Grund. Das sieht man spätestens jetzt, da die SPD grüne Trophäen in Serie präsentiert, vom Doppelpass bis zum Energieministerium. Ohnehin ist am Ende der Koalitionsvertrag nur eine grobe Richtschnur. Entscheidender ist, welche Ministerien man sich erkämpft. Und da zeigt Gabriel, was für die Grünen drin gewesen wäre.
Es sieht so aus, als hätten die Grünen zuerst die historische Chance, zur dritten großen Partei in Deutschland zu werden, leichtfertig vergeben, um nun wegen der leichtgläubigen Verknüpfung des eigenen Schicksals mit der SPD von dieser genial abgefischt zu werden. Wie es anders geht, zeigt Hessen. Tarek Al-Wazir hat die Verkettung mit der SPD vermieden und kann nun seinerseits Schlüsselressorts für die Grünen reklamieren. Grund genug für meine Partei, sich ganz grundsätzlich die Frage zu stellen, was aus ihr werden soll.
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