- Es geht um viel mehr als 750 Euro
753,90 Euro. Dieser Betrag steht im Zentrum des Prozesses gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Doch hintergründig geht es um die Aneinanderkettung von Vorteilsnahme und -gewährung und darum, wie nah Politik und Wirtschaft einander kommen dürfen
Die Strafverfahren, die das Landgericht Hannover in diesem Monat zu verhandeln hat, haben es in sich: Versuchter Totschlag, eine Einbruchsserie, Vergewaltigung, Kreditbetrug, schwerer Raub: Da nimmt sich der Prozess, der am heutigen Donnerstag um 10 Uhr im Saal 127 begonnen hat, geradezu mickrig aus. Es geht um eine Tatsumme von gerade mal 753,90 Euro, bestenfalls Kleinkriminalität also und kaum der Rede wert.
Dennoch ist dieses Verfahren für das Landgericht in der niedersächsischen Landeshauptstadt schon jetzt so etwas wie der Prozess des Jahrhunderts. Steht dort doch mit Christian Wulff erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein ehemaliger Bundespräsident vor Gericht.
22 Verhandlungstage, 45 Zeugen
Der heute 54-jährige CDU-Politiker soll 2008, als er noch niedersächsischer Ministerpräsident war, von dem mitangeklagten Filmunternehmer David Groenewold einen Besuch auf dem Münchner Oktoberfest gesponsert bekommen haben. Darin erkennt die 2. Große Strafkammer in ihrem Eröffnungsbeschluss den Verdacht der Vorteilsannahme. Dem mit ihm zusammen angeklagten Groenewold, Jahrgang 1973, wird hingegen Vorteilsgewährung zur Last gelegt.
Ihr Ermittlungseifer in der Strafsache 4212 Js 27683/13 hat der Staatsanwaltschaft Hannover erstaunlich viel Kritik beschert. Die Medien, sonst stets vorneweg mit dem Vorwurf, Politiker würden von einer zaghaften Justiz zu sacht angefasst, sahen in Wulff das Opfer entfesselter Ermittler. Und auch der anstehende Prozess, für den bis Anfang April vorerst 22 Verhandlungstage terminiert und 45 Zeugen von der Staatsanwaltschaft nominiert sind, wird von vielen als überzogen und unnötig bezeichnet.
Prozess um Nähe zwischen Politik und Wirtschaft
Dabei könnte dieser Prozess zeigen, dass es eben um mehr geht als nur um gut 750 Euro aus einer Oktoberfestsause. Nämlich um eine von vielen Berufspolitikern und Unternehmern als normal empfundene Nähe zwischen Politik und Wirtschaft, in der gegenseitige Gefälligkeiten zur Regel gehören, um abseits eines öffentlichen Nutzens persönliche Vorteile zu erzielen.
Wenn man so will, steht der Fall Wulff/Groenewold für das Anfangsstadium einer Entwicklung, an deren Ende oftmals geschäftliche Partnerschaften zwischen hochrangigen Ex-Politikern und den von ihnen zuvor politisch geförderten Unternehmen stehen.
Beispiele dafür gibt es genug: etwa Gerhard Schröder und Gazprom, Roland Koch und der Baukonzern Bilfinger oder – ganz aktuell – der nach der Bundestagswahl als Staatsminister aus dem Kanzleramt ausgeschiedene Eckart von Klaeden, der seit Anfang November als Lobbyist im Daimler-Konzern den Bereich Politik und Außenbeziehungen leitet.
Kette von Zuwendungen
Dass die 2. Große Strafkammer in Hannover im Verfahren gegen Wulff und Groenewold auch diesen Aspekt im Auge behalten wird, legt ihr Eröffnungsbeschluss in der Sache nahe. Zwar hat die Kammer den ursprünglichen Bestechungsvorwurf der Staatsanwaltschaft nicht akzeptiert, dafür aber einen hinreichenden Verdacht auf Vorteilsgewährung und -annahme erkannt. In der Begründung dafür machen die Richter deutlich, dass sie den einzigen Verdachtsfall in der Anklage – das Sponsoring des Oktoberfestaufenthalts – nur als Teil einer Kette von Zuwendungen Groenewolds an Wulff wertet, mit denen möglicherweise Erwartungen an politisches Handeln verbunden waren.
So wird es dann auch im Prozess zwar vorrangig, aber eben nicht nur um jenen gemeinsamen München-Trip von 2008 gehen. Vom 26. bis 28. September 2008 hatten Wulff – damals niedersächsischer Ministerpräsident – und seine Frau Bettina im Bayerischen Hof genächtigt, einem Fünf-Sterne-Hotel im Zentrum Münchens. Für zwei Nächte in der Juniorsuite bezahlte Wulff per Kreditkarte 577,90 Euro. Was er angeblich erst vier Jahre später erfahren haben will – die Juniorsuite war tatsächlich 400 Euro teurer, das Upgrade hatte diskret sein Freund Groenewold übernommen.
Aus Freundlichkeit, wie der Filmunternehmer es später darstellte, und weil es ihm peinlich gewesen sei, dass der Trip teurer geworden war als von ihm in Aussicht gestellt. Nach Rechnung der Staatsanwaltschaft hat Groenewold zudem weitere Kosten des Oktoberfest-Ausflugs in Höhe von rund 360 Euro, unter anderem für die Bewirtung der Wulffs im Käfer-Festzelt auf der Wiesn, übernommen.
„Wohlwollen des Vorteilsnehmers bei zukünftigen Entscheidungen“
Das könnte aus Sicht des Gerichts eine Vorteilsgewährung gewesen sein, auch wenn der von Wulff in Anspruch genommenen Zuwendung seines Freundes keine konkrete Diensthandlung des Ministerpräsidenten als Gegenleistung folgte. „Ziel der Vorteilszuwendung muss nur sein, Einfluss auf die nicht notwendig konkretisierte künftige Dienstausübung zu nehmen oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren“, erklärt die Kammer in ihrem Eröffnungsbeschluss. Dazu könne es ausreichen, „dass der Wille des Vorteilsgebers auf ein generelles Wohlwollen des Vorteilsnehmers bei zukünftigen Entscheidungen gerichtet ist“.
Der Gerichtsbeschluss listet eine ganze Reihe von dienstlichen und geschäftlichen Berührungspunkten zwischen den Angeklagten auf, bei denen dem Filmfinanzierer das Wohlwollen des Ministerpräsidenten hätte zugute kommen können. So agierte Groenewold, nachdem er Wulff 2003 bei der Premiere des Films „Das Wunder von Lengede“ kennengelernt hatte, nach eigener Darstellung als eine Art medienpolitischer Berater des CDU-Politikers. Als 2005 die bisherige, auch von Groenewold mittels Filmfonds betriebene Filmfinanzierung durch eine Gesetzesänderung erschwert werden sollte, wurde neben anderen Politikern auch Wulff im Sinne des Unternehmers aktiv.
Bei einem von Groenewold ausgerichteten Dinner mit Vertretern der Medienbranche soll der Ministerpräsident in einer Rede zugesichert haben, sich dafür einzusetzen, dass es keine Mindestbesteuerung von Filmfonds geben solle. Dem Eröffnungsbeschluss zufolge wurden darüber hinaus – in einem Fall sogar auf Wulffs direkte Veranlassung – Filmprojekte und eine Firma, an denen der Unternehmer beteiligt war, vom Land Niedersachsen finanziell und anderweitig gefördert und unterstützt.
Christian Wulff lud zu „Abenden unter Freunden“
Demgegenüber listet die Kammer in ihrem Beschluss mehrere Vorgänge aus den Jahren zwischen 2005 und 2008 auf, die als Vorteilsgewährung durch Groenewold gewertet werden könnten: Einladungen an Wulff zu sogenannten „Abenden unter Freunden“ auf der Berlinale, ein Abendessen des Ehepaares in Berlin, bei dem Groenewold auch die Bewirtungskosten der Personenschützer übernahm, sowie weitere acht gemeinsame Restaurantbesuche auf Sylt und auf Capri, bei denen jeweils der Unternehmer die Zeche zahlte.
Zwar räumt die Kammer ein, dass auch Wulff – wenngleich in deutlich geringerem Ausmaß – seinem Freund Essenseinladungen und Geschenke gewährte. Dennoch bleibe der in der Hauptverhandlung zu klärende hinreichende Verdacht, dass die finanziellen Zuwendungen durch Groenewold sowohl beim Oktoberfestwochenende von 2008 wie auch bei den anderen Gelegenheiten zuvor „für die Dienstausübung“ im Allgemeinen gedacht waren. Mit anderen Worten: Es kommt gar nicht darauf an, ob sich Wulff direkt nach einer Einladung durch Groenewold für ein konkretes Projekt seines Freundes stark gemacht hat. Es genügt die allgemeine und so auch von dem Politiker verstandene Erwartung des Gönners, dass der Ministerpräsident irgendwann den Unternehmer bei dessen Geschäften unterstützen werde.
Der Prozess in Hannover könnte nicht nur die öffentliche Diskussion über Korruption anfeuern, sondern auch juristische Maßstäbe setzen für den künftigen Umgang zwischen Politikern und Unternehmern. Der Fall Wulff wie auch diverse weitere, ähnlich gelagerte Beispiele zeigen, dass es offenbar solcher Maßstäbe bedarf, da moralische und ethische Grundsätze allzu oft in der alltäglichen Politik hintangestellt werden. Insoweit ist es gut und richtig, dass es den Prozess gegen Christian Wulff gibt.
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