- „Da wird ein Riesen-Skandal zelebriert“
Moderne gegen Alte Meister, Giacometti gegen Giotto: Für zehn Millionen Euro soll in Berlin aus der Gemäldegalerie eine Galerie des 20. Jahrhunderts werden, die London und New York Konkurrenz macht. Doch bei Kunsthistorikern und Mittelalterfreunden regt sich Protest aus Sorge um die alten Gemälde
Es wird ein gigantischer Umzug: Hunderte Kunstwerke aus dem 13.
bis 18. Jahrhundert müssen aus der Berliner Gemäldegalerie weichen.
Stattdessen sollen Werke der Klassichen Moderne nach einem Umbau in
die neu gestalteten Räume: die Sammlung der Neuen Nationalgalerie
mit den Sammlungen Pietzsch und Marx. Diese neue Galerie des 20.
Jahrhunderts wäre die größte Deutschlands. Für den Umbau hat der
Bundestag am 12. Juni 2012 zehn Millionen Euro bewilligt.
Doch es regt sich Protest: Die Bilder der alten Meister würden in
der Zwischenzeit nur in verminderter Zahl im Bode-Museum
ausgestellt und ansonsten im Depot gelagert werden, bis für sie
eine neue Gemäldegalerie an der Museumsinsel errichtet ist. Das
dauert vielen Kunstfreunden zu lange. Professor Hermann Parzinger,
Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die für diese
Planung zuständig ist, sieht sich massiver Kritik
ausgesetzt.
Herr Professor Parzinger, Sie haben einen zehn Millionen
Euro schweren Geldsegen erhalten und können dadurch die
Umbaumaßnahmen am Kulturforum beginnen. Was haben Sie gedacht, als
das beschlossen war?
Wir haben uns alle sehr gefreut.
Damit wird ein Prozess eingeleitet, den wir schon seit langem
vorbereitet haben. Wie schnell es jetzt doch Realität wird, das hat
uns dann tatsächlich überrascht.
Das Umbauprojekt der Gemäldegalerie wird massiv
kritisiert. Die FAZ wirft Ihnen vor, der Plan sei in einer „Nacht und Nebel-Aktion
verabschiedet“ worden…
Das ist
natürlich überhaupt nicht zutreffend. Den Plan dieser Rochade, dass die Gemäldegalerie
eine Galerie des 20. Jahrhunderts werden soll und dass die Alten
Meister in einem erweiterten Bode-Museum ein neues Zuhause bekommen
sollen, gibt es seit über zehn Jahren. Zunächst aber waren
andere Bauvorhaben vordringlicher, jetzt ist für den ersten Schritt
die Zeit gekommen. Kulturstaatsminister Neumann ist es gelungen, im
Nachtragshaushalt des Bundestages den Betrag von zehn Millionen
unterzubringen, der diesen Schritt ermöglicht. Von Nacht und Nebel
kann also keine Rede sein.
[gallery:Streitfall Moderne - Heiner Pietzsch zeigt seine Sammlung]
Haben Sie mit solch einer starken Kritik, wie sie jetzt
kommt, gerechnet?
Dass nicht alle sofort die Chancen
dieses Schrittes sehen, damit musste man rechnen. Aber ich hätte
nicht gedacht, dass die Kritiker in dieser Weise die Alten Meister
gegen die Moderne ausspielen – das ist grotesk! Wir
jedenfalls haben bei diesem Schritt beide Sammlungen im Auge.
Überraschend für mich ist, dass einige jetzt offenbar ignorieren,
wie wenig die Moderne in Berlin zu sehen ist. Wo können Sie
heute Kirchner sehen? Wo können Sie Otto Dix, George Grosz und
seine Zeitgenossen sehen? Seit Jahrzehnten ist die Neue
Nationalgalerie zu klein, unser eigener Bestand kann immer nur in
geringen Ausschnitten gezeigt werden. Die Sammlung Pietzsch macht
die Platznot nur noch deutlicher. Wir wollen unseren eigenen
Bestand zeigen, plus die Sammlung Pietzsch, plus die Werke der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Hamburger Bahnhof –
Museum für Gegenwart. Diese Tatsache wird von den Kritikern bewusst
nicht thematisiert.
Rund 3.500 Unterstützer haben bereits die Petition gegen Ihr Projekt unterschrieben.
Sie fordern: So lange Geld nicht da ist, darf man nicht
umräumen!
Es ist natürlich einfach zu sagen: Ihr habt
das Gebäude nicht, also darf nichts begonnen werden. Wer
alles auf einmal haben will, wird nichts bekommen. Wenn wir jetzt
den ersten Schritt nicht gehen, ist die Chance vertan, die
Museumsinsel zu einem Berliner Louvre zu vollenden, und es wird
auch die Chance vertan sein, das Kulturforum als Standort für das
20. Jahrhundert zu profilieren. Es wundert mich etwas, dass von den
Unterstützern der Petitionen niemand Kontakt mit uns aufgenommen
hat, einige kenne ich persönlich. Viele gehen von falschen
Tatsachen aus. Es ist total absurd zu glauben, dass uns die Alten
Meister egal seien! Das Gegenteil ist der Fall. Bernd Lindemann,
der Direktor der Gemäldegalerie und der Skulpturensammlung, ist
seit vielen Jahren ein großer Verfechter dieses Plans. Er sieht in
einer für Berlin seit Bode spezifischen gattungsübergreifenden
Präsentation eine großartige Chance für die öffentliche Wirkung
seiner Sammlungen.
Es wird auch die Sorge geäußert, dass es nie einen
Neubau an der Museumsinsel geben wird, dass aus einer
vorrübergehenden Unterbringung eine auf unbestimmte Zeit wird.
Lassen Sie das zu?
Auf keinen Fall. Es wird kein
Gemälde aus der Gemäldegalerie abgehängt, wenn nicht gleichzeitig
bis zu diesem Zeitpunkt auch ein Realisierungswettbewerb für den
Erweiterungsbau am Bode-Museum auf den Weg gebracht sein wird – das
geht nur im Paket. Solch ein Wettbewerb kostet Geld und ist eine
klare Weichenstellung. Es wird natürlich auch einige Jahre des
Übergangs geben. Wer umbaut und ein großes Ziel ansteuert, muss in
dieser Zeit mit Einschränkungen rechnen. Das ist bei allen unseren
Baustellen so. Wenn man alle Schritte auf einmal haben will, wird
man keinen hinbekommen.
Lesen Sie weiter: Wird das Mittelalter wie ein Stiefkind behandelt?
Muss man Politikern erst die Bedeutung der
Gemäldegalerie erklären?
Nein, das muss man
nicht. Es ist allen klar, dass sie zu den qualitätvollsten
Pinakotheken der Welt gehört.
Aber ist das Mittelalter nicht ein Stiefkind der
Berliner Museumspolitik?
Dass die Gemäldegalerie am
falschen Platz untergebracht ist, ist klar. Das zeigen auch die
Besucherzahlen. Warum fragen sich die, die jetzt Petitionen
schreiben, nicht, warum die Sammlung nicht ihrem Rang entsprechend
oft besucht wird? Es ist eine Sammlung absoluter Weltklasse! Wenn
die Sammlung an der Museumsinsel so zu sehen ist, wie wir uns das
vorstellen, dann werden wir ganz andere Besucherzahlen haben.
Ein Argument der Kritiker lautet, wenn die Werke im
Bode-Museum ein Erfolg würden, wäre die Politik verführt, sie dort
so zu belassen. Wenn sie aber kein Erfolg im Bode-Museum würden,
nähme man das als Zeichen, dass niemand sich mehr für sie
interessiert und man sie im Depot belassen könnte. So oder so käme
es zu keinem Museum…
Das ist ein Totschlagargument.
Nein, die verdichtete Präsentation im Bode-Museum wird nichts sein,
was man sich auf Dauer vorstellen kann, das werden auch die
Politiker merken. Der Platz hat ja schon vor dem Zweiten Weltkrieg
nicht ausgereicht, da ist der Nordflügel des Pergamonmuseums dem
Bode-Museum zugeschlagen worden. Es wird also auf keinen Fall ein
Dauerzustand werden, auch weil nicht nur wir, auch die
Öffentlichkeit es immer wieder anmahnen werden.
[gallery:Streitfall Moderne - Heiner Pietzsch zeigt seine Sammlung]
Im offenen Brief des Verbands deutscher
Kunsthistoriker heißt es, die Sammlung Pietzsch bestehe aus
einer „Handvoll Bilder, die eine schmale Epoche innerhalb des
zwanzigsten Jahrhunderts repräsentiert und an Bedeutung nicht
annähernd etwa mit der Sammlung Berggruen zu vergleichen ist“. Was
sagen Sie dazu?
Das finde ich sehr polemisch und es
wundert mich, dass gerade Kunsthistoriker das sagen. Wer etwas von
der Kunst des 20. Jahrhunderts versteht, der weiß eigentlich, wie
bedeutend diese Sammlung für den Surrealismus und den abstrakten
Expressionismus ist. Sie verdeutlicht den höchst spannenden
Übergang der Kunst, das Ende der Klassischen Moderne und den Beginn
einer neuen Entwicklung in den USA. Wir sagen ja nicht, dass die
Sammlung Pietzsch gleichwertig mit dem Bestand der Gemäldegalerie
ist. Das wäre lächerlich. Aber es ist eine hochkarätige Sammlung,
die Museen wie die Tate Modern oder das MoMA mit Handkuss nehmen
würden. Sie wurde mit Sachverstand zusammengestellt, um genau die
kunsthistorisch so interessante Phase darzustellen, die uns fehlt.
Was Sie etwa in der Tate Modern zum Surrealismus sehen, ist nur ein
Bruchteil dessen, was die Sammlung Pietzsch zu bieten
hat.
Ändert sich mit Ihrer Entscheidung nicht die
Musumspolitik – weg vom kollektiven Bewahren der Kunst und hin zu
einer Museumspolitik, die eher an Sammlerinteressen, also am Markt
orientiert ist?
Auch das ist völlig unzutreffend.
Viele Kritiker sehen nicht, dass die Kunst der Klassischen Moderne
gerade in Berlin, gerade in der Nationalgalerie im Dritten Reich
extrem gelitten hat. Vor 1933 war sie eine der besten Sammlungen
ihrer Art. Dann haben die Nazis die Werke verkauft und durch den
Schornstein des Kronprinzenpalais, wo damals die Nationalgalerie
untergebracht war, in barbarischer Weise verheizt. Dieser Verlust
ist enorm. Der Wiederaufbau des Bestandes der Nationalgalerie wäre
aus öffentlichen Erwerbsmitteln nicht denkbar und ist nur durch
mäzenatisches Wirken, durch Schenkungen möglich. Die Zusammenarbeit
mit Sammlern ist für uns essentiell. Das Ehepaar Pietzsch will mit
seiner Sammlung eine große Lücke für die Nationalgalerie schließen.
Dieser Aspekt wird im Moment in der Öffentlichkeit ausgeblendet.
Ulla und Heiner Pietzsch wollen ausdrücklich kein
eigenes Haus, keinen Flügel ihres Namens, sondern ihre Sammlung in
die bestehende Sammlung der Nationalgalerie integriert sehen.
Das ist großartig.
Ist die aktuelle Diskussion also etwas
überzogen?
Mich irritiert in der Tat, dass momentan so getan wird, als
ob niemand die Kunst des 20. Jahrhunderts vermisst, die in
Berlin nicht gezeigt werden kann. Dieses Ausspielen der Moderne
gegen die Alten Meister ist unwürdig. Wir wollen für die Alten
Meister und das 20. Jahrhundert das Beste. Nur weil die Reihenfolge
nicht so ist, wie es sich einige wünschen, wird hier ein riesen
Kulturskandal zelebriert.
Das Gespräch führte Karoline Kuhla.
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