- Zu Hause oder in der Kita – was sagt die Wissenschaft?
Ob die Kleinen besser in der Kita oder zu Hause betreut werden, ist heftig umstritten. Was sagt die Wissenschaft?
Wie gebildet Deutschlands Jüngste mit zwei und mit vier Jahren sind oder sein sollten, darüber wird immer wieder kräftig debattiert. Und im Zusammenhang damit auch darüber, wie gut die Orte wirklich sind, an denen sie leben, lieben und lernen. Die Debatte über das Betreuungsgeld lässt die Wogen der Diskussion derzeit schier überschwappen. Dabei war über zwei Dinge, die eigentlich den Kernpunkt bilden sollten, bisher wenig empirisches Grundlagenwissen vorhanden, zumindest wenig Wissen aus Deutschland: nämlich über die pädagogische Qualität von Krippen, Kitas und Tagesmüttern und der familiären Betreuung zu Hause auf der einen Seite und über den Einfluss beider auf die kindliche Entwicklung.
Am Donnerstag wurden in Berlin die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, die das Wissen darüber beträchtlich erweitert.
Was haben die Forscher untersucht?
In 32 ausgewählten Gebieten von acht Bundesländern haben die an der „Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“ (Nubbek) beteiligten Forscher die kurze, aber nicht unmaßgebliche Bildungsbiografie von insgesamt 2000 Zwei- und Vierjährigen genau unter die Lupe genommen: Sie haben sich den Alltag, die Ausstattung und die pädagogischen Leitbilder in den Krippen, Kitas und Kindertagespflegestellen vorgenommen, die die Kleinen besuchten, haben Erzieher und Erzieherinnen, Tagesmütter und -väter über die Kinder befragt und mit den Kleinen verschiedene Tests gemacht, um ihren Entwicklungsstand zu ermitteln. Genauso haben sie sich in den Familien umgetan und vor allem Mütter ausführlich interviewt. Und sie haben dafür gesorgt, dass ein großer Anteil von Kindern mit russischem oder türkischem Migrationshintergrund in die Studie aufgenommen wurde.
Seite 2: Wer nutzt Kita- und Krippenplätze?
Was sagt die Studie über die Betreuungswünsche der Eltern aus?
Die Untersuchung zeigt, dass sie Plätze in Krippen, Kitas und Kindertagespflege mehrheitlich erst nach dem ersten Geburtstag ihres Kindes in Anspruch nehmen. 88 Prozent der befragten Eltern betreuten ihre Babys im ersten Jahr allein oder mit familiärer Unterstützung, vor allem durch die Großeltern. Zur Tagesmutter kommen sie als Kleinkinder im Schnitt mit 14 Monaten, in eine Krippe oder Kita mit zwei Jahren und einem Monat. Wobei sich beim Einstiegsalter für Krippen und Kitas auch 23 Jahre nach der Wende ein deutlicher Ost-West-Unterschied zeigt: In den neuen Bundesländern kommen die Kinder im Schnitt schon mit 21 Monaten, in den alten erst mit 29,1 Monaten dort an. Auch die Anzahl der Stunden, die sie außerhalb ihrer häuslichen Umgebung verbringen, ist im Osten etwas höher. „Fulltime“-Kita ist allerdings nur für eine Minderheit der Kleinkinder angesagt. Ein Drittel der Kinder in Deutschland wird auch im zweiten Lebensjahr allein von den Eltern betreut.
Kinder mit Migrationshintergrund kommen etwas später in institutionelle Einrichtungen und werden nur in seltenen Fällen von einer Tagesmutter betreut. Eine Ausnahme sind Kinder von berufstätigen türkischen Müttern mit einem höheren Bildungsabschluss. Sie suchen und finden genauso häufig wie deutsche Mütter mit dem gleichen Background einen Betreuungsplatz für ihr Kleinkind. „Die Verfügbarkeit eines Betreuungsplatzes steigt in der Wahrnehmung der Mütter mit ihrem Bildungsstand und ihrem sozioökonomischen Status“, ist im Nubbek-Bericht zu lesen.
Mit welcher Begründung geben Eltern ihre Kinder in die Obhut anderer?
Nach den Motiven befragt, die sie dazu bewegt hätten, ihr Kind schon vor seinem dritten Geburtstag „außer Haus“ betreuen zu lassen, nennen die Eltern ihre eigene Erwerbstätigkeit erst an zweiter Stelle. Die Mehrheit sieht vor allem einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. So erklärt sich wohl auch, dass ein Viertel der Mütter, deren Kinder mit zwei Jahren zeitweise außerhalb der Familie spielen und lernen, zum Zeitpunkt der Befragung nicht erwerbstätig oder in Ausbildung war. Umgekehrt sagt die Mehrheit der Mütter von Zweijährigen, die ausschließlich in der Familie betreut werden, die häusliche Atmosphäre entspreche ihrem Erziehungskonzept eher. Die unterschiedlichen Vorstellungen über die optimale Betreuung von Kleinkindern, die derzeit die gesellschaftliche Debatte bestimmen, spiegeln sich auch im Kreis der Familien, für die sie konkrete alltagspraktische Folgen haben.
Ein Drittel der Befragten gab allerdings auch zu Protokoll, schlicht keinen Platz gefunden zu haben. Von „erzwungener Abstinenz“ spricht der Leiter der Studie, FU-Wissenschaftler Wolfgang Tietze. „Unter den jetzigen Bedingungen von Knappheit können die Familien ihr Wunsch- und Wahlrecht nicht ausüben.“ Nicht zuletzt machen sich die Forscher Sorgen um die Familien, die angaben, ihnen seien die Kosten für Kita oder Tagesmutter zu hoch. „Die Daten legten nahe, dass es auch innerhalb der Gruppe der nur familiär betreuten Kinder eine erhebliche Anzahl von Müttern gibt, die sich auch für eine außerfamiliäre Betreuung entscheiden würde, wenn die Bedingungen hierfür besser wären.“
Seite 3: Wo entwickeln sich Kleinkinder besser - in der Kita oder zu Hause?
Entwickeln sich die Kleinkinder denn besser in der Kita oder zu Hause?
In der Frage, wo die Kinder besser aufgehoben sind, ganztags in ihren Familien oder für einige Stunden des Tages in einer Betreuungseinrichtung, kommt die Nubbek-Studie zu einem differenzierten Urteil: Bei den Kleinen, den Zweijährigen, konnten sie zwischen beiden Gruppen keinen Unterschied im Bildungs- und Entwicklungsstand feststellen. Allerdings verzeichnete die Untersuchung bei früherem Eintritt in die außerfamiliäre Betreuung bessere Entwicklungskennwerte in den Bereichen Kommunikationsverhalten und Alltagsfertigkeiten.
Was Untersuchungen wie die große Nichd-Studie aus den USA schon gezeigt haben, bestätigte sich auch hier: Wie weit kleine Kinder in ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und ihrer Reife sind, hängt am meisten von Merkmalen ihrer Familie ab – selbst wenn sie ganztags in die Kita gehen. Positiv wirken sich hier vor allem der Bildungsstand der Mutter und ihre Gemütsverfassung aus.
Bei den Vierjährigen spielt es dann schon eine größere Rolle, was ihr Kindergarten zu bieten hat. Und das ist nach dem Urteil der Forscher heute nicht mehr als Mitte der 90er Jahre. Wirklich gute „Prozessqualität“, also einfühlsame Betreuung und vielfältige Bildungsangebote im Alltag, fanden sie nur in jeder zehnten, unzureichende aber ebenfalls in jeder zehnten Einrichtung. „Die Befunde rufen nach Verbesserungen“, so das klare Signal an Träger und Politik. „Qualitätsmonitoring ist gerade unter dem momentanen Druck des Ausbaus der Einrichtungen für Kinder unter drei besonders wichtig“, sagt Fabienne Becker-Stoll, Leiterin des staatlichen Instituts für Frühpädagogik in München.
Für Zweijährige scheinen dabei die Rahmenbedingungen in reinen Krippengruppen bekömmlicher zu sein als in altersgemischten Gruppen, in denen sie oft untergehen. Auch die Arbeit der Tagesmütter schnitt nicht schlechter ab. In der Studie wurden allerdings eher große, professionalisierte Tagespflegestellen unter die Lupe genommen. Die Kindertagespflege sollte nach Ansicht der Autoren weiter untersucht werden, zumal es die politische Absicht ist, dass diese Einrichtungen ab dem nächsten Jahr rund ein Drittel der versprochenen Betreuungsplätze für Kinder unter drei abdecken.
Vor allem Kinder, die in ihrem Elternhaus schlechtere Bildungschancen haben, sollten schon früh zeitweise auch außerhalb betreut werden, so das deutliche Signal von Nubbek. „Politische Maßnahmen, die frühe bildungsrelevante Erfahrungen von Kindern mit Migrationshintergrund und anderen Kindern mit bedenkenswerten Lebenslagen verhindern, sind kontraindiziert“, heißt es in aller Klarheit, allerdings ohne ausdrückliche Erwähnung des viel diskutierten „B“-Wortes, in der Studie. Tietz sagt: „Wir brauchen im Gegenteil ein öffentliches Zugehen auf diese Familien.“
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