- „Die Summe ergibt kein Ganzes”
Hildegard Müller ist Mitglied des Präsidiums des Bundesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft. Im Interview erklärt die ehemalige Merkel-Vertraute, was passieren muss, damit die Energiewende gelingt
Frau Müller, leidet die Energiewende unter mangelnder
politischer Führung?
Führung klingt so, als könne das einer alleine regeln. Es sind aber
viele in der Verantwortung. Woran es wirklich mangelt, ist eine
Koordination der Umsetzung und ein entschlossenes
Projektmanagement. Es gibt 16 Energiekonzepte der Länder, hunderte
von Plänen in den Städten und Gemeinden und natürlich auch einen
Rahmen, der von der EU vorgegeben wird. Die Summe all der
Einzelpläne ergibt aber zurzeit kein Ganzes.
Was schlagen Sie
vor?
Vor allem mit den Bundesländern muss dringend abgestimmt
werden, wie ein möglichst effizienter und gleichzeitig
volkswirtschaftlich verträglicher Ausbau zu schaffen ist. Erste
richtige Schritte in diese Richtung wurden bei den Gesprächen
zwischen Bund und Ländern schon unternommen. Doch den Gesprächen
müssen Taten folgen.
Als Vorsitzende des Bundesverbands der Energie- und
Wasserwirtschaft haben Sie gewissen Einfluss. Hat das Projekt
Energiewende durch den Bearbeitung von bestimmten Lobbygruppen
Schaden genommen?
Die Energiewende ist ein Generationenprojekt und ein
Gesellschaftsprojekt. Es ist gut und richtig, dass viele
gesellschaftliche Gruppen ihre Interessen und Ambitionen in diesen
Prozess einbringen, denn die Aufgabe ist komplex. Die Lösungen sind
oft schwierig und alles andere als eindeutig. Lobbygruppen sind
also ein wichtiger Ratgeber für die Politik und ein wichtiger Teil
dieser Energiewende. Der Wettbewerb um die besten Ideen und
Konzepte ist die Grundlage von Demokratie und Fortschritt.
Schädlich wäre es, wenn die Debatte ausbleibt, verdeckt geführt
oder von der Politik nicht ausreichend reflektiert wird. Das kann
man aber bei der energiepolitischen Debatte nicht unbedingt
behaupten.
[gallery:Die Kosten der Energiewende]
Halten Sie es für nötig, den Einfluss von Lobbygruppen
zu begrenzen?
Umweltverbände, Wirtschaftsverbände, Kirchen und NGOs – sie alle
betreiben Lobbyismus und leisten damit einen wichtigen Beitrag für
die demokratische Meinungsbildung. Aber sicher ist auch: Lobbyismus
braucht Regeln. Transparenz und Akkreditierung sind beispielsweise
unabdingbar. Und ebenso ist klar, dass man sich an Recht und Gesetz
halten muss. Wir setzen bei unserer Arbeit auf Sachaufklärung. Am
Ende entscheidet die Politik.
Seite 2: „Lobbygruppen müssen Verantwortung übernehmen”
Wie viel Gewicht hat Ihre Arbeit?
Die Politik muss lernen, Partikularinteressen und gesellschaftliche
Interessen zu unterscheiden und dabei Entschlüsse zu fassen, die
dem Allgemeinwohl dienen. Und für die Lobbygruppen heißt das,
Verantwortung übernehmen und das Ganze im Blick haben. In einem
Verband wie dem BDEW, in dem kleine und große Unternehmen aller
Wertschöpfungsstufen der Energie- und Wasserversorgung tätig sind,
führt das gelegentlich auch zu schwierigen Debatten. Die
Lösungsvorschläge haben dann aber auch ein anderes Gewicht als die
von Verbänden, die beispielsweise lediglich den hohen Absatz von
Photovoltaik-Anlagen im Sinn haben. Dies gilt vor allem auch, weil
wir im ständigen Dialog mit den verschiedensten gesellschaftlichen
Gruppen sind.
Welche Form von politischem Management wünschen Sie sich
für die Energiewende?
Klare Zuständigkeiten, gute Koordinierung und ein konzentriertes
Projektmanagement bei den einzelnen Vorhaben. Begleitet von einem
indikatorenbasierten Monitoring, das eine Priorisierung der
einzelnen Ziele vornimmt. Und dazu gehört meiner Überzeugung nach
ein Dialog-Forum für eine strukturierte Einbeziehung der
gesellschaftlichen Akteure, dem ein starkes nationales Mandat
zugrunde liegt. Gemeinsam mit dem WWF haben wir daher ein
,Nationales Forum Energiewende‘ vorgeschlagen und einen konkreten
Ausgestaltungsvorschlag gemacht. Das Forum soll den ständigen
Austausch zwischen der politischen Führung von Bund und Ländern
gewährleisten, aber vor allem auch den Austausch mit allen
gesellschaftlich relevanten Gruppen verstetigen. Es soll
Ansprechpartner für die Energiewende sein. Nach innen und nach
außen. Dies kann zu einer besseren Akzeptanz für die Energiewende
beitragen.
Wo sehen Sie die größten Gefahren für die
Energiewende?
Ohne bessere Synchronisierung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien
mit dem Ausbau der Stromnetze läuft die Energiewende Gefahr, vor
die Wand zu fahren. Immer mehr Strom aus Wind und Sonne, der mit
dem EEG von allen Verbrauchern finanziert wird, muss abgeregelt
werden. Dies zerstört die Akzeptanz und den Glauben an die Vernunft
des Projektes. Schilda lässt grüßen! Aber auch sonst gibt es
einiges zu tun. Das sich stets wechselnde Zusammenspiel zwischen
konventionellen Kraftwerken und fluktuierender Energie aus Wind und
Sonne bringt große Herausforderungen mit sich, die entschlossen
angegangen werden müssen. Außerdem ist die Energiewende noch immer
nicht ausreichend europäisch eingebettet. Aber gerade das sollten
wir schleunigst tun. Um den Erfolg der Liberalisierung und des
EU-Binnenmarktes nicht zu gefährden und weiterhin von den positiven
Effekten des Wettbewerbs zu profitieren, ist auch eine bessere
Koordinierung mit den europäischen Partnern nötig. Last but not
least: Die Kosten für Energie werden steigen. Die Debatte darüber
sollte dazu führen, dass wir effizient und kostengünstig vorgehen.
Nicht aber dazu, dass wir das gemeinsame Ziel diskreditieren.
Das Gespräch führte Christian Schwägerl
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