- Gourmet am Imbisswagen
Der Imbiss hat längst sein proletarisches Image abgestreift. Mittlerweile steht das mobile Mittagessen aus Sushi, Wraps und Falafel für die kreative Großstadtküche. Ganz ohne Esstisch-Zeremoniell.
Der Sommer ist die Saison der Gartenfeste. Nicht nur Privatleute nutzen die hohen Außentemperaturen, um Freunde einzuladen, ohne die Innenräume beanspruchen zu müssen, sondern auch öffentliche Institutionen veranstalten große Freiluftpartys, bei denen sie sich präsentieren können, ohne dabei die Büros neugierigen Blicken preiszugeben. So bleibt der Muff in der Amtsstube erhalten, während draußen auf dem Rasen ein frisches und modernes Image zelebriert wird.
Zu dem neuen und schmeichelhaften Bild, das auf solchen Partys gezeichnet wird, gehören auch Speisen, die schon längst nicht mehr nur aus der Gulaschkanone geschöpft oder vom Grill genommen werden. Stattdessen ist das ganze Spektrum der Gourmetküche vertreten, vom Marshmallow aus Rote-Bete-Saft bis zur braisierten Jakobsmuschel. Die Cateringfirmen, die solche Veranstaltungen beliefern, haben mit Sterneköchen und voll ausgestatteten mobilen Küchen so aufgerüstet, dass es inzwischen keine Schwierigkeiten mehr bereitet, Tausende von Gästen auf höchstem Niveau zu verköstigen.
Damit folgen sie einem Trend, der auch außerhalb der Sommerfeste zu beobachten ist. Der Imbiss und das Essen im Stehen erfahren seit Jahren eine kontinuierliche Aufwertung. Was früher ein Notbehelf zur Nahrungsaufnahme für Proletarier auf Montage war, die dafür den Weg zur Arbeit nicht lange unterbrechen mussten, hat sich zu einem zentralen Element der Esskultur entwickelt, das in allen Qualitätsstufen am Straßenrand angeboten wird – und nicht nur dort.
Die Auflösung des starren Arbeitszeitregimes, die zunehmende Mobilität und der Verlust des Mittagessens im familiären Rahmen haben den Bedarf an Mahlzeiten für zwischendurch gesteigert – auch von Leuten, die mit einer Currywurst nichts anzufangen wissen. Auf sie zielten Innovationen des bestecklosen Essens wie Hamburger, Döner Kebab, Falafel, Sushi und Wraps, die dann anderen althergebrachten Fastfood-Konzepten wie Erbsensuppe und Schaschlik den Garaus machten. Die neue Vielfalt ermöglichte schließlich auch eine Differenzierung des Angebots durch Verfeinerung und gewann dadurch noch mehr Zuspruch. Inzwischen werden manche neuen Nahrungstrends an der Bordsteinkante gesetzt, das vietnamesisch gefüllte Baguette Banh-Mi zum Beispiel oder Onigiri, Dreiecke aus gewürztem und gepresstem Reis. Zu wünschen ist auch, dass ein mächtiger Trend aus Amerika sich bei uns durchsetzt. Der Food-Truck als mobiles Imbissrestaurant ist eine voll ausgestattete, fahrbare Küche, wie man sie von Filmdreharbeiten her kennt. Dort werden meist ethnisch grundierte Spezialitäten an per Facebook und Twitter avisierten Orten zubereitet und dann einem Flashmo aus Gourmets verkauft.
Gemeinsam ist all diesen Richtungen, dass sie sich vom Zeremoniell des Essens verabschiedet haben. Besteck ist meistens nicht mehr nötig, selbst der Teller wird nicht gebraucht. Die gedeckte Tafel hat ausgedient. Sie weicht einem kontinuierlichen Picknick auf dem Asphalt mit wechselnden Personen und Portionen. Die Speisenfolge ordnet sich keinem Menü unter und entbehrt dessen Stringenz. Das Gleiche gilt auch für Begegnungen und Tischgespräche. Was einstmals noch eine Grundform des politischen Diskurses war, löst sich in informellen Gelegenheitsgesprächen auf, deren Gehalt weniger substanziell erscheint. So sehr man aber darüber wehklagen könnte, dass die oft zitierte Gesprächskultur mit den Tischsitten verschwindet, stellt es doch auch einen Fortschritt dar, wenn die gesetzten Essen in geschlossenen Zirkeln an Einfluss verlieren gegenüber einer offenen Tischgesellschaft, zu der praktisch jeder geladen ist. Die Ergebnisse dieser Entwicklung sind schon heute zu sehen: Nicht nur dank des Internets ist die Politik durchlässiger geworden und gibt mehr Bürgern Gelegenheit zur Beteiligung. Nur zur Sommerparty des Bundespräsidenten braucht man weiterhin eine persönliche Einladung.
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