Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Niedersachsen - Rot-Grün in Hannover, Patt in Berlin

Fotofinish in Niedersachsen. Am Ende liegt Rot-Grün hauchdünn vor Schwarz-Gelb. Grüne retten SPD. CDU opfert sich für FDP. Ein Trend für den Bund lässt sich daraus nicht ableiten. Im September werden die Vorzeichen andere sein

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

So erreichen Sie Timo Stein:

Selten war eine Landtagswahl derart bundespolitisch aufgeladen. Selten waren sich die Akteure im Vorfeld einer Landtagswahl so einig über eine mögliche bundespolitische Signalwirkung. Selten in den letzten Jahren war der Abend einer Landtagswahl so spannend.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen wurde vorhergesagt. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen ist es geworden. Als kurz vor Mitternacht das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt gegeben wurde, lag Rot-Grün hauchdünn vorne. Vor allem den deutlichen Zuwächsen der Grünen verdankt die Opposition den Wahlsieg. Es sieht so aus, als werde der Sozialdemokrat Stephan Weil neuer Ministerpräsident in Niedersachsen. Eine Stimme Mehrheit haben SPD und Grüne im Landtag in Hannover. Die CDU hat nicht nur ziemlich viele Stimmen an die FDP abgegeben, sondern vor allem zusammen mit den Liberalen die Wahl und die Macht verloren.

6,1 Millionen Niedersachsen waren an diesem Sonntag aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Tatsächlich standen zwischen den Zeilen Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün zur Wahl. Tatsächlich kämpften die beiden politischen Lager um eine gute Ausgangsposition für die Bundestagswahl.

[gallery:Die ganze Wahrheit über Niedersachsen]

Knapp acht Monate vor der Bundestagswahl ging es um Koaltionsarithmetik, Kampagnenfähigkeit und Stimmungstest. Es war die erste Wahl für den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und die vermeintlich letzte für FDP-Chef Philipp Rösler. Der Mikrokosmos Niedersachsen sollte Blaupause für den Bund sein.

Entsprechend groß war das Engagement der bundespolitischen Prominenz. Seit an Seit mit den Parteifreunden aus Niedersachsen waren sie in den Wahlkampf gezogen: Merkel, Steinbrück, Rösler, sogar Sahra Wagenknecht. Die rührte, obwohl sie in Niedersachsen weder Amt noch Mandat besitzt, kräftig die Werbetrommel für ihre Partei und ist wohl die erste Wahlverliererin. Wagenknecht darf wieder abreisen. Die Linke hat es nicht in den Landtag geschafft. Auch die Piraten verabschieden sich zunächst wieder in die politische Bedeutungslosigkeit.

FDP und Grüne hingegen können zulegen. Die Botschaft der Wähler ist klar. Sie haben jene kleinen Parteien gestärkt, die in eine Koalition eingebunden sind.

Darüber hinaus können vor allem zwei bereits angezählte Bundespolitiker aufatmen: Philipp Rösler und Peer Steinbrück.

Die FDP schafft trotz und mit ihrem aus FDP-Führungskreisen bereits infrage gestellten Spitzenkandidaten die Wiederauferstehung. Es ist die dritte Wiedergeburt der FDP, nach Schleswig-Holstein, nach NRW nun Niedersachsen. Dieser Erfolg ist auch ein Erfolg des Parteivorsitzenden. Dass es vor allem CDU-Wähler waren, die den Liberalen mit einem Stimmensplitting halfen, zeigt, wie stark viele bürgerlichen Wähler in politischen Lagern denken. Aber wie schon zuletzt in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen reicht es wieder nicht für eine schwarz-gelben Wahlsieg.

Auch Peer Steinbrück zeigte sich sichtlich erleichtert. Der Absturz der SPD infolge eines negativwirksamen Steinbrückfaktors blieb aus. SPD-Spitzenkandidat Weil nahm Steinbrück am Wahlabend dann auch in Schutz und erklärte, sein Sieg sei auch der des Kanzlerkandidaten.

Lesen Sie auf den nächsten Seite, welchen Ausweg es aus dem Patt in Berlin gibt

Doch von einem eindeutigen Signal für den Bundestagswahlkampf kann trotzdem nicht die Rede sein. Zwar gewann die SPD im Vergleich zur letzten Wahl leicht dazu, fuhr aber ihr insgesamt zweitschlechtestes Ergebnis in Niedersachsen überhaupt ein. Den SPD-Strategen im Willy-Brandt-Haus dürfte nicht entgangen sein, dass ihre Partei nicht von der Stelle kommt. Lediglich die Stärke der Grünen hält die Hoffnung auf das Rot-Grüne Projekt wach.

So zeigt sich in Hannover, völlig unabhängig davon, dass am Ende Rot-Grün vorne lag: So abhängig, wie die FDP von der CDU ist, so abhängig ist die SPD von den Grünen.

Strategisch ziehen CDU und Grüne mit Blick auf die Bundestagswahl den größten Nutzen aus der Landtagswahl in Niedersachsen.

Und doch lässt sich Niedersachsen nicht einfach auf den Bund übertragen. Das Fotofinish von Hannover bedeutet für Berlin ein Patt. Setzt sich der Trend dieser Landtagswahl fort, dann endet die Bundestagswahl mit einem toten Rennen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Denn die Linke wird aufgrund ihrer Stärke im Osten wohl als fünfte Partei in den Bundestag einziehen. Einziger Ausweg aus dem Patt ist die Große Koalition.

[gallery:Die ganze Wahrheit über Niedersachsen]

Es sei denn Union und Grüne weichen die klassische Lagerdichotomie auf. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Grünen werden registrieren, dass die SPD den rot-grünen Wahlsieg im September in Gefahr bringt. Angela Merkel wird erkennen, dass sich CDU und CSU eine Leihstimmenkampagne wie in Niedersachsen im Bund nicht werden leisten können. Und so werden beide Parteien die klassische Koalitionsdichotomie in den kommenden Monaten zumindest zwischen den Zeilen immer wieder infrage stellen. Am Ende wird nicht ausgeschlossen sein, dass Grün und Schwarz, dass Trittin und Merkel nach der Bundestagswahl doch noch wie selbstverständlich zueinanderfinden, so selbstverständlich, wie sie dieses Bündnis zurzeit ausschießen.

(Dieser Text wurde nach der Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses überarbeitet und aktualisiert)

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.