- Die Geister, die wo i rief
Nach massiver Kritik will die CSU Menschen mit Migrationshintergrund nur mehr motivieren, im Alltag Deutsch zu sprechen. Der Grundgedanke bleibt: Er fußt nicht nur auf Ignoranz, sondern auch auf einem längst verworfenen Konzept von Sprache
Die Autoren des Textes können schon ein wenig stolz auf sich sein: Kein Fehler bei den Satzzeichen. Die Orthographie – auch korrekt. Und auch die Grammatik des Leitantrags „Integration durch Sprache“ für den CSU-Parteitag am Wochenende lässt keine Wünsche offen. Ein in sich stimmiger Text – und das, obwohl er in einer Sprache geschrieben wurde, die die Verfasser im Alltag gar nicht sprechen: im geschriebenen Hochdeutsch.
In dem Leitantrag hieß es, dass Migranten die deutsche Sprache lernen müssten, damit das gesellschaftliche Zusammenleben funktioniere. Deshalb sollten sie „dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen“. Nach dem #YallaCSU-Shitstorm wurde der Satz umformuliert: „Wer dauerhaft hier leben will, soll motiviert werden, im täglichen Leben Deutsch zu sprechen.“
„Keine Angst vor Mehrsprachigkeit!“
Die Christsozialen verrühren hier das Erlernen der deutschen Sprache mit dem Sprachgebrauch im privaten Leben zu einem deftigen Kaiserschmarrn. Wenn jemand nämlich mit dem Bäcker seines Vertrauens, zuhause am Küchentisch oder mit dem Nachbarn nicht auf Deutsch spricht, hat das relativ wenig mit seiner Kompetenz in der deutschen Standardsprache zu tun. Egal, ob diese Sprache nun „Oberbayerisch“, ein ostanatolischer Dialekt oder das „Kiezdeutsch“ ist, das abwertend „Kanak Sprak“ genannt wird, weil es insbesondere von jungen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund gesprochen wird.
Vielleicht hatten die Verfasser des Leitantrags eben genau diese präpositionsarme, ungrammatisch wirkende Variante des Deutschen im Ohr, als sie die Zeilen formulierten. „Auch Sprachvarianten wie das Oberbayerische oder das Kiezdeutsche haben ein grammatisches System“, erklärt Philip Bracker von der Universität Potsdam. Dass einem das 'falsch' vorkomme, habe eher etwas mit Vorurteilen gegenüber den Sprechern und dem sozialen Prestige der Varietät zu tun, als mit der Komplexität der Sprache.
Der Linguist Bracker forscht zu Mehrsprachigkeit, Spracherwerb und Migration. Er hat eine Stellungnahme zum CSU-Vorstoß mit dem Titel „Keine Angst vor Mehrsprachigkeit!“ unterzeichnet. Denn Mehrsprachigkeit mache eher kommunikativ versierter und flexibler, sagt Bracker. Es erleichtere das Erlernen weiterer Fremdsprachen.
Der Mythos der ‚doppelten Halbsprachigkeit‘
Dass verschiedene Sprachsysteme – seien sie nun Soziolekte, also in bestimmten Milieus gesprochene Varietäten einer Sprache, oder ein zum Standard in einem Land erhobener Dialekt – miteinander konkurrieren und einander negativ beeinflussen, wurde in der Sprachwissenschaft der 60er und 70er von vielen vertreten. Manch ein Linguist sah sogar die Moral eines Menschen durch Mehrsprachigkeit gefährdet.
1968 beschrieb der Linguist Nils Erik Hansegard, dass finnische Kinder, die in Schweden zur Schule gingen, weder des Finnischen, noch des Schwedischen gänzlich mächtig waren. Dafür führte er den Begriff ‚doppelte Halbsprachigkeit‘ ein, der auch als ‚Semilingualismus‘ bezeichnet wird. „Der sogenannte Semilingualismus beruht auf einer Fehleinschätzung von Sprache. Er ist ein Mythos“, sagt Bracker. Sprache ist eben nicht nur der festgelegte Standard wie das Hochdeutsche, sondern auch eine Varietät, wie das Oberbayerische oder das Kiezdeutsche.
„Wir beherrschen alle bestimmte Varietäten einer Sprache“, erklärt Yazgül Șimșek, die am Centrum für Mehrsprachigkeit und Spracherwerb der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster arbeitet. Nur weil ein Mensch mit türkischem Migrationshintergrund beispielsweise einen Dialekt, aber nicht das Standardtürkische beherrsche, bedeute das nicht, dass er deshalb das Standarddeutsche schlechter erlernen könne.
„Der Vorstoß der CSU atmet den Geist des Semilingualismus und des Sprachpurismus, dem die Dialektpflege an bayerischen Schulen eigentlich widerspricht“, erklärt Șimșek. Die Schule sei wichtig, um die „Handlungskompetenz“ der Kinder zu stärken – also das Bewusstsein um verschiedene Varietäten einer Sprache und die Fähigkeit, sie richtig einzusetzen.
Bayerischen Schulen gelingt das, wie CSU-Politiker in Berlin beweisen, wenn sie das hochdeutsche Register ziehen. Warum also dem eigenen Schulwesen misstrauen und das private Sprachleben der Menschen behelligen?
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