- Schönfärberei im TV
Es war die wohl letzte große Chance, über den zweiten Weltkrieg zu reden, bevor die meisten Zeitzeugen verschwunden sein werden. Doch die Medien haben sie verstreichen lassen. Schlimmer noch: Sie haben Wahrheiten weichgezeichnet, Fakten über den Antisemitismus bezweifelt und so gefährliche Thesen in die Welt gesetzt
Die Zeit hat es in dieser Woche noch einmal geschafft: Sie hob Adolf Hitler aufs Titelblatt, bevor das Thema wieder für längere Zeit verschwunden sein wird. Zwar war es „nur“ ein indirekter Zugang – vor 30 Jahren war der Stern auf die gefälschten Hitler-Tagebucher hereingefallen. Aber immerhin. Die Bekenntnisse des früheren Stern-Chefredakteurs waren selbstkritisch.
Das konnte man von der jüngsten Debatte über den zweiten Weltkrieg keineswegs behaupten. 70 Jahre nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war die Gelegenheit, bevor auch die letzten Zeitzeugen verstorben sein werden, eigentlich günstig. So traute sich etwa die 95-jährige Margot Wölk erstmals mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit – sie war Hitlers Vorkosterin im Nazi-Hauptquartier in der Wolfsschanze.
Doch statt sich reflektiert der eigenen Geschichte zu nähern, servierten die Medien dem deutschen Publikum einen Brei aus miefigem Pathos und aufgewärmten Stereotypen – dazu eine Prise Hakenkreuze.
Es begann mit Nico Hofmanns Trilogie „Unsere Mütter, unsere Väter“, die die polnische Heimatarmee als Horde von Antisemiten präsentierte. Ignoranz sei das, schimpfte die Warschauer Gazeta Wyborcza. Der frühere Deutschlandkorrespondent der Zeitung bezeichnete eine Szene, in der Partisanen deportierten Juden die Hilfe verweigerten, gar als „Lüge“: „So etwas muss das polnische Außenministerium scharf verurteilen.“
Um den Produzenten zur Ehrenrettung zu gereichen: Das ZDF-Epos gehört eher in die Kategorie „Kunst“ denn „Dokumentation“. Einen Wahrheitsanspruch konnten die Filme nicht erheben.
Dafür gibt es ja „die Medien“. Jeder, der eine vernünftige Diskussion erwartet hatte, hätte sich eigentlich denken können, was daraus werden würde.
Maybrit Illner zum Beispiel, gleich am ersten Abend. Einen früheren Mitläufer oder Veteranen suchte man in der Talkrunde vergeblich. Der einzige „Zeitzeuge“ der Runde war der Moderator Thomas Heck, der 1942 tagelang unter einer Kellertreppe festsaß. Da war er fünf Jahre alt. Was hätte Heck also über Mitläufertum und deutsche Schuld sagen können?
Die Talkrunde galoppierte durch die Epoche 1933-1945 und verhedderte sich schließlich in dem, was Franziska Augstein „wunderschöne Erzählungen“ nannte: Anekdoten darüber, wie ein Wehrmachtssoldat (ihr Vater und Spiegel-Gründer Rudolf Augstein) auf einem schwangeren Pferd heimreiten musste.
Das unschuldige „Mama, Papa, wie war es eigentlich bei euch damals?“ war denn auch das Motiv, das über die Weltkriegsdiskussion geschmiert wurde wie Vaseline auf ein Fotoobjektiv.
Bei Markus Lanz, Ober-Weichzeichner der Nation, verlor die frühere Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband über das pathetische Familien-Geschwurbel schließlich die Geduld: „Die Frage, die ich mir gerne stellen würde, ist nicht, was hat meine Oma mir davon erzählt, sondern: Wie konnte es dazu kommen?“, fragte die Jüdin und gebürtige Ukrainerin. Der Versuch der Psychologie-Studentin, über Gruppenverhalten und Identitätsbildung zu reden, war im öffentlich-rechtlichen Talkformat allerdings zum Scheitern verurteilt.
Stattdessen war man schnell wieder bei Schuldzuweisungen gegen andere Nationen. Der (deutsche) ORF-Moderator Dirk Stermann schimpfte auf die Österreicher. Sie seien damals die größeren Antisemiten gewesen, hätten die Annexion 1938 in Wien jubelnd gefeiert – und ihre Schuld bis heute nicht aufgearbeitet.
Seite 2: Wie im Juden Böses gesucht wird
Weisband zitierte eine Studie, derzufolge jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch ist. Historiker Arnulf Baring fiel ihr ins Wort: „Das glaub ich nicht.“ Markus Lanz fragte: „Was war das für eine Studie?“ Anstatt einen Faktencheck zu organisieren – der erste Antisemitismusbericht wurde Ende 2011 von einem unabhängigen Expertenteam im Auftrag des Bundestages erstellt – distanzierte sich der Moderator sogleich. „Mir fällt das immer schwer, mit solchen Studien zu argumentieren.“ Wenn er sich in seinem engeren oder erweiterten Kreis umschaue, halte er so etwas „für absolut ausgeschlossen“.
In der Sendung wurde auch behauptet, dass die Deutschen nicht für den ersten Weltkrieg verantwortlich seien – sondern Russen und Franzosen. Auf die Spitze trieb es Arnulf Baring, der ungeniert und unwidersprochen Thesen über das jüdische Tätervolk verbreitete: „Auch die Opfer sind irgendwo Täter und die Täter sind irgendwo Opfer. Und man weiß am Schluss auch gar nicht, wer ist eigentlich positiv und wer ist negativ zu sehen.“ Diese Vielfältigkeit lasse sich laut Baring auch „an den Juden“ sehen. So sieht sie aus, die Geschichts- und Faktenbeugung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
[video:Markus Lanz: Täter, Opfer und der zweite Weltkrieg]
Mit belanglosen „Geschichten unserer Familien“ traktierte Günther Jauch in der ARD noch einmal sein Publikum. Auch hier: Keine Diskussion darüber, wie es zu dem Krieg kam. „Wir verlieren uns hier in Anekdoten“, rief der Historiker Moritz Pfeiffer. Er wolle nicht gefragt werden, wie er selbst damals gehandelt hätte, sondern, wie er heute Handeln solle.
Eine Antwort darauf gab es nicht. Die Schuldfrage wischte Rolf Weiß, damals Panzergrenadier im Osten, gleich zu Beginn der Sendung weg: „Als kleiner Landser konnte man gar keine Schuld haben. Wir mussten nur Befehle ausführen.“ Jauch hakte nicht nach. Dieter Wellershoff sagte von sich, er sei durch den Krieg geschubst worden „wie ein Korken im Ozean“. Und die ehemalige Lazarett-Schwester Elm Lalowski wurde später wie folgt in der ZEIT zitiert: „Es war ja auch nicht alles… Es gab auch schöne Sachen.“
Genau, im Guten war auch Böses – und im Bösen Gutes: Diese halbgare These des Hofmann-Films versuchte das TV-Gewäsch zu belegen. Da wird dann ein brauner Mitläufer zu einem „kleinen Nazi“, der auch mal einem Opfer half, stilisiert, ein Pole zum Antisemiten geschnitzt und einem Juden auch ein kleines bisschen Boshaftigkeit unterstellt.
So hatte die Totalitarismusforscherin Hannah Arendt das eigentlich nicht gemeint. Die „Banalität des Bösen“ entdeckte sie im Prozess um Adolf Eichmann: Es war die Fassade des pedantischen Bürokraten. Massenmorden im grauen Alltag.
In der womöglich letzten großen Mediendebatte, die nun zu Ende geht, gab es immerhin einen, der die Wahrheit ungeschminkt erzählte: Sigmar Gabriel. Im Erbe seines Nazi-Vaters hatte der SPD-Chef rechtsextreme Hetzschriften und tausende Karteikarten gefunden. Er habe einen „unbändigen Zorn“ empfunden, sagte Gabriel bei Jauch. Es ist schon bezeichnend, dass der ehrlichste Diskussionsteilnehmer ausgerechnet ein Politiker war.
Der Spiegel* setzte der Debatte noch seinen Ruf nach mehr deutschem Selbstbewusstsein in der Verteidigungspolitik auf. Das Motto: Jetzt ist auch mal gut mit all der Weltkriegs-Weinerlichkeit, Deutschland soll auch mal wieder Krieg führen dürfen. Aufklärung, Ursachensuche? Fehlanzeige.
Nein, es geht hier nicht um Schuldzuweisungen in dritter Generation. Es geht um die korrekte Einordnung historischer Fakten. Es ist peinlich, dass erst die polnische Boulevardzeitung Super Express hinausschreien musste: „Deutsche! Der Holocaust ist euer Werk!“
Es bleibt dabei: Geschichte glattzubügeln ist langfristig schlimmer als auf gefälschte Hitler-Tagebücher hereinzufallen.
*Spiegel 13/2013: „Das ewige Trauma: Die Deutschen und der Krieg“
Hinweis: Auf Nachfrage von Lesern wurde noch das genaue Zitat von Arnulf Baring nachgereicht und das Video ergänzt. (16:59 Uhr)
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