- „Untergangs-Drohungen führen zum Trotz-Reflex“
Das „Fuchteln mit dem apokalyptischen Hammer“ führe nicht wirklich zu Veränderungen, sagt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx. Im Cicero-Online-Interview erklärt er, was populistische Phrasen in der Politik anrichten können und warum wir so empfänglich für radikale „End-Lösungen“ sind
Schon Pläne für das Wochenende?
Ja. Kekse backen und Spaziergänge mit dem Hund. Dazu viele Bücher
lesen und das Eine oder Andere schreiben.
Aber Freitag geht doch die Welt unter.
Oha. Schon wieder? Glaube ich eher nicht...
Warum zelebrieren das dann Tausende andere auf der
ganzen Welt?
Wir sind einfach empfänglich für Bilder des Untergangs. Unsere
mentalen Muster haben eine Tendenz, so etwas zu glauben, weil wir
als evolutionäre Wesen auf Angst gebaut sind. Zigtausende von
Jahren haben unsere Vorfahren ja tatsächlich ständig in
existentiellen Gefahren gelebt, die sie hätten ausrotten können.
Die Angst fungierte als „Aktivator“, damit wir flüchten oder
kämpfen. Heute ist die Angst oft diffus und neigt zu
Halluzinationen. Risikoforscher Peter Sandmann hat einmal gesagt:
„Die Menschen regen sich nicht auf, weil etwas gefährlich ist; sie
denken, dass etwas gefährlich ist, weil sie sich aufregen.“
Hat Angela Merkel diese innere, evolutionäre Angst mit ihrer
Drohungen „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ zu ihren Gunsten
ausgenutzt?
Ich habe das nicht so sehr als Untergangsdrohung im eigentlichen
Sinne verstanden. Sondern als Hinweis darauf, dass dieses Projekt
Europa, das 1950 begann und 1989 einen Schub bekam, und dann noch
einmal mit der Einführung des Euro, dann zu Ende ist. Das ist wahr.
Wie ich Angela Merkel kenne, neigt sie aber als Physikerin nicht zu
apokalyptischen Übersteigerungen. Auch wenn dieses Europa
scheitert, würde es noch ein Europa geben, dann müsste man ein
neues Projekt beginnen.
Ob es als Untergangsdrohung gedacht war oder nicht –
scheinbar war ihre Aussage Einschüchterung genug, denn Europa folgt
ihrem Kurs. Das hat schon im Mittelalter funktioniert, als die
kirchlich geschürte Furcht vor der Apokalypse zu einer Blüte des
Ablasshandels führte. Warum funktioniert das
„Droher-Follower“-Prinzip gemeinhin so gut?
Weil die „Droher“ meist clevere Menschenfänger sind, die ein
bestimmtes Macht- und Einflussmodell durchsetzen. Autoritäre
Charaktere eben. Die „Follower“ sind oft Menschen mit schwacher
Individualität, die an einen großen Verschwörungszusammenhang
glauben wollen. Man nennt diesen Effekt in der
Kognitionspsychologie auch „cognitive-ease“-Effekt. Wenn man
finstere Kräfte ausmacht, die die Menschheit ins Verderben reißt,
macht man sich die Welt eben auch ein Stückchen einfacher.
Nimmt die aktuelle Politik diese „Droher“-Rolle
ein?
Nein. Die Politik ist ja eher verunsichert. Sie ist pragmatischer
geworden, fragender, komplexer und arbeitet eher durch Navigieren
und „Kreuzen gegen den Wind“.
Es lässt sich kein Trend hin zu einer
Instrumentalisierung des Untergangs als probates Mittel zum Zweck
seitens der Politik erkennen?
Generell kann man sagen, dass sich die Politik eher
ent-ideologisiert. Selbst in Griechenland sind ja eher Pragmatiker
gewählt worden, nicht die lauten Schreier.
Und was ist etwa mit
Thilo Sarrazin und seinem Buch, für das er den provokanten Titel
„Deutschland schafft sich ab“ wählte?
Sarrazin funktionalisiert reale Probleme, wie eben die
Bildungsprobleme von Emigranten in den Großstädten. Er analysiert
ein reales Problem und pumpt es apokalyptisch auf. Das ist ja
gerade das Perfide am Populismus. Man braucht ja nur das Grölen auf
jeder Veranstaltung anzuhören und weiß sofort, dass hier tiefe
kollektive Aggressionen angesprochen und herausgelockt werden. Es
zielt direkt auf den Unterleib und noch tiefer, in unsere
genetische Angst vor dem Aussterben des eigenen „Stammes“. Es gibt
in Europa insgesamt aber nur einige neu-nationalistische Politiker,
die mit dem Motiv „Man will uns ausrotten und demütigen – wir sind
aber die Größten“ arbeiten.
[gallery:To be continued - Verpasste Weltuntergänge]
Was wollen die und alle anderen, die den Untergang
prophezeien, bezwecken?
Meistens geht es darum, Macht auszuüben durch eine Androhung. Damit
arbeiten alle totalitären Sekten und auch viele Ideologien. Die
Marx´sche Idee vom finalen Zusammenbruch des Kapitalismus, den man
nur durch die proletarische Revolution aufhalten kann – auch
dahinter steht ja die Dialektik von Himmelreich und
Apokalypse-Drohung.
Es geht auch um die Wiederherstellung alter Rollenmuster. Die
„Collapsionists“, die in Amerika heute Armageddon erwarten und sich
in Milizen bewaffnen, spielen dabei ja auch ein altes, bewährtes
Macho-Spiel: Familie beschützen gegen die Zombies, die nach der
Apokalypse plündern kommen. Die männliche Ehre wird so wieder
hergestellt.
Als Ersatz für die Mammuts und Säbelzahntiger, gegen die
die Männer in der Steinzeit gekämpft haben?
Ja, in einer komplexen Welt haben wir das Problem, dass es meistens
keinen Säbelzahntiger oder fremden Stamm zum Kämpfen gibt. Es fällt
uns jedoch schwer, eine Welt zu verstehen, die so sicher ist wie
nie. Wir trauen einfach dem Fortschritt nicht. Deshalb kommen wir
immer wieder zu den alten Mythen zurück: Die Schlange frisst den
Mond, und Ströme von Blut überschwemmen die Erde... Mit diesem
Mythos haben die Maya ihren eigenen Untergang illustriert. Sie
haben einfach so fest daran geglaubt, dass sie ihren Untergang
selbst hergestellt haben – durch immer bizarrere Rituale und
mörderischere Kriege. Das ist die Gefahr: Dass wir wirklich so sehr
daran glauben, dass wir den Untergang selbst herstellen. Dass die
vernünftige und sinnvolle Angst sich zur Hysterie steigert.
Seite 2: Warum die Weltuntergangs-Hysterie unsere Demokratie gefährdet
Glauben Sie, das wäre im 21. Jahrhundert
möglich?
Nun ja: Hitler war Apokalyptiker, der den Untergang der deutschen
Rasse prophezeite – und damit tatsächlich einen Weltenbrand
auslösen konnte. Die Kirche redete den Leuten ein, dass sie alle im
Höllenfeuer braten würden – wenn man nicht Hexen auf dem
Scheiterhaufen verbrennen würde. Unmöglich ist es nicht. Amerika
befindet sich teilweise schon am Rand einer Hysterie, denn Menschen
sind immer empfänglich für radikale „End-Lösungen“.
Wir stürzen uns also irgendwann
eigenhändig in den Abgrund, wenn uns Apokalyptiker das Ende lang
genug eingeredet haben?
Nicht unbedingt: Nachdem Emmerich seinen Untergangsfilm zur
Klimakatastrophe, „The Day after Tomorrow“ herausgebracht
hat, ist die Anzahl derjenigen, die den Klima-Experten glaubten,
gesunken. Übertreibungen führen irgendwann eben auch zum Gegenteil:
Man glaubt überhaupt nichts mehr. Das ist aber das eigentliche
Problem: Das Weltuntergangs-Getöse verharmlost auf Dauer die realen
Gefahren, denen wir uns stellen müssen.
Und damit wären dann wieder unsere soziale Ordnung und
unser Rechtsstaat in Gefahr…
Ja, denn immer, wenn sich solche extremen Wenn-Dann-Ideologien
durchsetzen, zerstört das das Gemeinwesen, das ja auf Abwägung,
Kompromiss und Moderation basiert. Das ist für unsere heutige
Demokratie gefährlich, die ja immer aus Versuch und Irrtum
besteht.
Aber warum neigen wir trotz der Gefahren zu
maximalistischen Bildern? Brauchen wir Drohungen, um überhaupt zu
handeln?
Menschen, denen man droht, handeln vielleicht kurzfristig, aber sie
verstehen es nicht und verändern sich nicht dabei. Der Effekt ist
immer oberflächlich. Deshalb führt das Fuchteln mit dem
apokalyptischen Hammer ja auch in Sachen Umwelt, Ernährung und
Energie nicht wirklich zu Veränderungen. Das gilt auch für die
Politik. Wenn man Lungenkrebs-Bilder auf Zigarettenpackungen
druckt, wird vielmehr ein Trotz-Reflex ausgelöst. Wenn aber ein
Atomreaktor explodiert, wie in Fukushima, dann kann das durchaus zu
einem Systemwechsel führen, siehe Energiewende. Ich bin mir auch
ziemlich sicher, dass wir in Sachen CO2-Reduzierung schnell
vorankämen, wenn das Benzin fünf Euro pro Liter kosten würde, wie
es einst die Grünen androhten. Die ganzen Untergangs-Schreiereien
sind in Wirklichkeit Übungen zum Überleben. Die Menschheit
auszurotten wird einfach nicht gelingen. Wir, beziehungsweise
unsere Vorfahren, haben nämlich schon eine Menge schrecklicher
Ereignisse hinter uns, wie den Vulkanausbruch von Toba, der vor
72.000 Jahren einen Klimawandel brachte, der den Homo sapiens an
den Rand der Ausrottung brachte. Der „Witz“ ist ja, dass
Katastrophen und Krisen immer die Kreativität der Menschen
beschleunigen. Evolution funktioniert durch Stress.
Theoretisch könnte die Politik Ziele also schneller
erreichen, wenn sie auf die apokalyptische Drohschiene setzt –
solange sie es nicht übertreibt?
Die Menschen bei notwendigen Wandlungsprozessen mitnehmen, ist die
hohe politische Kunst. Auch in Sachen Europa ist das möglich.
Selbst wenn Angela Merkel nicht unbedingt die begnadedste
Rhetorikerin ist, hat sie doch ganz gut die Balance zwischen „Ernst
der Lage“ und „Sinn des Schmerzes“ gehalten. Deshalb wird ja auch
Europa nicht auseinanderfliegen, wie uns noch vor einem Jahr eine
ganze Horde hysterisierter Experten weisgemacht haben.
Matthias Horx gründete 2000 das „Zukunftsinstitut” und ist seit 2007 Dozent für Prognostik und Früherkennung an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Er gilt als einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Seine Bücher wie „Anleitung zum Zukunftsoptimismus” oder „Das Buch des Wandels” wurden Bestseller.
Das Interview führte Jana Illhardt.
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