- Wie weit geht Frauensolidarität heute?
Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes engagiert sich seit Jahren unter anderem für Freierbestrafung in der Prostitution und für ein Verbot des muslimischen Kinderkopftuchs in Kitas und Schulen. Mit Anfeindungen kennt sich der Verein entsprechend aus. Doch ausgerechnet ein viel diskutiertes Positionspapier zu Transgender, Geschlecht und Selbstbestimmung wurde jüngst zurückgezogen. In der letzten Woche erklärte Vorstandsmitglied Inge Bell, warum das ein bedenkliches Signal ist. Im Folgenden entgegnet ihr Terre des Femmes-Geschäftsführerin Christa Stolle.
Terre des Femmes (TDF) wurde vor über 40 Jahren gegründet, um Frauenrechte als Menschenrechte durchzusetzen. Ziel des Vereins ist es bis heute, Gewalt, die nur Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts widerfährt, zu benennen, zu analysieren und zu bekämpfen.
35 Jahre bin ich Mitfrau und Gestalterin des Vereins mit seinen ehrenamtlichen Gremien und der hauptamtlichen Geschäftsstelle. Seit 1990 bin ich hauptamtliche Geschäftsführerin, schnell kamen weitere Mitarbeiterinnen hinzu. Heute sind es 40 Mitarbeiterinnen. Natürlich verschließt sich TDF nicht neuen gesellschaftlichen Problemen wie etwa Leihmutterschaft, denn diese stehen im Zusammenhang mit den Zielen des Vereins. Vor acht Jahren haben wir uns einen gemeinsamen Wertekanon gegeben: unser feministisches Leitbild. Das ist die Basis unserer Arbeit, der Weg in eine gleichberechtigte Zukunft.
Frauenrechte sind Menschenrechte
Dabei kann der TDF-Grundsatz ‚Frauenrechte sind Menschenrechte‘ per Definition keine Menschen ausschließen und gilt für alle Frauen. Jede Frau, die von Gewalt betroffen ist, erhält unsere Unterstützung. Jede Frau, die sich unseren Zielen anschließen möchte, ist herzlich willkommen. Gerade weil wir diesen menschenrechtlichen Ansatz in unserer Arbeit verfolgen, unterscheiden wir nicht unter Frauen: Patriarchale Gewaltstrukturen betreffen jede Frau, ungeachtet ihres sozialen, religiösen, kulturellen oder sexuellen Hintergrunds.
Als langjährige Bundesgeschäftsführerin und Vorständin habe ich bereits mit den unterschiedlichsten Vorständinnen und Mitfrauen zusammengearbeitet. Wir haben immer trans Frauen im Verein willkommen geheißen, auch im Vorstand habe ich schon mit einer trans Frau gut zusammengearbeitet. Es hat das gemeinsame Ziel und nicht der unterschiedliche Hintergrund gezählt.
Wir machen Politik mit Fakten und nicht mit Ideologien. Wir hören Betroffenen zu. Wir folgen der Verantwortung und nicht der Gesinnung. Das ist unser Weltverständnis. Heute scheint die feministische Debatte sich an einer Frage aufgehangen zu haben: Was ist eine Frau oder wer soll gesellschaftlich als Frau gelten? Sie wurde auch vor vier Jahren in unseren Verein hineingetragen. Ich halte diese Debatte für kontraproduktiv, spalterisch und
destruktiv.
Zu Terre des Femmes kamen Frauen mit einseitigen, teilweise extremen Ansichten, die den Kurs unseres Vereins ändern wollen. Mit aggressiven rhetorischen Mitteln propagieren sie das Bild, dass Terre des Femmes nur für biologische Frauen da sein darf. Doch in unserer Satzung kommt das Wort biologisch nicht als definierendes Adjektiv für Geschlecht vor.
Gegen jeglichen Extremismus
Desinformation und extremistische, teils diffamierende Begründungen werden von Gruppierungen herangezogen, um eine Trennung zwischen trans Frauen und Frauen herbeizuführen. Begleitet wird die Argumentation von männerhassenden Kommentaren und der Verallgemeinerung von Männern als Tätern.
Es stimmt, auch die andere Seite ist nicht zimperlich. Das andere Extrem in der Debatte will die Geschlechter so stark dekonstruieren, dass sie bedeutungslos werden. Auf beiden Seiten ist die Toleranz gesunken und kein erkennbarer Wille für einen konstruktiven Dialog sichtbar; möglicherweise ein Ergebnis schneller und unbedachter Worte in den Sozialen Medien.
Doch Frau als exklusiv statt inklusiv zu definieren, wäre ein Bruch mit den TDF-Grundsätzen. Anstatt sich für alle Frauen einzusetzen, würden wir eine selektive Frauensolidarität betreiben: Für Frauenrechte, aber nicht für alle Frauen. Menschenrechte, aber nur für einen Teil der Frauen.
Das ist nicht Terre des Femmes. Wir haben uns schon immer gegen extremistische Strömungen gewehrt: Gegen extremistische Religionsausprägungen, gegen extremistische Parteien und gegen extremistische Ideologien jeglicher Art und von welcher Seite auch immer. Denn Extremismus schürt Hass und führt nicht selten genug zu Frauenhass. Der Weg von Terre des Femmes war immer der Einsatz für Rechte und nicht gegen Menschen (auch nicht gegen Männer, übrigens). Als professionelle Frauenrechtsorganisation werden wir uns nicht von Extremismen leiten lassen und so auf das Niveau unserer Widersacher und Befürworter des Patriarchats sinken.
In der letzten Woche erschien auf Cicero.de das Interview mit der Menschenrechtsaktivistin und Terre-des-Femmes-Vorstandsvorsitzenden Inge Bell. Als eine von drei Vorständen nimmt sie eine andere Haltung zu der Debatte um das soziale und biologische Geschlecht ein.
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Ich denke, dass man manche Diskussion einfach außen vor lassen muss. Andererseits kann ich verstehen, wenn bei allem Gerde über "save space" dieser für Frauen eben nicht gegeben ist, wenn es trans Frauen gibt, deren einziges Frausein darin besteht zu sagen, dass sie eine Frau sind. Es ist doch bezeichnend, wenn bei der Abtreibungsdiskussion sehr viele Buchstaben für Betroffene standen, nur Frauen waren nicht betroffen.
Sicher sollte auch TDF sich für trans Frauen einsetzen, es wird aber schwierig werden einen gemeinsamen Diskurs führen zu können, wenn Frauen plötzlich keine Rolle mehr spielen dürfen.