- Ein Preuße im Shitstorm
Hermann Parzinger bringt als Chef der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ derzeit die Feuilletons gegen sich auf: Grobheit und Einfalt werden ihm wegen der Umzugspläne der Alten Meistern vorgeworfen
Dafür, dass Hermann Parzinger die derzeit meistverachtete Person im deutschen Kulturbetrieb ist, wirkt er einigermaßen gefasst. Leute, die ihn gut kennen, behaupten allerdings, die Contenance des 53‑Jährigen sei reine Fassade; tief im Inneren sei der Präsident der Berliner „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ empfindlich getroffen – geradezu fassungslos über die Vorwürfe, die seit einigen Wochen auf ihn niederprasseln.
Einen Kulturbanausen und Bilderstürmer hat man ihn geschimpft, wobei das noch die harmloseren Verbalattacken in Richtung dieses feingliedrigen, zurückhaltend wirkenden Mannes mit dem grau melierten Vollbart waren. Im medialen Shitstorm, den etliche bisweilen gar nicht sonderlich feinsinnige Feuilletonisten heraufbeschworen haben, herrscht offenbar die totale Enthemmung. Gerade so, als hätte ein Kartell von Kunstkritikern nur auf die passende Gelegenheit gewartet, um endlich auch mal so richtig die Sau rauslassen zu können: Boulevard meets Museum.
Wie konnte es so weit kommen? Das Unglück nahm seinen Lauf am 12. Juni dieses Jahres mit einer, fast könnte man sagen: Petitesse von zehn Millionen Euro. Das ist natürlich nicht ganz wenig, aber im Vergleich zum 260 Millionen Euro schweren Gesamtetat der Preußen-Stiftung dann eben doch eher ein Trinkgeld. Ein gut gemeintes allemal, denn diese Summe, die an jenem frühsommerlich-heiteren Dienstag bei Beratungen zum Nachtragshaushalt im Bundestag der von Parzinger geleiteten Kulturinstitution zugeschlagen wurde, sollte so etwas sein wie die Initialzündung für eine Neuordnung der Berliner Museumslandschaft. Dieses Projekt firmiert inzwischen fast nur noch unter dem bündigen Titel „Rochade“, und es ist – anders als die Feuilletonpanik vermuten lässt – ein ziemlich alter Hut. Was Hermann Parzinger in seiner unaufgeregten Art jedenfalls als „die Lösung aller Probleme“ beschreibt, kommt je nach Standpunkt entweder einem Befreiungsschlag gleich oder aber einem Hütchenspiel mit viel Trickserei und ganz, ganz bösem Ende für die schönen Künste.
So viel zur Ausgangslage: Berlin verfügt mit seiner Gemäldegalerie über eine der bedeutsamsten Sammlungen Alter Meister weltweit. Beherbergt wird sie von einem erst 1998 eröffneten Museum, das dafür zwar maßgeschneidert wurde, sich jedoch in einer etwas ungünstigen innerstädtischen Brachenlandschaft neben der Philharmonie und in Sichtweite des Potsdamer Platzes befindet. Ebenfalls ganz in der Nähe liegt die Neue Nationalgalerie mit ihrem berühmten Mies-van-der-Rohe-Bau aus dem Jahr 1968 – der als Ausstellungsfläche für insbesondere die Kunst der Klassischen Moderne schon seit Anbeginn aus allen Nähten platzt; nur ein kleiner Bruchteil der Bestände kann überhaupt dort gezeigt werden.
Seite 2: Das Museum soll inis 21. Jahrhundert gelangen
Einen halben Kilometer Luftlinie in nordöstlicher Richtung von diesem Quartier entfernt: die Museumsinsel mit unter anderen dem Bode-Museum für Skulpturen vom Mittelalter bis zum späten 18. Jahrhundert. Wäre es nicht schlau, so schlugen es die Befürworter der Rochade schon vor mehr als zehn Jahren vor, die Alten Meister aus der Gemäldegalerie auf die Museumsinsel zu bringen und die Gemäldegalerie stattdessen in ein großes „Museum des 21. Jahrhunderts“ umzuwidmen? Zumal sämtliche Flächen und Kunstwerke, die davon betroffen sind, ohnehin der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ unterstehen?
Wie aus diesem alles andere als abwegigen Plan quasi über Nacht ein erbitterter Kulturkampf werden konnte, ist ein Rätsel, das nicht nur Hermann Parzinger zu schaffen macht. Sondern auch Bundestagsabgeordneten wie Monika Grütters von der CDU, die mit viel Engagement für die Rochade geworben haben und es als Signal feiern wollten, dass die zehn Millionen Euro im Nachtragshaushalt für die Umbaumaßnahmen der Gemäldegalerie zu einem „Museum des 21. Jahrhunderts“ bewilligt worden waren.
Warum es anders kam, versucht Parzinger sich nun mit einem „etwas unglücklichen Ablauf der Ereignisse“ zu erklären. Auch seine Stiftung sei von dem Zehn-Millionen-Segen überrascht worden, „wir hätten das gerne anders kommuniziert“. Vielleicht ahnte er ja bereits, dass sogar Feuilletonschreiber inzwischen vom Wutbürgervirus infiziert sind und plötzlich wild um sich schlagen können, wenn sie sich vor vermeintlich vollendete Tatsachen gesetzt fühlen. Der notorische Herdentrieb in der Kunstkritik sorgt dann für den Rest.
Also hat Hermann Parzinger die vergangenen Wochen vor allem damit zugebracht, dem anschwellenden Bocksgesang seiner Kritiker Argumente entgegenzusetzen. Da geht es beispielsweise um den Vorwurf, die altmeisterlichen Gemälde würden wegen der Rochade für Jahrzehnte, wenn nicht für immer in irgendwelchen Lagern verschwinden. Falsch, beteuert der Stiftungschef, maximal sieben Jahre lang müsse wegen des Umzugs mit Einschränkungen gerechnet werden: Die Hälfte der aktuell gezeigten Werke könne im Bode-Museum präsentiert werden, und weil für die Übergangszeit bis zur Eröffnung eines Neubaus auf der Museumsinsel provisorische Ausstellungsflächen gefunden würden, seien 70 bis 80 Prozent des Bestands auch weiterhin öffentlich zugänglich. „Wenn man uns da vorwirft, Kulturschänder zu sein, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.“
Mit noch größerem Unverständnis dürfte Parzinger auf einen Zeitungsartikel des FAZ-Altkritikers Eduard Beaucamp reagiert haben, der Mitte Juli in geradezu unflätiger Weise die Umzugspläne verdammte: Von einem „Handstreich“ war da die Rede, von einem „Abbruchunternehmen“ und einem „brachialen Planungsdesaster“. Einmal davon abgesehen, dass derselbe Beaucamp die Rochadenpläne einige Jahre zuvor noch regelrecht bejubelt hatte, nutzte der inzwischen 75-jährige Kritiker seine Suada gleich noch für persönliche Beleidigungen: Parzinger sei „ohne Sensibilität für die klassischen Künste“, seine Argumente von „Einfalt und Grobheit“ gezeichnet. Will sagen: Ein Archäologe an der Spitze der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ mit ihren 16 Staatlichen Museen, der Staatsbibliothek und etlichen Instituten, das könne ja sowieso nicht gut gehen – solche Typen graben doch sonst nur den Sand in der Wüste um.
„Sprachlich war das zum Teil unter der Gürtellinie“, sagt Parzinger, aber was ihn wirklich entsetzt habe: „Dass die FAZ einer Gegenmeinung überhaupt keinen Platz einräumt.“ Er selbst sei von der Sekretärin abgewimmelt worden beim Versuch, den zuständigen Feuilleton-Herausgeber ans Telefon zu bekommen. Kein Wunder also, wenn bei der Preußen-Stiftung inzwischen von einer Kampagne die Rede ist. Gut möglich, heißt es, dass alte Differenzen wegen dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses der Grund dafür sind; auch an diesem Vorhaben ist die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ maßgeblich beteiligt.
Seite 3: Als Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts einen Namen gemacht
Dass dem Archäologen Parzinger vor gut vier Jahren eine der größten Kulturinstitutionen des Landes anvertraut wurde, war kein Zufall – am Ende machte er sogar gegen den flamboyanten Kulturwissenschaftler Martin Roth das Rennen, der inzwischen das „Victoria and Albert Museum“ in London leitet. Aber Parzinger hatte sich bis dahin eben nicht nur als Altertumsforscher von Weltrang etabliert, sondern als Leiter des „Deutschen Archäologischen Instituts“ noch dazu großes organisatorisches Geschick bewiesen. Außerdem spricht der Mann zehn Sprachen und hat exzellente Kontakte nach Russland, die er bei Verhandlungen über die Rückgabe von Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg bestens zu nutzen weiß. Für seine Verdienste um die Erforschung der Skythen, eines Reiternomadenvolks, das im 8. Jahrhundert in die Wolgagegend vordrang, bekam Parzinger vor drei Jahren sogar den „Orden der Freundschaft“ von Dmitri Medwedew überreicht – die höchste Auszeichnung, die Russland an Ausländer zu vergeben hat. Während seiner Urlaube nimmt der passionierte Forscher immer noch an Grabungen teil, doch dass ihm dieser wissenschaftliche Eifer jetzt als Ausweis für Kulturbanausentum vorgehalten wird, hätte er sich wahrlich nicht träumen lassen. „Etwas billig“ sei diese Masche seiner Kritiker, stellt Hermann Parzinger dazu nur kühl fest.
Im Arbeitszimmer des Stiftungspräsidenten, gleich neben der Eingangstür, befindet sich eine Ansicht des Brandenburger Tors – ein Werk Oskar Kokoschkas, das bereits von Parzingers Vorgänger ausgesucht worden war. Er selbst hat sich aus dem Archiv zwei Bilder von Erich Heckel ausgeliehen, die nun neben seinem Schreibtisch hängen; der Übergang von Impressionismus zum Expressionismus bei diesem Künstler fasziniere ihn – „auch wenn manche Kollegen ein bisschen die Nase rümpfen“.
Vom Sitz der Preußen-Stiftung am Landwehrkanal gelangt man zu Fuß in weniger als 15 Minuten zur Gemäldegalerie. Parzinger gibt gerne zu, dass er selbst viel zu selten den Weg dorthin finde – er hat sich eben noch um tausend andere Sachen zu kümmern. Aber auch auf Kunstinteressierte mit deutlich weniger Zeitdruck wirkt das Museum mit seinen altmeisterlichen Schätzen nicht gerade wie ein Magnet: 250 000 Besucher im Jahr; die „Gemäldegalerie Alte Meister“ in Dresden kommt auf das Doppelte. Nun vertreten zwar beflissene Advokaten der reinen Lehre den Standpunkt, wer sich an solcherlei Zahlen orientiere, stelle die schönen Künste „auf eine Stufe mit Massenspektakeln“ (FAZ). Doch diese reichlich dünkelhafte Haltung lässt wiederum Parzinger nicht gelten: „Wir haben ja auch einen Beitrag zur kulturellen Bildung zu leisten.“ Und da darf man sich durchaus schon mal die Frage stellen, warum in der Berliner Gemäldegalerie trotz ihrer grandiosen Sammlung nicht selten mehr Museumswärter als Museumsgäste anzutreffen sind.
„Es würde dem Ort wirklich helfen, wenn er ein klareres Profil bekäme“, lautet Parzingers feste Überzeugung. Gerade wegen der Nähe zum Potsdamer Platz, zur Philharmonie von Hans Scharoun und natürlich zum Mies-Bau der Neuen Nationalgalerie sei die heutige Gemäldegalerie prädestiniert für ein Museum mit der Kunst des 20. Jahrhunderts. „Davon haben wir hier in Berlin einen riesigen Bestand, den kein Mensch kennt, weil er wegen Platzmangels nicht gezeigt werden kann.“ Das alles künftig unter einem Dach sehen zu können – Befürworter der Rochade verwenden dafür den Slogan „Von Brücke bis Beuys“ –, sei eine „riesige Chance“. Von dieser Meinung lässt sich Hermann Parzinger auch nicht durch eine Internet-Petition beirren, die mittlerweile an die 15 000 Umzugsskeptiker aus aller Welt unterzeichnet haben. Ob diese Leute wirklich alle wissen, dass Parzinger sich auf die Rochade nur einlassen will, wenn der Bundestag einen Neubau für die Alten Meister auf der Museumsinsel garantiert? Fraglich.
„Ich wage vorauszusagen: Wenn dieser große Plan jetzt scheitert, dann ist er für immer gescheitert.“ Was sich wie eine Drohung liest, klingt aus dem Munde Parzingers eher wie ein Appell an die Vernunft. Das laute Getöse hat ihn jedenfalls am Kern der Sache nicht zweifeln lassen; die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ wird unter Führung des gebürtigen Münchners weiter für die Rochade kämpfen. Und daran, dass Hermann Parzinger ein ziemlich versierter Kämpfer ist, besteht wenig Zweifel: Der Archäologe ist ganz nebenbei nämlich auch noch erfolgreicher Judoka: schwarzer Gürtel, 2. Dan, mehrfacher Berliner Meister in der Altersklasse über 30. Da ist schon ein bisschen Geschick nötig, um so jemanden auf die Matte zu legen.
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