- Schluss mit dem Erzählen
Roman Mit «Das Handwerk des Tötens» führt Norbert Gstrein in die Höhere Schule der Zimperlichkeit
Widmungen können aussagekräftig sein, besonders dann, wenn sie so auffallend arrangiert sind wie in Norbert Gstreins neuem Roman «Das Handwerk des Tötens». Da liest man zunächst: «Zur Erinnerung an / Gabriel Grüner / (1963–1999) / über dessen Leben und dessen Tod / ich zu wenig weiß / als daß ich / davon erzählen könnte.» Blättert man um, ndet sich die zweite Widmung: «i za Suzanu» («und für Suzana»).
Die erste, kursiv gesetzte, ist die Schauseite, die ofzielle Geschichte; sie soll an den aus Südtirol stammenden «Stern»-Journalisten Gabriel Grüner erinnern, der am 13. Juni 1999 in Jugoslawien mit einem Fotografen und dem Chauffeur aus dem Hinterhalt erschossen wurde. Grüner war es auch, der im Jahre 1996 mit Peter Handke eines der mittlerweile legendären Interviews über Serbien geführt hatte.
Das zweite Motto in kroatischer Sprache will kryptisch und privat wirken. Und damit ist auch schon das Schisma benannt, dem dieser Roman trotz seiner formalen Perfektion seine Umständlichkeit und Brüchigkeit verdankt. Keinem Leser darf man es verübeln, wenn er auf Grund des Titels und des ersten Mottos einen Roman über den Jugoslawien-Krieg erwartet; von diesem ist auch die Rede, allerdings naht sich Gstrein dieser Materie auf eine zwar interessante, aber höchst umständliche Weise.
Roman über einen Roman im Roman Dass er nicht zu jenen gehören möchte, die sich in der Wärmestube der guten Gesinnung von der Klostersuppe des Einverständnisses nähren, hat Gstrein mit dem Roman «Die englischen Jahre» (1999) recht augenfällig demonstriert. In seiner Rede auf Jorge Semprún im Jahre 2001 ist er auf Distanz zu einer Literatur gegangen, deren Verfasser «an eine naive Abbildbarkeit glauben und zugunsten einer sympathetischen Haltung auf Reflexion verzichten». Das Problem bei diesen Büchern sei, «daß ihnen das Erzählen kein Problem zu sein scheint, weil sie von der paradoxen Situation nichts wissen, die jeder Versuch einer Annäherung nach sich zieht».
Eine respektable Haltung, aber, mit Verlaub, so neu ist sie nicht, und aus ähnlichen Motiven haben Autoren schon Ende der sechziger Jahre gegen das Erzählen polemisiert, zugleich aber auch seine Unhintergehbarkeit erkannt, wie etwa Michael Scharang, an dessen provokanten Buchtitel «Schluß mit dem Erzählen und andere Erzählungen» (1969) erinnert werden sollte. Zu erinnern wäre auch an die penible Erzählpraxis in den «Jahrestagen» Uwe Johnsons, in dessen Namen Gstrein ja unlängst ausgezeichnet wurde.
Um zum Thema des Jugoslawien-Kriegs den gehörigen Abstand zu gewinnen, hat sich der Autor Gstrein eine recht komplizierte Konstruktion ausgedacht. Der namenlose Erzähler, ein Hamburger Journalist, dessen Eltern aus Wien stammen, lernt den aus Tirol stammenden Journalisten Paul kennen, der wiederum den im Kosovo erschossenen, aus Südtirol stammenden Journalisten Christian Allmayer kannte. Paul investiert nun alle seine Energien in einen Roman über Allmayer, und wir erfahren, wie er dabei scheitert. Sein Scheitern aber ist, so könnte man das Paradox fassen, die Ursache dafür, dass der Roman, den wir gerade lesen, gelingt.
Paul ist ein «Untergeher» à la Thomas Bernhard, und der Erzähler verfolgt dessen Unternehmungen mit verständlicher Skepsis. Diese Konstellation, mit der jeder Zugang zu den Fakten des Krieges zweifach abgefedert wird, ist nicht immer leicht nachvollziehbar. Aber Gstrein tut noch ein Übriges: Er hat auch die Beziehungskiste vollgepackt. Paul, dessen Ehe unglücklich verlaufen ist, hat eine neue Lebensgefährtin, eine Kroatin namens Helena. Überflüssig zu sagen, dass Kritiker wie in einem Pawlowschen Reflex diesen Namen im Zusammenhang mit Krieg als besonders beziehungsreich empnden müssen.
Helena sei, so sagt Paul gleich zu Beginn, sein «Todesengel». Mit diesen und ähnlichen Bemerkungen will er sich offenkundig vor den anderen interessant machen, wächst sich aber nur zu einer bemitleidenswerten, tragikomischen Figur aus. Bei einem schweren Verkehrsunfall, den er mit Glück überlebt, erleidet er körperliche Dauerschäden, wird immer wunderlicher und begeht schließlich Selbstmord in einem Zagreber Hotel. Es gibt keinen Nachlass, die Romanfragmente hat er offenbar vernichtet. Nur ein Blatt ndet sich mit dem Satz «Ich werde nicht mehr schreiben», und darunter: «Cesare Pavese, ‹Das Handwerk des Lebens›».
Der Erzähler meint nun, er sei es Allmayer schuldig, über ihn und sein Ende zu schreiben. Helena ist in der Tat zum Todesengel geworden; und der Erzähler hat, so legt es zumindest der Roman nahe, dabei eine ungute Rolle gespielt – Helena und er scheinen aneinander Gefallen zu nden. «Sie blieb in dieser Nacht bei mir, aber ich werde nicht den Fehler machen, mehr darüber verlauten zu lassen, werde mich hüten, davon zu erzählen wie in den Liebesromanen, außer daß ich sie gebeten habe, ein paar Worte kroatisch für mich zu sprechen.» Damit will uns Gstrein offenkundig sagen: Mit dem Krieg ist es wie mit der Liebe – worüber man nicht erzählen kann, darüber muss man Andeutungen machen.
Der Untergang eines Verlierers Paul ist der Verlierer in allen Dreieckskonstellationen. Man muss dieses Beziehungsgeflecht aufdröseln, und das ist mitunter weitaus mühsamer als es interessant ist. An einigen Stellen – es geht da vor allem um Streit und Tratsch im Literaturbetrieb – schrammt der Text ganz knapp am Schlüsselroman vorbei, ein Manöver, das weder dem Werk noch seinem Schöpfer gut ansteht. Selbst Leser, die mit der Literaturszene Österreichs nicht vertraut sind, merken da den polemischen Unterton in manchen Passagen, die in der um Objektivität und Ausgewogenheit bemühten Diktion des Ganzen Fremdkörper sind. Das Schicksal Gabriel Grüners wird an entscheidenden Stellen variiert, doch sind zahlreiche Details aus seiner Biograe übernommen.
Die privaten Geschichten überwuchern zusehends das historische Geschehen, und statt mit Diagnosen oder Berichten konfrontiert zu werden, muss man sich mit Andeutungen und Umschreibungen begnügen. Dabei fehlen meist die Namen, und der Leser sollte wissen, um wen es sich etwa bei dem «längst verstorbenen Präsidenten» mit dem «wehleidigen und süfsanten Ausdruck» handelt. Später einmal wird man Kommentatoren bemühen müssen, damit das Buch überhaupt verständlich ist. Und worin beruht der Gewinn an Objektivität, wenn uns heute der Name Franjo Tudjman vorenthalten wird? Hingegen wird durch diese Art Umschreibung eine ermüdende Zimperlichkeit kultiviert, die einer tief sitzenden Berührungsangst vor den konkreten Fakten zu entspringen scheint.
Das Buch zerfällt in unzählige Situationen, und in deren subtiler Gestaltung liegt die Stärke Gstreins. Der Höhepunkt ist die Einsicht des Erzählers, dass der Reporter Allmayer von einem Ereignis in seiner drastischen Konsequenz nicht erzählen durfte, ja den Bericht fälschen musste, um seine Existenz nicht zu gefährden. Diese Episode wird geschickt vorgebracht, sie wird spannend aufgebaut – aber Ähnliches ndet sich in jeder besseren Verbrechergeschichte, und für diesen Roman wäre der Krieg als Folie nicht notwendig gewesen. Die Brisanz des historischen Ereignisses wird geopfert, um der Reinheit der Kunst Genüge zu tun.
Schreibhemmungen sind achtbar, vor allem wenn es um ein so prekäres Thema wie den Krieg geht. Doch aus einer Schreibhemmung heraus einen ganzen Roman zu machen, ist doch sehr problematisch. Norbert Gstrein wollte sich behelfen und hat auf der Suche nach einer neuen Methode reagiert wie einer, der mit der Leistung seiner Beine unzufrieden ist und meint, dass Stelzen der wahre Fortschritt beim Vorwärtskommen wären.
Norbert Gstrein
Das Handwerk des Tötens. Roman
Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003. 381 S., 26,80 €
Die erste, kursiv gesetzte, ist die Schauseite, die ofzielle Geschichte; sie soll an den aus Südtirol stammenden «Stern»-Journalisten Gabriel Grüner erinnern, der am 13. Juni 1999 in Jugoslawien mit einem Fotografen und dem Chauffeur aus dem Hinterhalt erschossen wurde. Grüner war es auch, der im Jahre 1996 mit Peter Handke eines der mittlerweile legendären Interviews über Serbien geführt hatte.
Das zweite Motto in kroatischer Sprache will kryptisch und privat wirken. Und damit ist auch schon das Schisma benannt, dem dieser Roman trotz seiner formalen Perfektion seine Umständlichkeit und Brüchigkeit verdankt. Keinem Leser darf man es verübeln, wenn er auf Grund des Titels und des ersten Mottos einen Roman über den Jugoslawien-Krieg erwartet; von diesem ist auch die Rede, allerdings naht sich Gstrein dieser Materie auf eine zwar interessante, aber höchst umständliche Weise.
Roman über einen Roman im Roman Dass er nicht zu jenen gehören möchte, die sich in der Wärmestube der guten Gesinnung von der Klostersuppe des Einverständnisses nähren, hat Gstrein mit dem Roman «Die englischen Jahre» (1999) recht augenfällig demonstriert. In seiner Rede auf Jorge Semprún im Jahre 2001 ist er auf Distanz zu einer Literatur gegangen, deren Verfasser «an eine naive Abbildbarkeit glauben und zugunsten einer sympathetischen Haltung auf Reflexion verzichten». Das Problem bei diesen Büchern sei, «daß ihnen das Erzählen kein Problem zu sein scheint, weil sie von der paradoxen Situation nichts wissen, die jeder Versuch einer Annäherung nach sich zieht».
Eine respektable Haltung, aber, mit Verlaub, so neu ist sie nicht, und aus ähnlichen Motiven haben Autoren schon Ende der sechziger Jahre gegen das Erzählen polemisiert, zugleich aber auch seine Unhintergehbarkeit erkannt, wie etwa Michael Scharang, an dessen provokanten Buchtitel «Schluß mit dem Erzählen und andere Erzählungen» (1969) erinnert werden sollte. Zu erinnern wäre auch an die penible Erzählpraxis in den «Jahrestagen» Uwe Johnsons, in dessen Namen Gstrein ja unlängst ausgezeichnet wurde.
Um zum Thema des Jugoslawien-Kriegs den gehörigen Abstand zu gewinnen, hat sich der Autor Gstrein eine recht komplizierte Konstruktion ausgedacht. Der namenlose Erzähler, ein Hamburger Journalist, dessen Eltern aus Wien stammen, lernt den aus Tirol stammenden Journalisten Paul kennen, der wiederum den im Kosovo erschossenen, aus Südtirol stammenden Journalisten Christian Allmayer kannte. Paul investiert nun alle seine Energien in einen Roman über Allmayer, und wir erfahren, wie er dabei scheitert. Sein Scheitern aber ist, so könnte man das Paradox fassen, die Ursache dafür, dass der Roman, den wir gerade lesen, gelingt.
Paul ist ein «Untergeher» à la Thomas Bernhard, und der Erzähler verfolgt dessen Unternehmungen mit verständlicher Skepsis. Diese Konstellation, mit der jeder Zugang zu den Fakten des Krieges zweifach abgefedert wird, ist nicht immer leicht nachvollziehbar. Aber Gstrein tut noch ein Übriges: Er hat auch die Beziehungskiste vollgepackt. Paul, dessen Ehe unglücklich verlaufen ist, hat eine neue Lebensgefährtin, eine Kroatin namens Helena. Überflüssig zu sagen, dass Kritiker wie in einem Pawlowschen Reflex diesen Namen im Zusammenhang mit Krieg als besonders beziehungsreich empnden müssen.
Helena sei, so sagt Paul gleich zu Beginn, sein «Todesengel». Mit diesen und ähnlichen Bemerkungen will er sich offenkundig vor den anderen interessant machen, wächst sich aber nur zu einer bemitleidenswerten, tragikomischen Figur aus. Bei einem schweren Verkehrsunfall, den er mit Glück überlebt, erleidet er körperliche Dauerschäden, wird immer wunderlicher und begeht schließlich Selbstmord in einem Zagreber Hotel. Es gibt keinen Nachlass, die Romanfragmente hat er offenbar vernichtet. Nur ein Blatt ndet sich mit dem Satz «Ich werde nicht mehr schreiben», und darunter: «Cesare Pavese, ‹Das Handwerk des Lebens›».
Der Erzähler meint nun, er sei es Allmayer schuldig, über ihn und sein Ende zu schreiben. Helena ist in der Tat zum Todesengel geworden; und der Erzähler hat, so legt es zumindest der Roman nahe, dabei eine ungute Rolle gespielt – Helena und er scheinen aneinander Gefallen zu nden. «Sie blieb in dieser Nacht bei mir, aber ich werde nicht den Fehler machen, mehr darüber verlauten zu lassen, werde mich hüten, davon zu erzählen wie in den Liebesromanen, außer daß ich sie gebeten habe, ein paar Worte kroatisch für mich zu sprechen.» Damit will uns Gstrein offenkundig sagen: Mit dem Krieg ist es wie mit der Liebe – worüber man nicht erzählen kann, darüber muss man Andeutungen machen.
Der Untergang eines Verlierers Paul ist der Verlierer in allen Dreieckskonstellationen. Man muss dieses Beziehungsgeflecht aufdröseln, und das ist mitunter weitaus mühsamer als es interessant ist. An einigen Stellen – es geht da vor allem um Streit und Tratsch im Literaturbetrieb – schrammt der Text ganz knapp am Schlüsselroman vorbei, ein Manöver, das weder dem Werk noch seinem Schöpfer gut ansteht. Selbst Leser, die mit der Literaturszene Österreichs nicht vertraut sind, merken da den polemischen Unterton in manchen Passagen, die in der um Objektivität und Ausgewogenheit bemühten Diktion des Ganzen Fremdkörper sind. Das Schicksal Gabriel Grüners wird an entscheidenden Stellen variiert, doch sind zahlreiche Details aus seiner Biograe übernommen.
Die privaten Geschichten überwuchern zusehends das historische Geschehen, und statt mit Diagnosen oder Berichten konfrontiert zu werden, muss man sich mit Andeutungen und Umschreibungen begnügen. Dabei fehlen meist die Namen, und der Leser sollte wissen, um wen es sich etwa bei dem «längst verstorbenen Präsidenten» mit dem «wehleidigen und süfsanten Ausdruck» handelt. Später einmal wird man Kommentatoren bemühen müssen, damit das Buch überhaupt verständlich ist. Und worin beruht der Gewinn an Objektivität, wenn uns heute der Name Franjo Tudjman vorenthalten wird? Hingegen wird durch diese Art Umschreibung eine ermüdende Zimperlichkeit kultiviert, die einer tief sitzenden Berührungsangst vor den konkreten Fakten zu entspringen scheint.
Das Buch zerfällt in unzählige Situationen, und in deren subtiler Gestaltung liegt die Stärke Gstreins. Der Höhepunkt ist die Einsicht des Erzählers, dass der Reporter Allmayer von einem Ereignis in seiner drastischen Konsequenz nicht erzählen durfte, ja den Bericht fälschen musste, um seine Existenz nicht zu gefährden. Diese Episode wird geschickt vorgebracht, sie wird spannend aufgebaut – aber Ähnliches ndet sich in jeder besseren Verbrechergeschichte, und für diesen Roman wäre der Krieg als Folie nicht notwendig gewesen. Die Brisanz des historischen Ereignisses wird geopfert, um der Reinheit der Kunst Genüge zu tun.
Schreibhemmungen sind achtbar, vor allem wenn es um ein so prekäres Thema wie den Krieg geht. Doch aus einer Schreibhemmung heraus einen ganzen Roman zu machen, ist doch sehr problematisch. Norbert Gstrein wollte sich behelfen und hat auf der Suche nach einer neuen Methode reagiert wie einer, der mit der Leistung seiner Beine unzufrieden ist und meint, dass Stelzen der wahre Fortschritt beim Vorwärtskommen wären.
Norbert Gstrein
Das Handwerk des Tötens. Roman
Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003. 381 S., 26,80 €
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.