Pippi Langstrumpf - Rebellin in Ringelstrümpfen

Sein wie Pippi, was sonst: am stärksten und reich. Alle Meere der Welt befahren. Ein Koffer voll Gold. Später die Villa, der Affe, das Pferd. Weder Kind noch erwachsen. Mutterseelenallein. Weder Tageszeiten noch Vorschriften kennen. Mit den Füßen auf dem Kopfkissen schlafen. Nicht aus menschlichem Holz sein. Mit dem Feuer spielen. Gutes nur zum Vergnügen tun. Abschiede feiern. Herzen brechen. Nachher trotzdem zu Hause bleiben. Sachen suchen, die man selber versteckt hat. Sie finden. Weder lesen noch schreiben. Große Klappe. Alles besser wissen. Eltern und Kinder belehren. Lehrer und Tanten zur Weißglut treiben. Polizisten wie Räuber das Fürchten lehren. Monströs, übermenschlich, dämonisch. Sommersprossig. Komisch gekleidet. Worte und Wörter im Mund umdrehen.

Geschichten, was sonst. Nicht um ihre Kraft, nicht um ihr Geld beneide ich Pippi Langstrumpf. Nur um die Geschichten. Nicht erlogen, ehrlich erfunden. Rhetorik. Vergnügen. Keiner, der ihr das Wasser reicht. Heute schon gar nicht, da Unsinn unter den Zensurhammer fällt. Wie die Geschichte von Hai Shang: «‹Seine Ohren waren so groß, dass er sie als Pelerine benutzen konnte. Wenn es regnete, kroch er nur unter die Ohren und hatte es so warm und schön, wie man es sich nur denken kann. (…) Er hatte mehr Kinder, als er zählen konnte, und das kleinste hieß Peter.› (…) ‹Ja, aber ein Chinesenkind kann doch nicht Peter heißen›, wandte Thomas ein.»

Wenig später muss Peter sterben, weil er den Verzehr von Schwalbennestern verweigert: «‹Er konnte nicht leben›, sagte Pippi. ‹Er starb. Aus reinem Trotz. Am 18. Oktober. Und er wurde am 19. begraben. Und am 20. kam eine Schwalbe durchs Fenster geflogen und legte ein Ei in das Schwalbennest, das auf dem Tisch lag. So wurde es jedenfalls noch zu etwas nütze. Kein Schaden war geschehen.›» Weniger glimpflich kommt ein Ofenmacher aus Kalkutta davon, der zu lange geschwiegen hat: «‹Da schaute ich ihm in den Mund, und denkt bloß, da lag die Zunge wie ein welkes Blatt! Und solange er lebte, konnte er niemals etwas anderes sagen als: ‹U buj uje muj!› (…) Lasst mal hören, ob ihr es besser sagen könnt als der Ofenmacher: ‹Glückliche Reise, liebe Pippi, und Dank für die schöne Zeit!›»

Eine schöne Zeit hatten wir wirklich. Jeder nach seinen Wünschen. Das Land nebenan hieß Bullerbü und wurde von meiner Schwester bewohnt. Hin und wieder trafen wir uns auf der schmalen Grenze und tauschten die neuesten Nachrichten aus. Von Pippis höherer Einsamkeit wusste ich nichts. Sie holte mich erst Jahre später ein, als ich, unvermutet erwachsen geworden, plötzlich las, wie es wirklich zu Ende geht: «Pippi saß am Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt. Mit einem träumerischen Ausdruck starrte sie auf ein kleines flackerndes Licht, das vor ihr stand. ‹Sie – sie sieht irgendwie einsam aus›, sagte Annika, und ihre Stimme zitterte etwas.› (…) ‹Wenn sie herschauen würde, dann könnten wir ihr zuwinken›, sagte Thomas. Aber Pippi starrte nur träumerisch vor sich hin. Dann löschte sie das Licht aus.»

Felicitas Hoppe, 1960 in Hameln geboren, erhielt 2012 den Georg-Büchner-Preis. Zuletzt erschien ihr Roman «Hoppe» (S. Fischer)

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Kathrin Schmidt - "Späte Begegnung"

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Post für Pippi L. – Schriftstellerinnen von heute erinnern sich an das Idol ihrer Kindheit.

Sommer-Ausgabe von Literaturen – ab Donnerstag (23.05.) am Kiosk und im Online-Shop erhältlich.

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