- „Das ist Macherkultur“
Stefan Schmidtke über Chemnitz, den Osten und seine einzigartige Macherkultur
Herr Schmidtke, seit Dezember 2021 sind Sie Geschäftsführer einer Gesellschaft, die den etwas nüchternen Titel „Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 GmbH“ trägt. Was reizt einen an diesem Job?
Das ist die komplexeste Kulturmanagementaufgabe, die man sich überhaupt vorstellen kann. Viele Leute denken, wir seien eine Art kuratiertes Kunstfestival. Das ist es nicht. Europäische Kulturhauptstadt ist ein Stadtentwicklungsprojekt. Das reicht von Sport über Jugend, Religionsgemeinschaften, Umwelt bis zur Kunst. Das ist ein großer atmosphärischer Prozess. Diesen managen zu dürfen ist also eine Herausforderung der Extraklasse. Und das Besondere: Diesen Job gibt es nur alle 15 Jahre in Deutschland.
Na dann: Herzlichen Glückwunsch! Sie kommen ja selbst aus der Region, einer mittelsächsischen Stadt namens Döbeln …
Ja, in meiner Jugend war Karl-Marx-Stadt für mich die ganz große Welt.
Nach Stationen in Moskau, Düsseldorf und Wien ist Chemnitz also eine Art Heimspiel. Macht es das für Sie einfacher?
Nee, gar nicht. Das macht es doppelt schwer. Alle sagen jetzt: „Der Schmidtke, das ist unser Mann! Der wird das schon richten!“ Ich glaube, als Fremder hat man es leichter.
Man vertraut Ihnen. Das ist doch toll.
Man schenkt mir das Vertrauen qua Herkunft. Aber jetzt muss ich beweisen, dass ich das auch rocken kann. Das ist eine schwierige Aufgabe. Es gibt noch keine Ergebnisse. Das Einzige, was wir derzeit haben, ist die Inaussichtstellung eines Prozesses. Wir haben den Titel errungen. Jetzt müssen wir beweisen, dass wir diesem gerecht werden. Der harte Job kommt also noch.
Was bringt denn so ein typischer Mittelsachse für diesen harten Job alles mit?
Zunächst eine DDR-Biografie; die endet mit meinem zwanzigsten Lebensjahr, eigentlich ein guter Zeitpunkt.
Warum das?
Diejenigen, die die Wende im Berufsleben erwischt hat, hatten weit kompliziertere Übergänge, um in ihrem neuen Leben anzukommen. Ich hatte gerade Abi. Beste Voraussetzungen für einen Neuanfang. Ich bin aber schon vor dem Mauerfall weg aus Sachsen. In Ost-Berlin gab es damals die geileren Jobs. Es gibt also mittlerweile ein Zeitfenster von über 30 Jahren, der Abstand schärft im Moment die Sinne. Ich habe auch eine Menge auf allen Kontinenten erleben dürfen.
Sie kennen Sachsen also nur noch aus dem Fernsehen?
Es macht einen zuweilen hilflos, wenn man bestimmte Themen nur in den Medien verfolgt. Jetzt endlich aber habe ich den Abgleich mit der Realität.
Und, wie ist der?
Ich kann nur sagen: Unser Motto „C the Unseen“ ist die treffendste Überschrift für diese sächsisch-europäische Kulturhauptstadt. So wie die Menschen mich hier aufnehmen und mit Ideen überschütten, hätte ich das nie erwartet. Die Menschen in Chemnitz sind so ganz anders als die Menschen, die man durch das enge Nadelöhr der Medien wahrnimmt.
Sie sprachen gerade über Ihre DDR-Biografie. Wie viel Karl-Marx-Stadt steckt denn noch in Chemnitz selbst?
Chemnitz ist nicht der Osten, sondern eine sehr spezifische Stadt im Osten. Eine Stadt, die durch Industrie- und Macherkultur geprägt worden ist. Eine Stadt, die sich seit mehr als hundert Jahren von anderen ostdeutschen Städten wie Halle, Magdeburg, Weimar oder Berlin unterscheidet. Chemnitz ist auch ganz anders als Dresden, wo überall Schnörkel wachsen. Chemnitz ist die Stadt der Tüftler, der Macher.
Wie schlägt sich diese Macherseite denn im Fahrplan für das Jahr 2025 nieder?
Unsere Aufgabe ist die Umsetzung des sogenannten „Bid Book II“. Darin gibt es 72 gigantische Projekte, mit denen die Ideengeberinnen und Ideengeber den Titel Europäische Kulturhauptstadt gewonnen haben. Wir werden zum Beispiel 3000 Garagen öffnen, ein Projekt, an dem 10 000 Menschen mit beteiligt sind. Wir werden 4000 Apfelbäume pflanzen; dafür werden 24 000 Quadratmeter Fläche saniert. Da geht es zur Sache. Wir schaffen eine städtische Avantgarde, die die Top-Kulturbetriebe mit Initiativen und Vereinen vernetzt. Das schafft städtische Kultur, Kunst und Gesellschaft.
Chemnitz ist also nichts für Individualisten?
Doch, doch, eben gerade! Und nun gilt es, alle zusammenzubringen. Mein Postkasten quillt über vor Anfragen und Hilfsangeboten. Das ist der Wahnsinn! Ich muss nicht mal mein Büro verlassen. Meine Telefonnummer spricht sich überall rum. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Jetzt muss ich das erst einmal alles strukturieren. Wir sind ja noch im Embryonalstadium. Aber das ist weit mehr als ein echt guter Anfang.
Dies ist ein Artikel aus dem Sonderheft „Chemnitz Capital“ von Cicero und Monopol. Die Inhalte sind auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts zur Verfügung gestellt.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.