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Gut verloren: Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König nach der Wahl von Chemnitz zur Europäischen Kulturhauptstadt / dpa

Streit um Kulturhauptstadt Chemnitz - Gattinnen-Geschäfte und Freunderlwirtschaft

Ein Journalist der Süddeutschen Zeitung glaubt, dass es bei der Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Seine Recherche erzählt viel über Lobbyisten und Hintermänner. Noch mehr verrät der Artikel aber über die aktuelle Unfähigkeit zur Niederlage.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Die Realität ist eine der Möglichkeiten, die nicht ignoriert werden kann“, heißt es in Leonard Cohens zweitem Roman „Beautiful Losers“ aus dem Jahr 1966. Es ist ein Buch über eine wilde und verwirrende Ménage à Trois im Kanada der goldenen Hippie-Jahre, eine verschachtelte Dreiecksgeschichte über Verletzungen, Eifersüchteleien … und natürlich über die Liebe. Die anfangs erwähnte Realität wird dem Leser als etwas vorgestellt, das im Extremfall zwar sehr wehtun oder gelegentlich auch unstimmig sein kann, das einem andererseits aber auch gewisse Annehmlichkeiten mit an die Hand gibt: Schwerkraft zum Beispiel, Sauerstoff oder Nürnberger Lebkuchen. Besser also, man akzeptiert dieses oft undurchdringliche Realitätsding – zumindest solange, wie einem ein Sprung in eine der vielen Parallelrealitäten verwehrt bleibt. 

Eine solche Akzeptanz vorausgesetzt ergäbe sich dann folgende Situation: Europäische Kulturhauptstadt 2025 wird in gut vier Jahren die sächsische Industriemetropole Chemnitz werden. Das ist seit Ende Oktober eigentlich Fakt und somit fast schon ein gutes Stück Wirklichkeit. In einem ordentlichen Bewerbungs- und Auswahlverfahren hat sich das Aschenbrödel unter Deutschlands Großstädten gegenüber den Mitkonkurrenten Hannover, Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg durchsetzen können. Verkündet wurde der Sieg am 28. Oktober von der zuständigen Jury im Europäischen Haus in Berlin.  

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Hans Jürgen Wienroth | Do., 10. Dezember 2020 - 10:20

Ein sehr guter Artikel, der jedoch nur einen Aspekt beleuchten kann. Wer von uns glaubt, dass dieses Vorgehen auf den Titel „Kulturhauptstadt“ beschränkt ist? Dieses Gebaren ist doch zum Standard in diesem „modernen Land“ der Netzwerker geworden, beherrscht die Politik und unser ganzes Leben.
Gut, dass das nichts mit Korruption zu tun hat. Gut, dass wir so umfassend und neutral informiert werden. Energie- und Verkehrswende haben keine Nachteile für uns und werden für die Bürger der EU bestimmt zum Riesenerfolg!?
Unsere Republik und die EU gleichen für mich mittlerweile dieser gelben, leicht gekrümmten Frucht, die so gesund sein soll.

Walter Bühler | Do., 10. Dezember 2020 - 13:18

Antwort auf von Hans Jürgen Wienroth

... durchdringen Parteien und Medien und bestimmen dadurch die Politik. Die herrschenden politischen Parteien übertragen den unkontrollierten NGO's aus den Netzwerken staatliche Aufgaben, die - wie sie wohl wissen - der von ihnen geführte Staat nicht bewältigen kann. Dafür erhalten die Netzwerke sehr viel Steuergeld und schieben sich so zwischen Volk und Parteien, entweder als "Berufsbetroffene", als "Haltungs-Therapeuten" oder als "Experten". Da diese Tätigkeiten außerordentlich gut bezahlt werden, und da kein Qualifikationsnachweis verlangt wird, ist dies zu einem äußerst lukrativen Geschäftsmodell verkommen. Aus dieser Sicht entpuppt sich die staatlich alimentierte "Zivilgesellschaft" als eine der größten Gefahren für die parlamentarische Demokratie in Europa.

Gerhard Lenz | Do., 10. Dezember 2020 - 20:06

Antwort auf von Hans Jürgen Wienroth

leider. Mir fallen sofort die Spendenskandale der Herrschaften Meuthen, Weidel, Reil ein. Bis heute nicht aufgeklärt, die Beteiligten verweigern jede Mithilfe zur Aufklärung.
Oder die Spendengelder, die im Rahmen der rechtsextremistischen Kyffhäuserfeste eingenommen wurden, und auf dem Konto des AfD-Kreisverbandes eines Herrn Hoecke gelandet sind.

Klar doch, das sind alles Politneulinge, die haben nur ein paar Fehler gemacht. Um so wichtiger, ihnen niemals die Möglichkeit zu geben, solche "Anfängerfehler" in der praktischen Politik zu machen.

gerhard hellriegel | Do., 10. Dezember 2020 - 10:21

Dann gehört wohl unser Strafrecht auch zu den "gekränkten Idealisten", denn unerschütterlich verbietet und bestraft es, obwohl täglich dagegen verstoßen wird.
Wie hoffnungslos muss man sein, um sich so mit seinem Realismus abfinden zu können.

gabriele bondzio | Do., 10. Dezember 2020 - 11:21

über einen begeisterten Verlierer. Tja; Herr Hanselle, wenn einem auch so viel Geld durch die Lappen geht.
Das stochern im Wespennest ist ja auch nicht ungefährlich, die Stechfreudigkeit ist enorm gestiegen und die injezierte Giftdosis auch.
Zweifelhafte Beraterverträge haben es ja bis in die hohen Spitzen des Olymp geschafft, warum nicht auch auf niederer Ebene. Halbseidenen Schmu, bei der Vergabe öffentlicher Mittel und Ehrentitel, auch.
Ausgezeichnet wird der, der ausgezeichnet seine Zustimmung zur herrschenden Meinung bekundet. Er ist als Held und Vorbild für den Normalo zu betrachten.
Und bekommt`s hinten und vorn reingesteckt. Oder, wie in dem Fall, „... treffen sich auf den Hinterbühnen Lobbyisten und Berater, machen „bella figura“ und dicke Geschäfte.“
War zwar schon immer so, aber die Zunahme ist schon erstaunlich. Bei all der zungenfertigen Moral.

Karl-Heinz Weiß | Do., 10. Dezember 2020 - 11:47

Ein erfrischender Beitrag zur Lobbyarbeit, die-oh Wunder-auch im Kulturbereich stattfindet. Wahrscheinlich musste der SZ-Redakteur ran an das Thema, um zu Weihnachten mit Nürnberger Lebkuchen bedacht zu werden. Bei seinen nun täglichen Statements zur Coronalage nimmt der nun bundesweit bekannte Landtagsabgeordnete dieser Stadt auch sonst eine eher bedrohlich wirkende Miene vor der Nürnberger Burg ein.

Heidemarie Heim | Do., 10. Dezember 2020 - 12:11

Wie immer mit Niveau beschrieben lieber Herr Hanselle! Mit dem Anspruch oder positiv besetzten Begriff Kultur kann man scheinbar jede kleingeistige, neidgetriebene Reaktion wie die einer denkbar schlechten Verlierer(Kultur?) verbrämen. Wo bleibt da trotz Wissen um die Gleichheit der eingesetzten Mittel die heutzutage vielgepriesene "Haltung"? Gönnen können? Den Dreck vor der eigenen Haustür zur Kenntnis nehmen? Ich bitte Sie! Mein kindliches Frühtraining Thema "losen" bestand aus "Mensch ärgere Dich nicht" spielen mit meinem schon lange verstorbenen Vater. Seines Zeichens lebenslang SPD-Versammlungs-Mitglied und aktiv in einem Kleintierrassezüchterverein;) Seinen Ehrgeiz auf allen Gebieten was Hobby und Beruf betraf bekamen wir Kinder auch bei oben genanntem spielerischen Umgang zu spüren! Wo stets zügig ein erstaunlicher Rollentausch stattfand zwischen ihm, eigentlich Erwachsenen und uns Kindern hinsichtlich Trotzreaktionen im Kampf um gefallene Würfel und Bretthoheit;) MfG

Ernst-Günther Konrad | Do., 10. Dezember 2020 - 12:48

Wäre es der berühmte Einzelfall, würde ich mich empören. Aber so. Ein weiteres Kapitel in der deutschen Politiklandschaft, dass niemand mehr erschreckt oder wirklich empört. Vielleicht ein kurzer öffentlicher Aufschrei, geheuchelte Betroffenheit, die Schreie nach brutalst möglicher Aufklärung und dann? Jo, schnelles vergessen, ein anderer Skandal, der Kampf gegen Corona, gegen "rächts", weiter geht's im Takt. Dieses Land ist längst zu einer Bananenrepublik verkommen. Wie nennt man das heute? Richtig. Netzwerken, als synonym für Seilschaften, Korruption und kriminelle Verbindungen. In meinem nächsten Leben werde ich Berater. Da klappt es ja mit der persönlichen Absicherung wie geschmiert. Ich frage mich nur, wo der Anstand und die wirkliche Moral noch vorhanden ist. Ich meine nicht die Weltenrettungsmoral, die Klimamoral und die Corona Moral, nein, ich meine die ethische, menschliche, an Ehrlichkeit und persönlich Integrität verantwortungsvolle Moral. Soll ich mich noch aufregen?

Yvonne Stange | Do., 10. Dezember 2020 - 20:08

.... ist in jeglicher Hinsicht zu einem Selbstbedienungsladen für das entsprechende Klientel verkommen. Dieses Beispiel ist nur ein weiteres in der Reihe: Politiker, GEZ, Kampf gegen Rechts, Asyl, Asylindustrie.... und und und Mich wundert nichts mehr. Und um den Bürger, also den, der diese Gelder erarbeitet, um den geht es gar nicht mehr. Der hat nicht aufzuzucken, sonst ist er eben rääächtzzz. Klappe halten, auspressen lassen.

Wolfgang Schuckmann | Do., 10. Dezember 2020 - 23:57

Das hier durch diesen "Enthüllungsjournalisten" in Schwerstarbeit und offensichtlich ohne alle Emotionen und erschwerten Bedingungen recherchierte Ergebnis von Kungelei und Vetterleswirtschaft ist einfach nur erschütternd. Wo man es sich doch in Deutschland im Bett der Selbstgewissheit einer absolut korruptionsunempfindlichen Republik bequem gemacht hat. Nee, so ist es eben nicht. Und das wissen alle, die hier an den Schaltstellen von Macht und Geld sitzen. Und wird einer vergessen, geht das Geschrei los.
Egal wo man hin schaut zur Zeit, seien es die nicht ausgezahlten "Novemberhilfen" weil Software fehlt, seien es die unzulänglichen Mobilfunknetze, marode Autobahnbrücken und Fahrbahnen, die Bahn mit nicht hochgeschwindigkeitstauglichen Strecken, vorschnelle Abschlüsse mit Mautbetreibern für die gekippte Autobahnmaut, usw. usw. Dieses Land ist von einem vormalig hervorragenden Verwaltungsstandart zu einem Land verkommen, wo jeder nimmt was er kriegen kann. Mein Eindruck.