- Höllenqualen bei Jelinek
Gleich zwei große Auftritte hat der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair diesen Sommer: als Mephisto bei den Salzburger Festspielen und in dem Kinofilm „Die Vaterlosen“. Für den Legastheniker in ihm ein Duell mit dem Teufel.
Es ist die letzte Reise zu seinem Vater. Der junge Arzt Niki tritt ans Sterbebett und erhofft sich einen letzten Beweis seiner Liebe. Doch der Vater, ein ehemaliger Kommunarde, kann ihm weder Zuneigung geben noch Anerkennung. Niki bleibt orientierungslos zurück. Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer fragt in ihrem berührenden Debütfilm „Die Vaterlosen“, der Anfang August in die deutschen Kinos kommt, nach nichts weniger als dem Wert der Familie und den Spätfolgen alternativen Lebens.
Philipp Hochmair, der im Film den Niki spielt, kommt aus einer ganz anderen Welt. Er stammt aus dem katholischen Wiener Bürgertum, das nach einem klaren Vater-Mutter-Kind-Prinzip funktioniert, Kreativität gerne einengt, und wo Freiheit, wie Hochmair sagt, immer auch ein wenig mit Angst verbunden ist. Das Theater etwa galt seinem Vater immer als eine wenn nicht dämonische, dann zumindest sinnlose und destabilisierende Angelegenheit. Dass man aus dieser „vatervollen, dominanten Brutstätte“ ausbrechen muss, ist klar. Aber bei Hochmair könnte man meinen, er wäre etwas übers Ziel hinausgeschossen. Wenn er spielt, meint man förmlich zu sehen, wie der Text in seinen Körper fließt, sich dort zu einem explosiven Gemisch verwandelt und schließlich wieder ausgespien wird. Ein inneres Brodeln ist da zu spüren, eine elektrisierende Gespanntheit, die sich meist in blitzartigen Gesten entlädt.
Mit seinen 37 Jahren hat sich Hochmair nicht nur vor der Kamera, sondern vor allem auf der Bühne das Herz aufgerissen und mit Hingabe fast alles gespielt, was es an großen Rollen gibt. Er ist das Gegenteil eines Darstellungsbeamten, er ist ein Einzelgänger, ein Bühnentier. Das Schauspiel ist für ihn ganz offensichtlich eine Welt, die ihm alleine gehört, eine Welt, wo einzig und allein die Hochmair’schen Gesetze gelten. Um das zu unterstreichen, schreckt er auch vor mancher Pathosformel nicht zurück: „Meine Heimat ist der Text“, sagt er. „Ich bin in ‚Amerika‘ von Kafka oder in Goethes ‚Werther‘ zu Hause. In den Zeilen finde ich meine erkämpfte Ruhe. Da bin ich Mensch und kein gehetztes Wesen mehr, das nicht weiß, wo es hingehört.“
Wo er hingehört, das weiß Hochmair trotz des väterlichen Widerstands schon früh, mit 19 Jahren, um genau zu sein. Da ist er in seiner Klasse am Wiener Max-Reinhardt-Seminar der Jüngste und der einzige Österreicher. Dem gnadenlosen Dompteur Klaus Maria Brandauer liefert er sich aus, der es an Dominanz durchaus mit dem Vater aufnehmen kann. Bei ihm lernt der Schauspielschüler, seinen Eigensinn zu behaupten: „Er zeigte uns, wie man die Grenzen zwischen Rolle und Persönlichkeit so lange bekämpft, bis sie sich auflösen.“
Am Max-Reinhardt-Seminar trifft Hochmair auch auf den Regisseur Nicolas Stemann, der ihm bald „großer Bruder, Reisebegleiter und liebster Feind“ sein wird. Nach Abschluss des Studiums folgt er ihm über Nürnberg, Hannover und Wien ans Hamburger Thalia-Theater. Der liebste Feind ist ein Konzeptkünstler, ein Schauspielerquäler, er kombiniert Experiment und Klassik, sein Theater wagt etwas, was heute nicht mehr selbstverständlich ist: künstlerische Ernsthaftigkeit. Er ringt um Stücke und um die Frage, warum sie erzählt werden sollen. Dafür hält er sich eine Kommune aus Schauspielern, Dramaturgen, Bühnen- und Kostümbildnern, in der man nicht probt, sondern gemeinsam sucht. Zu Beginn der Arbeit an einem neuen Projekt weiß noch niemand, welche Rolle er eigentlich spielen soll.
Der Druck sei „brutal“, sagt Hochmair. 21 Stücke hat er mit Stemann gemacht, und nie glich die beiderseitige Arbeit daran einer normalen Geschäftsbeziehung zwischen Schauspieler und Regisseur. Eher schon einem aufreibenden Kampf beim Textjonglieren. Hochmair leidet unter Legasthenie und muss sich förmlich einprügeln, was er sagen will. Trotzdem kamen die großen Rollen zu ihm, er hat nichts gespielt, was ihm neben der Seele lag. Auch heute noch bereitet ihm jeder Text Angst. Er leidet Höllenqualen, wenn er Elfriede Jelinek oder Peter Handke lernt. Als ein „Duell mit dem Teufel“ beschreibt er diesen Prozess. „Aber wenn ein Text wie Handkes ‚Untertagblues‘ dann da ist, ist es das Schönste, was es gibt. Das ist mit keiner Reise, mit keiner Liebe gleichzusetzen.“
Diese Art Ekstase ist auch für den Zuschauer spürbar. Besonders in Hochmairs Solostücken. Den „Werther“ hat er in einer Nürnberger Stemann-Inszenierung in vierzehn Jahren insgesamt 1200-mal gegeben. Er sieht die Identitätslosigkeit seines Helden, das aufschäumende Gemüt, als Kontrast zum Bürgerlich-Gefassten. Sein Werther schmeißt sich nicht an das jugendliche Publikum heran, sondern kommt klar und leichtfüßig daher. Goethes Text muss nicht belehrend sein, bei Hochmair und Stemann kann er auch die cleveren Züge eines Quentin-Tarantino-Films annehmen.
Noch in diesem Sommer wartet eine weitere wichtige Goethe-Rolle auf ihn, der Mephisto. Ende Juli bei den Salzburger Festspielen. Wieder mit Stemann. Wieder ohne eine Ahnung, wohin die Reise gehen wird. Und wieder mit dem Ansinnen, eine Rolle zum Glühen zu bringen. Viel Gründgens sei da in seinem Kopf, sagt er, und wohl auch einige Klischees. Man wird sehen. Für Hochmair stellt diese Rolle auch eine Rückkehr dar, eine Rückkehr nach Österreich, wo er immer noch gerne ist. Schauspieler schaffen es dort noch in die Abendnachrichten, und das Milieu taugt für verdammt gute Kunst. Ein Vaterland, das Sätze wie von der Jelinek möglich macht, rabenschwarzen Humor wie den von Josef Hader aushält und einen Schauspieler wie Hochmair hervorbringt, kann so schlecht nicht sein.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.