- Deutschlands Goldjunge in Hollywood
Wird Florian Henkel von Donnersmarck für „Werk ohne Autor“ erneut den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewinnen? In Deutschland erntete das Epos Kritik, auf seiner Promo-Tour durch Los Angeles im Vorfeld der Verleihung wird der Regisseur bejubelt
Schon von weitem ist er zu sehen, mit seinem beethovenartigen Wuschelkopf und seinen zwei Metern Länge: Florian Henckel von Donnersmarck, dessen „Werk ohne Autor“ für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert ist. In diesen Tagen tourt Donnersmarck durch Los Angeles, um seinen Film zu promoten. In „Werk ohne Autor“ geht es um einen Künstler, dem es nach langen Versuchen gelingt, seine Familiengeschichte in Bildern auszudrücken (die Story ist lose angelehnt an das Leben von Gerhard Richter). Nicht er habe das Thema gewählt, sondern das Thema ihn, sagt Donnersmarck bei der Vorstellung der fünf nominierten ausländischen Filme im Samuel Goldwyn Theater am Wilshire Boulevard. Und: Kunst habe durchaus politische Aspekte. „Das erste, wogegen jede Diktatur vorgeht, ist Kunst“, sagt er. „Sobald die Kunst vom Bösem berührt wird, welkt und verschwindet sie.“ Aber Kunst sei immer noch die beste Waffe gegen Extremismus. Beifall, das freut Hollywood, das sich als Speerspitze des Widerstands gegen Donald Trump sieht.
„Never Look Away“, Sieh niemals weg, heißt der Film in Amerika, wo er von Sony Classic vertrieben wird. Der dreistündige Streifen, der drei Jahrzehnte deutscher Geschichte umspannt, hat in den USA weit bessere Kritiken bekommen als in Deutschland. Der New Yorker widmete Donnersmarck ein langes Porträt, Variety und die New York Times besprachen den Film wohlwollend. Und wo der Filmemacher geht und steht, ist er von amerikanischen Fans umringt, die sein Autogramm wollen, seine Hand drücken, oder mit ihm für ein Selfie posieren. Glaubt er, dass seine Filme in ihrer Erzählstruktur eher amerikanisch sind als deutsch? „Ich glaube nicht, dass es eine amerikanische oder deutsche Art von Storytelling gibt, es gibt nur eine internationale Art“, meint er. „Die Filmsprache ist heute unser Esperanto. Es gibt eine Filmgrammatik, in der wir kommunizieren, entwickelt von Sergei Eisenstein in Russland über D.W. Griffith in den USA, aber auch von Emigranten aus Deutschland wie Ernst Lubitsch und Billy Wilder, und heute dann von Amerikanern wie Steven Spielberg.“
Ein anderer Film ist der Favorit
Donnersmarck spricht fließendes, akzentfreies Englisch. Nicht nur das, er trifft auch den lässigen, lockeren Tonfall der Amerikaner und bewegt sich hier wie ein Fisch im Wasser. Kein Wunder, schließlich hat er nicht nur die letzten Jahre in Los Angeles verbracht, im Villenvorort Pacific Palisades, wo einst Thomas Mann wohnte und Lion Feuchtwanger. Er lebte schon als Kind sechs Jahre in New York. Sein Vater war dort Manager bei der Lufthansa gewesen. Nach dem Überraschungs-Oscar für „Das Leben der Anderen“ vor zehn Jahren ist er nach Los Angeles gezogen und hat „The Tourist“ gedreht. Von der Kritik gebeutelt, spielt der Thriller mit Angelina Jolie immerhin knapp 280 Millionen Dollar ein. Richtig gerne redet er über diesen Film allerdings nicht.
Einige der Konkurrenzfilme für den Auslands-Oscar, wie „Capernaum“ aus dem Libanon, in dem es um Straßenkinder geht, entwickelten ihre Story während der Dreharbeiten. Aber Donnersmarck glaubt nicht an das Spontane, er bevorzugt eine strukturierte Story, basierend auf einer Idee, und ein Drehbuch. „Das wichtigste ist das Ende“, sagt er, das gebe dem Film erst Sinn. Deshalb fange er beim Schreiben mit dem Ende an. Beim „Leben der Anderen“ habe er viele Jahre am Drehbuch gearbeitet, bei diesem Film aber habe er sich ein künstliches Limit von neun Monaten gesetzt, dann sei das Drehbuch fertig gewesen. Vorausgegangen war ein halbes Jahr Recherche. Über den Streit mit Gerhard Richter – der sich in dem Film teils nicht wiedererkannte, teils aber auch fand, allzu Vertrauliches sei auf die Leinwand gelangt – gleitet Donnersmarck hinweg. Er habe auch andere Künstler interviewt, aber Richter sei mit seiner Zeit eben am großzügigsten gewesen, sagt er. In den USA spielte der Streit ohnehin keine große Rolle. Dass Spielfilme eher großzügig mit historischen Begebenheiten oder Biografien umgehen, ist man von Hollywood-Produktionen gewohnt.
Wer entscheidet, was hohe Kunst ist?
Als nächstes engagierte Donnersmarck den amerikanischen Kameramann Caleb Deschanel, „der musste es sein, denn ich brauchte Gemälde, die sich bewegen“. Deschanel ist für diesen Film für die beste Kamera nominiert, nicht zum ersten Mal übrigens – gewonnen hat er bisher allerdings noch nicht. Donnersmarck holte auch Sebastian Koch als Schurken an Bord, der schon im „Leben der Anderen“ eine Hauptrolle hatte und in den USA durch die Serie „Homeland“ und den Spielberg-Film „Bridge of Spies“ bekannt wurde. „Damit hatte ich alle Elemente, die ich brauchte.“ Tom Schilling, der den Künstler Kurt Barnert spielt, sei von der Castingdirektorin Simone Bär empfohlen worden.
Zwei Tage später tritt Donnersmarck beim Filmempfang in der Villa Aurora auf, die frühere Feuchtwanger-Villa in Pacific Palisades, mit Blick auf den Ozean, die heute eine vom Auswärtigen Amt finanzierte Künstlerresidenz ist. Diesmal ist seine ganze Entourage dabei; darunter Koch und Schilling, aber auch seine Frau Christiane, eine der Produzentinnen des Films. In der Welt der Kunst, sagt Donnersmarck, gebe es nur etwa 500 Leute – Kuratoren, Direktoren, Sammler – die entscheiden, was hohe Kunst sei. „Wer diese 500 Leute nicht auf seine Seite bekommt, der wird am Rand verkümmern.“ Aber wer sie an seine Seite bekomme, der könne Jeff Koons oder Gerhard Richter werden. Deshalb lebten Künstler in dem „heiligen Terror“, diesen Leuten gefallen zu müssen.
Empfindliche Reaktion auf schlechte Kritiken
Das Wundervolle an der Filmwelt hingegen sei: Wenn es nur genug Menschen gäbe, die den Film sehen wollten, könnten Filmemacher tun, was sie wollen. Das erlaube Filmemachern, dem „Gruppendenken“ zu entkommen. Den Gedanken baut er zu einem Schlenker gegen die deutschen Kritiker seines Filmes aus: Das Gruppendenken mache auch der Presse zu schaffen. Sein Film habe erst wundervolle Kritiken bekommen, dann habe sich eine neue Stimmung dagegen ausgebreitet und es habe neue Kritiken gegeben, die sich dieser Stimmung angepasst hätten. Das Herdendenken, das sei das Ende aller Kunst, fügt er später noch hinzu. Und: Die Presse hätte sich damit selbst geschadet, denn wenn der Film erst ins Fernsehen komme, würden die Zuschauer merken, dass sie von den Kritiken um ein großartiges Kinoerlebnis gebracht worden seien. „Und wenn sich die Presse unglaubwürdig macht, das ist nicht gut für die Demokratie“.
Danach läuft Donnersmarck über den Rasen, noch immer umringt von Fans und Freunden. Nach seinen Chancen gefragt, sagt er, er halte es nicht für unmöglich, dass sein Film gewinnt, aber den Wettbüros zufolge seien die Chancen nur 50 zu 1. Der Favorit für den Auslands-Oscar ist „Roma“, ein Film aus Mexiko, geschrieben und gedreht von Alfonso Cuarón. Es geht um zwei Frauen in dem gleichnamigen Stadtteil in Mexico City. „Roma“ wurde von Netflix produziert; der in der Filmbranche gefürchtete Streaming-Gigant, der zwischen 25 und 30 Millionen Dollar in die Werbung gesteckt hat, das doppelte von dem, was der Film gekostet hat.
Der Kinofilm, eine sterbende Kunstform?
Die Nominierung – Roma tritt überdies noch als bester Film gegen die amerikanische Konkurrenz an – hat in der Branche einigen Ärger verursacht. Denn der Film läuft zwar in einzelnen Arthaus-Kinos, ist aber eigentlich doch fürs Fernsehen produziert. Donnersmarck, der Cuarón als lieben, angenehmen, talentierten Kollegen lobt, möchte nichts Schlechtes über die Konkurrenz sagen, und das tut man in Hollywood auch nicht, es sei denn, man ist Joan Crawford. Aber dass Netflix viele Millionen Dollar mehr in die Werbung für „Roma“ investiere als Sony Classic in „Werk ohne Autor“, das mache es einem schon schwer, Aufmerksamkeit zu erhalten. Mit dem Streamingdienst Netflix, der letztes Jahr Content für zehn Milliarden Dollar herstellte, seien die Grenzen zwischen Film und Fernsehen verwischt. Die Filmwelt habe sich dadurch verändert, da seien die klassischen Studios nun desorientiert. Vielleicht sei der Kinofilm sogar eine sterbende Kunstform, weil sich alles zum Home Screen, dem heimischen Bildschirm hinbewege.
Nun aber muss Donnersmarck zum nächsten Termin. Derweil ist der zweite deutsche Nominierte, der in Berlin lebende Syrer Talal Derki, schon weitergeeilt, er bekommt einen „Sprit Award“, den Preis für den unabhängigen Film. Derkis Film, in dem es um Jihadisten geht, ist für die beste Dokumentation nominiert – mehrfache Oscarchancen für Deutschland also.
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