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Dieter Nuhr und der Islam - Er hat es wieder getan

Der Kabarettist Dieter Nuhr bleibt in seinem neuen Programm dem Islam auf der Spur. Vor allem nimmt er staatliche Moralapostel und Genderexpertinnen in den Blick und gelangt zu der Erkenntnis: Wer heute glücklich sein will, braucht Anarchie und Askese

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Und? Hat er wieder den Islam kritisiert? Mit dieser Frage dürften die Massen, die sich für Dieter Nuhr begeistern, sein neues Programm „Nur Nuhr“ besuchen. Sofern sie zuvor eine andere Frage, die mir die Dame am Prosecco-Stand vor den Berliner „Wühlmäusen“ stellte, bejahen konnten. „Glück gehabt? Karte bekommen?“

Dieter Nuhr ist Monate im Voraus ausverkauft, egal, wo er auftritt. Das hat zwei Gründe. Gewiss trägt dazu der televisionäre Nasenfaktor bei. Der Moderator des in „Nuhr im Ersten“ umbenannten „Satire Gipfels“ – heute Abend wieder im Programm – ist in seiner Rolle als Chefironiker der ARD-Nach-Nachfolger von Dieter Hildebrandt.

Andererseits hat der Kartenkauf Bekenntnischarakter. Der belesene Komiker, der sich Kabarettist nicht schimpfen lassen will, löckt wider den Stachel jenes vulgärlinken Juste Milieus, in dem die meisten Kollegen es sich eingerichtet haben. Zeitgeistopposition ist im Preis inbegriffen.

Die Bühnenfigur Nuhr, ein sportlicher Fünfziger in Turnschuhen, Jeans, Schlabbershirt, ist kein Antikapitalist, kein Israelkritiker, kein Gleichstellungsbeauftragter. Auszusetzen hat er trotzdem manches am Lauf der Welt. Politische Unterhaltung braucht einen Grundfuror.

Lästern über den „Geschlechterkrempel“


Worüber ärgert die Bühnenfigur sich im neuen, in Berlin jetzt uraufgeführten Programm? Klar, über Deutschland, das seiner Geschichte auch 2015 treu bleibe: „Hier und da ein kluger Geist – und viele dumpfe Birnen.“ Den öffentlichen „Geschlechterkrempel“ dominieren letztere. Von „Genderwissenschaft“ solle man nicht reden, da triumphiere der „theologische Zugang: die Realität muss sich der These anpassen“. Der These, versteht sich, vom sozialen Konstrukt des Geschlechtlichen. Was Nuhr auf schlüpfrige Gedankenpfade von mäßiger Originalität bringt. Sie wissen schon: das männliche Hauptwort mit dem P vorne und das zweisilbrige Verb, das mit F beginnt. Lassen wir das.

Gleichwohl ist das teure Ballyhoo um die angeblich allzeit flexible Geschlechtlichkeit – der kopfschüttelnde Hinweis auf die 60 verschiedenen Geschlechter für „Facebook“-Kunden fehlte nicht – der Ernstfall im Gedankenlabor. Das Bühnen-Ich des Dieter Nuhr müssen wir uns vorstellen als Normalo mit Hochschulabschluss und Zeitungsabo, der exakt unter diesen beiden Daseinsqualitäten leidet. Die Uni hat ihn hinreichend verkopft, sodass er aus den Problemen und dem Problematisieren nicht herausfindet. Wenn er hört, dass ein ganzes Land sich den Charme des Darms erklären lässt, folgert er: „Weil wir mit dem Darm denken, kommt uns alles so verschlungen vor.“ Die Darmbakterien sollen ja unser Wohlbefinden wie unser Neuronentheater inszenieren. Und wenn der Normalo dank Zeitung und Nachrichten-App liest, welche Schufte wieder ihr Unwesen treiben auf dem Erdenrund, wird er ängstlich, wird er „ein großer Schisser“ und somit „paranoid“.

Fakt nämlich sei: Nie ging es den Menschen besser, nie war der Globus friedlicher, alles in allem. Während früher aber der Einbrecher schon im Nachbardorf keine Schlagzeile mehr machte, wird uns heute jedes Gemetzelchen fast live auf dem Smartphone präsentiert. Der Normalo ist Realist und wäre gerne Optimist.

„Das System sabotieren“


Die Medien also haben den Mediennutzern die Mitte geklaut und die Seele verriegelt. Glück verlangt Askese und Anarchie: Im Laufe des Programms – und das ist vergnüglich zu sehen – entwickelt sich der Normalo zum Libertären. Auch damit besetzt Nuhr eine Lücke im sonst bieder staatsfixierten Politkabarett à la Pispers, Schramm, Schmückler. Nuhr hingegen will, wie er es einmal in Bezug auf die Smartphone- und Technikdiktatur sagte, „das System sabotieren“.

So gesehen, hätten auch ein Max Stirner oder ein David Thoreau vermutlich ihre Freude an den mit einem wirkungsbewussten Schelmenlächeln vorgetragenen Entrüstungsreden wider einen Staat, der aus Bürgern Kinder macht und „sich für meine Mutter hält“. Die Deutschen hielten den Staat für eine „pädagogische Anstalt“, da wirke das „preußisch-protestantische“ Erbe nach. Drum besser wär’s, kein Staat entstünde? So weit wagt der Normalo, der den Libertären dann wieder an die Kette nimmt, sich nicht vor.

Überhaupt zeigt Dieter Nuhr in sacht aus der Achse verschobener Pose, im steten Wechsel zwischen linksseitig und rechtsseitig angeschrägter Kopfhaltung den Menschenverstand als Körperereignis, dem es an Mitte mangelt. „Dumpfe Birnen“ gibt es rechts wie links, den einen sitzt der Nazi im Resthirn, zuckt die Hand zum deutschen Gruß, die anderen können es nicht fassen, dass die Geknechteten und Verfolgten dieser Erde ausgerechnet ins „Herz des Turbokapitalismus“ fliehen statt nach Kuba oder Venezuela, „das war ein harter Schlag für unsere Linken. Sarah Wagenknecht soll geweint haben.“

Dieter Nuhrs kleine Freiheitsschule


Mit der Flüchtlingskrise hatte Nuhr sein Programm denn auch eröffnet. Deutsche Mülltrennung, deutsche Rauchverbote und deutsche Gendertheorie würden sich bei strammen jungen Männern aus außereuropäischer Region noch als Integrationshindernis erweisen. Wie soll man das auch vermitteln? Was werde ein Flüchtling sagen, wenn er an der Grenze erst einmal sein Geschlecht wählen soll? Oder später nur auf gelb eingefärbten Bahnsteigflächen rauchen darf?

Hat Dieter Nuhr aber wieder den Islam kritisiert und insofern die Erwartungen erfüllt? Natürlich hat er, doch en passant. „Wer Humor hat, sprengt sich nicht in die Luft“, lautete ein sachdienlicher Hinweis zur Problematik, „da muss man drüber reden“ ein anderer. Gemeint waren die Folgen des Zuzugs von Aberhunderttausend mehrheitlich muslimischen Asylsuchenden, die zum Teil Ehr- und Familienbegriffe mit sich brächten, die den hiesigen Freiheitsrechten entgegenstünden.

Letztlich kulminiert Nuhrs kleine Freiheitsschule in diesem Appell: Deutschland redet zu wenig und argwöhnt und verunglimpft zu viel. Abweichende Meinungen würden oft als moralischer Makel denunziert. Ist ein solches Plädoyer für die Ausweitung der Debattenzone und die Rückgewinnung der Offenheit – wir bewegen uns noch immer auf dem Feld der politischen Unterhaltung – lustig, witzig, originell? Teils, teils. Ist es nötig? Leider schon.

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