- Der scharfsinnige Nestbeschmutzer
Der Schriftsteller Robert Menasse wurde auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt für seinen Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Sein österreichischer Kollege Vladimir Vertlib würdigt ihn als begnadeten Polemiker und Erzähler von Weltrang
Robert Menasse ist ein Schriftsteller, der provoziert. Das hat in Österreich Tradition. Ob Thomas Bernhard oder Peter Handke, Peter Turrini oder Elfriede Jellinek, die Essayisten Franz Schuh oder Karl-Markus Gauß – sie alle haben sich an den Zuständen in ihrem Land abgearbeitet: an der NS-Vergangenheit und ihrer jahrzehntelangen Verdrängung, am Provinzialismus, an der Konsensdemokratie mit ihren Bünden, Kammern, Klüngeln und Seilschaften, an den gefährlichen Abgründen unter der süßlichen Oberfläche. Das Aufzeigen, Zuspitzen, Aufreißen, der pointierte Hinweis, der bissige Aphorismus: dies alles trifft im besonderen Maße auch auf das Werk von Robert Menasse zu.
Schon seine frühen Bücher, zum Beispiel „Das Land ohne Eigenschaften. Essays zur österreichischen Identität“ (1992), wiesen ihn als luziden, oftmals subtil ironischen, in jedem Fall aber als scharfsinnigsten Kritiker seines Landes aus. Was bei anderen manchesmal als emotionale Phrase, als Erregung oder Umschreibung daherkommt, nennt er beim Namen. Man mag seine Meinung teilen oder nicht, doch muss man ihm zugestehen, dass er stets seiner intellektuellen Lauterkeit und der Logik treu bleibt.
Provokateur, Nestbeschmutzer & Kosmopolit
Seiner Rolle als Provokateur und „Nestbeschmutzer“ wurde Menasse in besonderen Maße während des österreichischen Bundespräsidentschaftswahlkampfes 2016 gerecht: In einem Interview für die Tageszeitung Kurier bezeichnete er den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer als Nazi und meinte: „Ich frage Sie, was es für einen Unterschied macht, ob einer, der Nazis wählt, ein Nazi ist oder nicht. […] Dabei glaube ich sogar, dass die meisten [Hofer-Wähler] keine Nazis sind. Ehrlich nicht! Sie sind Faschisten. Schlimm genug. Oder Idioten. Ebenfalls schlimm genug. […] Als Austropatrioten wählen sie dann eben auch Nazis, wenn die es sind, die ihre austrofaschistische Mentalität bedienen und ihnen sagen ‚Österreich zuerst‘.“
Der breiteren Öffentlichkeit ist Robert Menasse genau durch solche und ähnliche Aussagen bekannt. In einem Land, wo Norbert Hofer knapp 50 Prozent der Wählerstimmen erhielt, führten die zitierten Interview-Passagen zu wütenden Protesten, die darin gipfelten, Menasse als einen von „den Eliten“ gehypten, hoch subventionierten Staatskünstler und Privilegienritter zu bezeichnen, der das überkommene „System“ verteidige. Dabei hatte gerade Menasse „das System“ mit seinen Parallelstrukturen und undemokratischen Abmachungen hinter den Kulissen schon zu einem Zeitpunkt angegriffen, als die meisten seiner heutigen Kritiker sich damit noch vorbehaltlos identifizierten.
Doch Robert Menasse ist nicht nur ein begnadeter Polemiker und ein tiefsinniger politischer Denker, sondern gleichermaßen ein ausgezeichneter Romanautor, ein Erzähler von Weltrang. Dass er für beide Bereiche, für den politischen Essay und die gesellschafts- und kulturkritische Analyse einerseits und die Belletristik andererseits, ein außergewöhnliches Talent besitzt, ist eine besondere Eigenschaft dieses Autors. Was ihn von vielen seiner österreichischen Kollegen unterscheidet, ist zudem der offene, kosmopolitische Blick auf die Welt, anstatt die Zustände in Österreich auf die Welt zu übertragen oder Wien als Welt wahrzunehmen. Sein primärer Bezugsraum ist Europa. Dass er gerade für seinen Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“ den Deutschen Buchpreis erhielt, ist sicher kein Zufall.
Polemik ist Sprachkunst
Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren. Sein Vater, ein bekannter österreichischer Fußballspieler der fünfziger Jahre, war 1938 im Alter von acht Jahren im Rahmen einer britischen Rettungsaktion für jüdische Kinder nach England gebracht worden. Nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück. Robert Menasse studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft. Von 1981 bis 1988 war er Lektor für österreichische Literatur und Gastdozent am Institut für Literaturtheorie der Universität São Paolo (Brasilien) und nach seiner Rückkehr nach Wien zeitweise als Übersetzer aus dem Portugiesischen tätig.
Menasse ist ein sehr produktiver und erfolgreicher Schriftsteller. Seit 1988 hat er insgesamt 29 Bücher publiziert. Der Deutsche Buchpreis ist der 27. Preis, den er bekommen hat. Bei den meisten seiner Bücher handelt es sich um Essaybände, um Schriften zu Politik und Kultur. Was den Essayisten und Theoretiker Robert Menasse auszeichnet, ist die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge unterhaltsam und allgemeinverständlich darzustellen. Seine Sprache ist rhythmisch, poetisch, manchmal sehr knapp, beinahe expressionistisch. Theoretische Abhandlungen werden zu Literatur, Aufsätze sind spannend wie Thriller. Polemik ist immer Sprachkunst. Währenddessen kann jeder seiner sechs Romane auch als theoretische Abhandlung oder als Essay gelesen werden.
Bohren in der Vergangenheit
In „Selige Zeiten, brüchige Welt“ erhebt der Protagonist Leo Singer, Sohn jüdischer Eltern, die mit ihm aus dem brasilianischen Exil nach Wien zurückgekehrt sind, den Anspruch, eine Fortsetzung von Hegels „Phänomenologie des Geistes“ zu schreiben und damit die Welt zu verändern. Doch die Zeiten sind nicht selig, und brüchig ist in erster Linie Leo Singers Identität. Schubumkehr handelt von den Umbrüchen des Jahres 1989, wobei ein Dorf an der österreichisch-tschechischen Grenze zum kleinen Welttheater wird: Verdrängte NS-Vergangenheit, wirtschaftlicher Niedergang, Heuchelei und der Fall des Eisernen Vorhangs bilden den Hintergrund zu diesem burlesk-abgründigen Roman.
In „Die Vertreibung aus der Hölle“ konfrontiert der Historiker Viktor Abravanel bei einem Klassentreffen seine ehemaligen Mitschüler mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Lehrer. Die Mitschüler reagieren pikiert. Es kommt zum Eklat. Einen stimmigen Spiegel zur Gegenwart bildet in diesem Roman die (nur scheinbar) fern anmutende Vergangenheit des 17. Jahrhunderts, denn Viktor soll einen Vortrag über den Rabbiner Samuel Menasseh ben Israel halten, den Lehrer des berühmten Philosophen Baruch Spinoza. So führt die Handlung aus dem heutigen Wien ins Lissabon des religiösen Wahns, der Inquisition und der Judenverfolgungen. Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sind keineswegs zufällig.
Absurde Brüsseler EU-Bürokratie
Den genannten, aber auch den anderen Romanen von Robert Menasse sind drei wesentliche Elemente eigen: die Auseinandersetzung mit Geschichte und der eigenen, brüchigen (oftmals jüdischen) Identität der Protagonisten, Liebe und Erotik als Flucht- und Sehnsuchtsraum und der Versuch, den Aberwitz der Welt zu fassen und theoretisch zu deuten, um ihn ertragen zu können. Das alles wird ironisch gebrochen, hinterfragt und schließlich der Deutungshoheit des Lesers überlassen.
Vielschichtig und irritierend, provokant und verstörend ist auch Menasses mit dem Deutschen Buchpreis prämierter Roman „Die Hauptstadt“. Zudem ist das Buch höchst unterhaltsam, witzig und skurril, zeitgeistig und gleichzeitig ganz wider den Zeitgeist wie kaum ein anderer Roman.
Ein Buch über die Brüsseler EU-Bürokratie? Das heißt: über Auswüchse und Absurditäten, über Stillstand und Überforderung eines in erster Linie auf sich selbst bezogenen Apparats? Gewiss. So geht es unter anderem um Exporte von Schweineohren nach China, welche die EU entzweien. Das Schwein liefert auch die wichtigste Metapher: Eines Tages nämlich läuft ein Schwein kreuz und quer durch die Brüsseler Innenstadt und begegnet zahlreichen Figuren, deren Geschichten erzählt und schließlich miteinander verwoben werden. Kommissar Brunfaut versucht einen vertuschten Mord aufzuklären, EU-Beamtin Fenia Xenopoulu soll zum Jahretag der Gründung der EU-Kommission einen Festakt organisieren, ein anderer EU-Beamter bezeichnet Auschwitz als „Geburtsort der Europäischen Union“. Währenddessen zieht David de Vriend, einer der letzten Auschwitz-Überlebenden, in ein Seniorenheim.
Die Phantasie der Künstler
Die Handlung ist komplex. Alle aktuellen „EU-Themen“, von den Griechenlandpaketen bis zur Flüchtlingskrise und dem Brexit kommen vor, und auch Verschwörungstheorien spielen einen Rolle. Bei genauer Lektüre erkennt man jedoch, dass es sich bei dieser Satire um ein Pladoyer für ein Vereintes Europa, für eine reformierte EU und gegen Rechtspopulismus und das Wiedererstarken von Nationalstaaten handelt. Als solche ist der Roman eine gute Ergänzung und fiktionale Vertiefung von Robert Menasses brillanter Streitschrift aus dem Jahre 2012: Der europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas. Darin heißt es: „Europa muss der Phantasie der Künstler folgen. […] Entweder geht das Europa der Nationalstaaten unter, oder es geht das Projekt der Überwindung der Nationalstaaten unter. So oder so, die EU ist unser Untergang.“ Hier ist er also wieder: der streitbare Geist Robert Menasses, der die einen zu Bewunderung, andere zu Wutausbrüchen animiert, im besten Fall aber zum Nachdenken und zum Hinterfragen anregt.
Vladimir Vertliebs aktueller Roman „Lucia Binar und die russische Seele“ ist im Deuticke-Verlag erschienen
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
Mir scheint, hier wird einer wegen seines korrekten politischen Engagements mit inzwischen fast 30 Buchpreisen geehrt. Ob er deswegen wirklich so ein guter Literat ist ?
Woran erkennt man einen subventionierten Staatsschriftsteller. Dass er immer mit dem mainstream trötet. Provkationen, die ihm der Autor zugute hält, kommen immer nur aus der linken, der guten Ecke und sind deswegen hochwillkommen. Wehe, Menasse hätte einen Europa-Roman geschrieben, der die derzeit desolate EU zur Disposition stellt oder gar als Sackgasse entlarvt, dann hätte er sich den Buchpreis abschminen können. Was er zu Hofer als "Nazi" sagte, ist unter aller Kanone, war aber sicher auch ein Baustein seines Erfolges. Linker Literaturbetrieb eben. Die wichtigen Bücher werden anderswo, etwa in Frankreich,geschrieben. geschrieben.
Er kann sehr gut schreiben und seine Texte lesen sich gut. Politisch ist er gefährlich. Er glaubt, dass es in 21 Sprachen (neben allen sonstigen Unterschieden aus Geschichte und Kultur) eine transnationale europäische Öffentlichkeit, eine transnationale Demokratie, einen transnationalen Parlamentarismus, einen transnationalen Rechts- und Sozialstaat - eine 'Europäische Republik' geben kann. Schriftsteller dürfen Traumtänzer sein. Politisch muss man sie nicht ernst nehmen.
Der Mann langweilt nicht und das ist selten - vieles, was gedrückt wird lässt sich nicht bis zum Ende lesen, das kann ich zum Neues Roman von R.M. nicht weiter erzählen... Seine Idee von einem Europa der Regionen ist eine überzeugende Alternative zum wieder erstarkenden Nationalsimus ... die EU wird am Nationalismus zugrunde gehen - das Vereinigte Königreich ist ein illustratives Beispiel dafür, was passiert, wenn insbesondere die Torries seit Thatcher immer wieder Stummung gegen die EU macht - Die von Manesse geforderte Demokratisierung der Institutionen ist zielführende - die EU sind wir Bürger der EU und wir müssen im Mittelpunkt stehen und nicht einzelne Nationen und ihre Interessen.Manesse ist mehr als Romancier, er ist auch ein engagierter Europäer - wer bessere Vorschläge für die Weiterentwicklung der EU vorzubringen hat sollte sich melden .... Romanciers darf man politisch ernst nehmen, Ronertt Manesse im besonderen!
Was ist denn damit gemeint? - Die der Maler, der Musiker oder die der Schreibfantasten?
Wer gab Moses die 10 Gebote ein und wem überreicht MAO eine "Rote Bibel"?
GOTT schlug den Deutschen als NAZI vor und Karl Marx das "Proletariat" als "jüdische" Hausmasse im Verlauf der Menschheitsgeschichte?
"Einen Geist, den man nicht selbst bescheißt, kommt der aus der Flasche?" (cit.: gesammelte Werke aus 1001 Nacht) könnte ein Frager fragen.
Für weltverbessernde Schriftsteller bleibt zum Trost ein DÄNE übrig: "Das hässliche Entlein ..." im Märchen ... (jedenfalls im Okzident)
gegenüber Deutschland und Österreich. Da ich Deutscher bin und eine positive Einstellung zu mir selbst habe, werde ich seine Bücher weder kaufen noch lesen.
Wie recht Sie doch haben!
Ich bin Österreicherin und es gibt kaum einen "Intellektuellen", der nicht die Nazikeule schwingt, wurde uns doch auch von Herrn Peymann (jahrelanger Burgtheaterdirektor in Wien) pausenlos gesagt, dass wir Österreicher, speziell die Wiener ein Nazi-Gen hätten. Auch unsere liebe Literaturnobelpreisträgerin Jelinek wendet sich voller Grausen von diesem moralisch verdorbenen Österreich ab.
Tja, da kann man nix machen, die DNA der Österreicher hat einen Defekt, unheilbar.
(Ironie Ende)
war der mit seinen Eltern in die USA emigrierte Fritz Stern, ein Historiker. Wenn mir jemand mit "Nazi" kommt, gebe ich ihm den folgenden Interviewtext von Fritz Stern zu lesen:
„Mir ist die Versuchung (des Nationalsozialismus) erspart geblieben, weil ich ein vollblütiger Nichtarier bin. Ich weiß nicht, wie ich mich benommen hätte, wenn ich „Arier“ gewesen wäre. Wenn ich das Recht gehabt hätte, mitzumachen. Ich weiß, wie ich mir mein Verhalten wünschen würde. Aber wie ich mich verhalten hätte, das weiß ich nicht.“
Vor der Größe, der aufrichtigen Ehrlichkeit dieses Mannes kann ich mich nur tief verneigen. Danke lieber, großer Fritz Stern.
Und wenn ich dazu Gelegenheit habe, erzähle ich ihm noch von dem Norweger, der mich (den Deutschen) herzlichst aufnahm, ob wohl er Im KZ Bergen-Belsen war. Als ich das erfuhr, fragte ich entsetzt (auf Dänisch) "Und du bist so gut zu uns"? "Kannst du etwas dafür?" antwortete er auf Deutsch! Auch Dir, Kjell, vielen herzlichen Dank! - Mange tak!"
Liebe Frau Brunner, meine Erfahrung ist, das die meisten Patriotismus mit Nationalismus verwechseln. Einschließlich Frau Merkel waren Millionen Bejubler der Fuball-Nationalmannschaft oder der Olympia-Recken - da war Nationalismus ja so etwas von gut! Bis in die Stadionkabine trieb ihr Nationalstolz die Kanzlerin!
Wäre doch nur diese widerliche Heuchelei nicht! (oder war das ehrlicher Nationalstolz???
Servus nach Österreich! Is a: olls wurscht, i mog Eich!
Um ein bisschen mit dem Hitler-Stöckchen herumzufuchteln braucht es keine Begnadung. Weder zum Dichter noch zum Polemiker. Falls überhaupt, zum unfreiwilligen Komiker.
Den Applaus des kultursubventionierten Juste-Milieus gibt's derzeit so billig noch wie nie. Da heißt es: Zugreifen!
Ich habe nichts gegen polemische Sprachkunst, aber das Drauflosdreschen mit dem Naziknüppel, wie es Herr Menasse so gerne tut, hat mit Sprachkunst herzlich wenig zu tun.
in den Kommentaren fast alles gesagt! Danke
Wer das noch nicht wusste, bekommt es bei Menasse bestätigt. Wer die Österreicher nicht mochte, mag sie jetzt noch weniger. Eine Bibel für Gutmenschen.