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War die DDR ein Unrechtsstaat? - Ja, was denn sonst!

Alle Jahre wieder kommt sie – die Debatte darüber, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Für die Linke ist das der heilige Gral. Die Verteidiger der DDR offenbaren eine gruselige Rechtsstaatlogik, die in ihrem Kern antidemokratisch ist

Demut ist seine Sache nicht, aber diesmal musste er Kreide fressen. Das mag ungewohnt sein für den Frontmann der Linken. Er ist der Einzige, den man wirklich überall kennt, hinter ihm ist alles zweite Reihe – bestenfalls. Aber um des höheren Zieles willen musste selbst Gregor Gysi zurückrudern. Nun ist, irgendwie, auch für ihn die DDR ein Unrechtsstaat gewesen. Das hat ihm die Linken-Parteispitze abgerungen. Denn es geht um die Machtfrage in Thüringen, und Gregor Gysi war mit seinem Einwurf, man wolle den Begriff vom Unrechtsstaat nicht verwenden, dabei, sie zu verspielen.

Riesenkröte Unrechtstaat
 

Dort hat man sich schließlich geeinigt, mit den Grünen und der SPD, dass die DDR eben doch das war, was Millionen DDR-Bürger, und die Bürgerrechtler ohnehin, am eigenen Leib zu spüren bekamen: ein Unrechtsstaat. Ohne dieses Bekenntnis können diese beiden möglichen Koalitionspartner eines ersten linken Ministerpräsidenten eben nicht vor ihren Wählern bestehen.

Das ist eine Riesenkröte, die viele in dieser Frage verbohrte Linke schlucken müssen, und es ist noch nicht ausgemacht, ob sie ihnen nicht im Halse stecken bleibt. Denn für viele DDR-Nostalgiker ist das der heilige Gral. Ihr Staat, das war das bessere Deutschland, sozial gerecht, anti-faschistisch, und anti-kapitalistisch sowieso. Da brauchte man keine Millionärssteuer, denn es gab ja keine Reichen, das Kind hatte seinen Platz im Kindergarten, und Bildung war frei. Ach, der Sohn vom Nachbarn durfte nicht studieren? Was müssen die auch immer in die Kirchen rennen. Und der Arzt ist in den Westen abgehauen? Der Verräter, solche Typen brauchen wir hier nicht. Und die Stasi will, dass ich meinen Arbeitskollegen verpfeife? Sitzt jetzt in Bautzen? Unschön, aber wir müssen doch gegen den Klassenfeind zusammenstehen. Ach nein, so war es nicht? Wirklich nicht?

Es war so, von Anfang an, noch ehe es eine DDR überhaupt gab. Nochmal zurück zu Gysi. Seine Argument: Wenn ich die DDR als Unrechtsstaat bezeichne, dann erkläre ich, dass die drei Westmächte das Recht hatten, die Bundesrepublik zu gründen, die Sowjetunion aber als Antwort nicht das Recht hatte, die DDR zu gründen. Zu den Gründungstaten Stalins gehörte, im Osten Deutschlands die KZ der Nazis erstmal fünf Jahre weiter zu betreiben, allein in Sachsenhausen ließ man 12.000 Gefangene verhungern. Sie wurden auch, zynischer geht es kaum noch, zum Leidensort für politische Gegner, Sozialdemokraten vor allem, die zum Teil in dieselben KZ und Zuchthäuser zurück mussten, in denen sie schon unter den Nazis gelitten hatten, weil sie sich nicht unter das SED-Joch zwingen lassen wollten.

Und schon damals gab Stalin-Schützling Walter Ulbricht die Devise aus: Es ist doch klar, es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten. Und als dann die Sowjets ihre Speziallager schlossen, da ließ die DDR die Gefangenen keineswegs frei, im Gegenteil. In den „Waldheimer Prozessen“ wurde die Willfährigkeit der jungen DDR-Justiz getestet, und die parierte. Die SED ordnete geheim erneute hohe Haftstrafen an, mindestens zehn Jahre Zuchthaus, und die „Volksrichter“ waren so frei, das auf bis zu 25 Jahre hochzuschrauben, 32 Todesurteile inclusive. Und so war der Anspruch der Partei über die Justiz durchgesetzt, die zu kuschen hatte – bis zuletzt. Und sie produzierte am laufenden Band Nachwuchs für einen der erfolgreichsten DDR-Exportartikel: politische Gefangene. Bis 1989 verkaufte sie 33.755 Gefangene – die Preise stiegen dabei rasant, von 40.000 auf bis zu 100.000 DM pro Kopf, für insgesamt 3,5 Milliarden D-Mark, ein wesentlicher Betrag für das Überleben der bankrotten DDR-Wirtschaft. Der Staat der Werktätigen darf sich hier rühmen, als wohl einziger ein so einträgliches Geschäftsmodell entwickelt zu haben. Noch zynischer geht es wirklich nimmer.

Totalitäre Rechtsstaatslogik
 

Alles bösartiges, arrogantes Wessi-Geschwätz? Nein, leider nur die historischen Fakten, hinter denen auch der überzeugteste DDR-Nostalgiker sich nicht verstecken kann, der es sich hinter seinem anti-kapitalistischen Schutzwall mit seinen Todesstreifen und Selbstschussanlagen gemütlich gemacht hatte – auf Kosten seiner inhaftierten Landsleute, die für seinen Lebensstandard gegen harte Devisen ausgetauscht wurden.

Ja, es ist wahr, auch in DDR wurden Mörder und Diebe nach den Buchstaben des Gesetzes verurteilt, und nicht wenigen reicht es aus, das bis heute für den Beweis zu halten, die DDR sei eben doch ein funktionierender Rechtsstaat gewesen. Und der nächste Schritt ist dann die Behauptung, auch die Bürgerrechtler seien doch nach geltenden DDR-Gesetzen als Staatsfeinde im Zuchthaus Bautzen gelandet. Das ist die gruselige Rechtsstaatlogik, mit der, sorry, auch die Nazi-Blutrichter hinterher argumentierten. Was einmal rechtens war, kann hinterher nicht unrecht sein.

Es geht nicht darum, Menschen ihr Lebensgefühl und schon gar nicht ihre Würde zu nehmen, die sich ohne ihr Zutun im vom Gregor Gysi der Sowjetunion zugebilligten ostdeutschen Staat wiederfanden und dort einrichten mussten – ob aus kommunistischer Überzeugung, ob als notwendigerweise Angepasster (auch Angela Merkel brachte es im Blauhemd zur FDJ-Sekretärin für Propaganda), ob als Oppositioneller, der nur die Faust in der Tasche ballen konnte. Aber man muss sich den Tatsachen stellen. Angela Merkel hat dies zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung damals auf die simple Formel gebracht: „Aus meiner Sicht war sie ein Unrechtsstaat. Sie hat einen perfiden Druck auf alle ausgeübt, die in diesem Lande lebten“.

Deshalb ist es 25 Jahre nach dem Mauerfall mehr als überfällig, dass auch in der Linken diese immer wieder aufbrechende, auch in diesem Lager mehrfach geführte Diskussion nicht unter den Teppich gekehrt wird – auch wenn das Einlenken Gregor Gysis nun als fades Lippenbekenntnis erscheinen muss, das ganz offensichtlich dazu dient, in Thüringen den Weg für Bodo Ramelow freizumachen.

Werner Sonne ist der Autor des Romans „Und der Zukunft zugewandt“ über die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED in den Jahren 1945/46, erschienen bei Bloomsbury Berlin 2010.

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