- Nett gemeint, fatale Auswirkung
Die SPD öffnet sich für Koalitionen mit der Linken – und bringt sie damit in die Bredouille
In seinem Bemühen, die schmale Kost der großen Koalition seiner Partei schmackhaft zu machen, hat Sigmar Gabriel die vorläufigen Ergebnisse der Verhandlungen mit dem Versprechen garniert, dass die SPD „für die Zukunft keine Koalition grundsätzlich ausschließe“ – mit Ausnahme rechtsextremer Parteien.
Die Kurzatmigkeit, mit der das noch vor wenigen Wochen in Stein gemeißelte Kontaktverbot mit der Linkspartei aufgehoben wurde, deutet weniger auf ein neues strategisches Konzept, als vielmehr auf eine tiefe Verunsicherung der Parteispitze über die Stimmung an der Basis hin. Dort wird der bisherige Verlauf der Gespräche keineswegs wohlwollend betrachtet: Sollte das Verhandlungsergebnis bei der Basis nur eine knappe Zustimmung finden, hätte die Große Koalition enormen Schaden für die SPD bewirkt. Dem will Gabriel mit einem Zugeständnis an die Parteilinken vorbeugen. Kein Wunder, dass die Union aus der Öffnungsklausel den erwartbaren Schluss zog, im sozialdemokratischen Rating auf AAA- heruntergestuft zu sein – und entsprechend verschnupft reagierte.
Es ist auch nicht überraschend, dass die Führung der Linkspartei nach der Offerte – die als solche nicht gedacht war – zu Spitzengesprächen aufrief. Gerade so, als könnten sich Sigmar Gabriel und der Linksfraktionschef Gregor Gysi schon mal vorab über die Agenda der nächsten Legislaturperiode verständigen.
Linke fast wieder auf dem PDS-Status einer Ostpartei
So einfach, wie Linken-Chefin Katja Kipping sich das denkt, dürfte die Annäherung allerdings nicht werden. Es ist nicht einmal klar, ob ihre Partei das überhaupt will. Aus Sicht der Linken gibt es eigentlich nur eine positive Entwicklung aus dem Wahlergebnis abzulesen: den Aufstieg zur drittstärksten Kraft im Bundestag, den Gysi seit dem 22. September nicht müde wird zu feiern. Dem steht auf der Sollseite gegenüber, dass sie seit 2009 ein Viertel der Stimmenanteile eingebüßt hat. Mit der Bundestagswahl hat sich eine Serie von Wahlverlusten in den Ländern fortgesetzt, welche die Linke fast wieder auf den alten PDS-Status einer Ostpartei reduziert hat. Zwar konnte die neue Parteiführung die innerparteilichen Lagerkämpfe zivilisieren. Eine Antwort auf das strategische Dilemma hat jedoch auch sie noch nicht gefunden.
Ihre Erfolge in den westlichen Bundesländern verdankte die Linke dem strikten Anti-SPD-Kurs, mit dem Oskar Lafontaine enttäuschte Gewerkschafter und Sozialdemokraten hinter sich sammelte. Dass dieser Kurs niemals in eine Bündnisoption mit der SPD münden konnte, war nur zu offensichtlich. Doch reichte er, die SPD in einem Zustand der inneren Zerrissenheit zu halten, in dem sie binnen weniger Jahre drei Parteivorsitzende verschliss. Das prägte ihr Erscheinungsbild während der Großen Koalition und trug entscheidend zu ihrer Niederlage 2009 bei. Sie ist seinerzeit nicht an der Koalition mit der Union, sondern an sich selbst gescheitert. Doch weil sie dieses Scheitern nie aufgearbeitet hat, hat es sich zu dem Trauma des Großen-Koalitions-Verlierers verdichtet.
Erst in der Opposition hat sich die SPD wieder stabilisiert und sozialpolitisch profiliert. Gleichzeitig haben sich die wirtschaftliche und auch die soziale Lage in Deutschland verbessert. Die Republik ist nach links gerückt, doch weil die Linke das nicht wahrgenommen hat, wundert sie sich, dass ihre Parolen ihre mobilisierende Kraft einbüßen. Es ist zu erwarten, dass der Eintritt der SPD in die Große Koalition die Kräfte innerhalb der Linken wieder bestärken wird, die das Heil der Partei nicht in einer neuen Bündnisoption, sondern in der alten anti-sozialdemokratischen Radikalisierung sehen – auch wenn sich damit keine Wähler wiedergewinnen lassen.
Doch selbst wenn diese Kräfte sich bändigen ließen, wäre das größte Problem einer rot-roten oder rot-rot-grünen Perspektive noch nicht gelöst. Alle drei Parteien haben den Bundestagswahlkampf mit dem gleichen sozialpolitischen Schwerpunkt geführt. Die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums stand im Vordergrund. Die Unterschiede waren allenfalls gradueller Natur. Man könnte sagen, nie war die politische Schnittmenge des linken Lagers größer, die Grundlage für ein Bündnis breiter.
Linksbündnis birgt künftig mehr innere Spannungen
Allerdings entpuppten sich Steuererhöhungen und Umverteilung als Verliererthemen, auch von denjenigen Wählerinnen und Wählern, die ihre Stimme der SPD oder den Grünen gaben, wollen die wenigsten von einer rot-rot-grünen Koalition geführt werden. Wer nur auf die Stimmenanteile schaut, übersieht, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz weit unterhalb deren Summe befindet. Zumindest SPD und Grüne haben mit ihrem Wahlkampf die zur Mitte tendierenden Teile ihrer Wählerschaft verschreckt und werden daraus in Zukunft Konsequenzen ziehen, die auf eine Lockerung ihrer wechselseitigen Koalitions-Präferenz hinauslaufen werden. Ein Linksbündnis wird also künftig mehr innere Spannungen bergen.
Seine gesellschaftliche Akzeptanz wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit die Linke zu Anpassungen bereit und in der Lage ist. Sie wird – ob Abschaffung der Nato oder Hartz IV – ähnliche Häutungen durchmachen, wie sie bei den Grünen in den neunziger Jahren zu beobachten waren, ohne allerdings dabei durch ein programmatisches Alleinstellungsmerkmal geschützt zu sein, wie es die Ökologie für die Grünen ist. Stabil ist die Linke in ihren ostdeutschen Landesverbänden. Dort ist die Anpassungserfordernis geringer, denn sie ist integrierter Teil der Gesellschaft. Dort ist eine Koalition mit der SPD lediglich eine Frage der politischen Opportunität, bei der auch die SED-Vergangenheit keine einschränkende Rolle mehr spielt, aus der sich eine gesonderte Umgangsweise ableiten ließe. Gegen die Ablösung der Großen Koalition in Thüringen durch eine rot-rot-grüne Regierung mit einem Ministerpräsidenten Ramelow bei der kommenden Wahl spräche allenfalls der gewichtige Einwand, dass sich dadurch die Mehrheiten im Bundesrat zu Ungunsten der Bundesregierung verschieben würden.
Ob allerdings damit bereits eine rot-rot-grüne Koalition bei der nächsten Bundestagswahl in den Bereich des politisch Möglichen rückt, wird maßgeblich davon abhängen, ob die Linke in ihren westlichen Landesverbänden ebenfalls zu einer Realpolitik bereit ist. Eine Politik des innerparteilichen Burgfriedens zwischen den Strömungen, wie derzeit praktiziert, wird dann nicht mehr möglich sein. Wie bei den Grünen in den neunziger Jahren werden die Konflikte aufbrechen, ohne allerdings durch das Band einer gemeinsamen Parteigeschichte eingehegt zu werden. Bislang ist kein strategisches Zentrum der Partei erkennbar, das einen solchen Prozess steuern kann. Es ist noch nicht einmal ausgemacht, ob die Linke an der Regierungsfrage nicht auseinanderfallen wird. Nur eines ist sicher: darauf, dass die SPD diesen Prozess erleichtert, indem sie der Linken entgegenkommt, sollten Gysi und Kipping besser nicht hoffen. Dazu ist Gabriels Trägheitsmoment zu groß.
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