- Adolf Hitlers Jünger
Reichsbürger und Polizeihilfswerk: Sie leugnen die Existenz der Bundesrepublik und könnten eigentlich als einfache Spinner ignoriert werden. Doch in Sachsen streben sie mit Gewalt an die Öffentlichkeit
Ziemlich schnell hört man auf zu zählen, wie viele Sätze jetzt schon justiziabel waren. Ingo Köth könnte eigentlich als netter Mann durchgehen. Der Mittvierziger und gebürtige Leipziger hat einen etwas nölig-sächsischen Tonfall und grinst, wenn er seine Pointen gesetzt hat, etwas diebisch.
Eine Pointe, das ist bei ihm relativ häufig die Leugnung des Holocausts, die Verehrung Adolf Hitlers oder die Ankündigung, Feinde jedweder Art demnächst ins Arbeitslager zu stecken. Man könnte glauben, er sei ein rechter Spinner, der seine Botschaften per russischem Videokanal in die Welt pustet – und eigentlich auch als Spinner sein Leben weiter fristen könnte, ohne dass es jemanden interessieren müsste.
Doch Köth ist nicht nur ein einzelner Spinner. Er ist ein, zugegeben besonders krasses, Exemplar einer ultrarechten Gruppierung, die Sicherheitsbehörden noch intensiv beschäftigen wird. Vor allem die sächsischen.
Ingo Köth ist Gründer und, um kurz in seinem Selbstverständnis zu bleiben, designierter „Staatschef“ eines neuen nationalsozialistischen „Volksdeutschlands“. Auf seiner Internetseite behauptet Köth, dass die Bundesrepublik Deutschland keine völkerrechtliche Existenzberechtigung habe. Er bezweifelt all ihre Institutionen – vor allem jene staatlichen Organe, mit denen Köth am meisten zu hat: Gerichte und Polizei.
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Die Bewegung trauert um Adolf Hitlers „Wohlfühldiktatur“, die nur vorübergehend außer Kraft geputscht sei und ihrer Wiederkehr harre. Und Ingo Köth will Vollstrecker des zwangsläufigen historischen Gangs sein.
Andreas Vorrath ist Mitarbeiter des sächsischen Grünen-Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi, er beschäftigt sich seit Monaten mit Ingo Köths „Volksdeutschland“ und der sogenannten Reichsbürgerbewegung. Wenn er von Ingo Köth erzählt, entschuldigt er sich immer wieder. „Ich weiß, das klingt alles haarsträubend und das ist es ja auch.“
Die Reichsbürgerbewegung gibt es in Deutschland schon lange, in Sachsen, so Vorrath, wagt sie sich aber gerade ungewohnt offen aus der Deckung. Vor allem unter streng nationalsozialistisch geprägten Rechten, die Verschwörungstheorien nicht abgeneigt sind, finden die Reichsbürger im Freistaat laut Vorrath Anklang. Sie greifen Gerichtsvollzieher an, sitzen als Mittelständler im Gemeinderat – und planen für Ende Juli ein Volksfest auf den Elbwiesen in Meißen. „Die Sicherheitsbehörden in Sachsen unterschätzen das Problem bisher“, sagt Vorrath.
Dass das Problem drückend ist, zeigt sich daran, dass Vorrath derzeit von mehreren Landratsämtern angefragt ist, seine Erkenntnisse zur Reichsbürgerbewegung im Allgemeinen und den sächsischen Ausprägungen im Besonderen zu referieren. Vorrath gibt in den Vorträgen zunächst einen kurzen Abriss über die Geschichte der Reichsbürger, die bis in die Gründungsjahre der Bundesrepublik zurückreicht „und inzwischen eine unzählbare Menge an kommissarischen Reichsregierungen hervorgebracht hat“. Es geht dann um die sächsischen Ausprägungen, darunter Ingo Köth. Und dann um das „Deutsche Polizeihilfswerk“ (DPHW), mit dessen Vertretern sächsische Behörden gerade unschöne Kontakte haben. Das DPHW: Für Vorrath „so etwas wie die Exekutive der Reichsbürgerbewegung“.
Das DPHW tritt auf im Mantel einer Bürgerwehr. „Rechtschaffende Menschen“, heißt es auf der Homepage der Organisation, „haben sich dem Schutz von Recht und Ordnung und der strikten Einhaltung legitim gültiger Gesetze verpflichtet“. Dass sie mit den legitimen Gesetzen nicht unbedingt jene der Bundesrepublik meinen, machten sie im vergangen Jahr zum Beispiel im sächsischen Bärwalde deutlich. Ein Dutzend DPHW-ler lauerten einem Gerichtsvollzieher bei dessen Arbeit auf und hielten ihn fest – mit der Begründung, der Beamte sei nicht legitimiert. Im Dezember schickte das DPHW in Meißen einen „rechtlichen Vertreter“ ans Amtsgericht, um dort den Standpunkt des DPHW in Vertretung einer „alten Dame“ deutlich zu machen. Und zwei Polizisten in einem Dorf im südlichen Sachsen-Anhalt mussten sich zur gleichen Zeit gegen DPHW-Vertreter durchsetzen, um einen Haftbefehl zu vollstrecken.
„Dafür, dass aufgrund des fortschreitenden Rechteabbaus über immer weiter um sich greifende Willkür bis hin zu klarer Gewalt gegen den Bürger überhaupt erst ein Schutz der Menschen notwendig wird, trägt das DPHW keine Verantwortung“, heißt es auf der Homepage. „Diese ist in der Politik und Justiz zu suchen, die diese Entwicklung voran treiben.“
Gründer des DPHWs ist Volker S., ein ehemaliges Mitglied der sächsischen Polizeigewerkschaft. Verbindungen zur Reichsbürgerbewegung werden von S. bestritten – allerdings ist Holger F. sein Pressesprecher. F. ist Autor des Buchs „Die Jahrhundertlüge“, laut Andreas Vorrath „die Bibel der Reichsbürgerbewegung“. Und in einer Gemeinde bei Bautzen gab es gerade eine Razzia bei zwei Unternehmern, darunter ein ehemaliger Gemeinderat. Die Männer waren nach Polizeiangaben schon länger als „Reichdeutsche“ unterwegs. Bei beiden seien Fantasie-Ausweise des DPHW gefunden worden.
Zuletzt haben die sächsischen Sicherheitsbehörden hart gegen prominente Vertreter von „Reichsbürgern“ und DPHW durchgegriffen. Bei einer Razzia wurden mehrere Grundstücke von DPHW-Mitgliedern durchsucht, die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt seit Januar wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und Ingo Köth wurde Mitte April festgenommen, wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung, teilte ein Sprecher des sächsischen Innenministeriums mit.
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Empfindliche Schläge, sicher. Aber keine, die der sächsischen Szene der Reichsbürger und DPHW-ler ernsthaft Einhalt gebietet, glaubt Andreas Vorrath. Er schätzt den harten Kern um Ingo Köth und sein Volksdeutschland auf rund zwei Dutzend Nationalsozialisten. Und das DPHW erhalte vermehrt Zulauf aus der neonazistischen Kameradschaftsszene: „Von älteren Kameraden, die es jetzt etwas gesetzter angehen wollen“.
Tatsächlich hat das DPHW seinen Sitz laut Impressum in Limbach-Oberfrohna, eine der Hochstätten sächsischer Hardcore-Kameraden. Kameradschaften, freie Radikale, DPHW, Reichsbürger – für Vorrath ist dies „eine gefährliche Mischung“, die durchaus Potenzial habe, neue gewalttätige Strukturen am sächsischen rechten Rand wachsen zu lassen.
Gerade trommelt Ingo Köth aus dem Gefängnis heraus für seinen „Tag X“. Und gewissermaßen ist es auch für die sächsischen Behörden ein Tag mit vollkommen offener Bedrohungslage. Für den 25. Juli nämlich hat Köth zu einem Volksfest auf den Elbwiesen in Meißen aufgerufen. Es soll das Konzept der „Volksdiktatur“ vorgestellt werden und ein „Nationalkongress“ abgehalten werden, heißt es in der Ankündigung.
Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass der Behörde „Reaktionen aus der rechtsextremistischen Szene dazu“ noch nicht bekannt wären, auch über Vorbereitungen wisse man nichts. „Unbeschadet dessen wird die Polizei den Veranstaltungstermin im Auge behalten und in Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung entsprechende Maßnahmen vorbereiten.“
Ingo Köth derweil bittet Sympathisanten um Anrufe. Einfach nach „Ingo der NS“ fragen, weist er auf seiner Homepage an. Die Gefängnisleitung wisse schon, wer gemeint ist.
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