Die EU sollte das polnische Verfassungsurteil als Chance betrachten / Julia Kluge

Polen - Brüssel, bleib bei deinen Leisten

Polen steht nach dem Urteil seines Verfassungsgerichts am Pranger. Hinter dem Konflikt verbirgt sich aber ein ungelöstes politisches Problem: Wie viele Kompetenzen sollen die Nationalstaaten an die EU abgeben?

Autoreninfo

Otto Depenheuer ist Professor für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre und Rechtsphilosphie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Köln. 

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Ein Urteil des polnischen Verfassungstribunals sorgt in Brüssel und Luxemburg für helle Aufregung: Am 7.Oktober hat es den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht offen infrage gestellt. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der einen Sturm europäischer Entrüstung auslöste und die Präsidentin der Europäischen Kommission zu einer sofortigen Klarstellung veranlasste: „Sämtliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind für alle Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der nationalen Gerichte, bindend. Das EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich verfassungsrechtlicher Bestimmungen.“

Politik und Medien in Deutschland und Europa spendeten einhelligen Beifall und beteiligten sich am Polen-Bashing: „Spalt und Streit“ würde Polen mit diesem Urteil säen. Die EU-Kommissionschefin drohte Polen mit finanziellen Sanktionen. Schon machen Spekulationen über einen möglichen „Polexit“ die Runde. Die politische Situation innerhalb der Gemeinschaft war so angespannt, dass der letzte EU-Gipfel – um Entspannung bemüht – das heiße Thema erst einmal vertagte. Tatsächlich berührt der Vorgang einen seit Jahrzehnten wunden Punkt im Kern der rechtlichen Konstruktion der Europäischen Gemeinschaft. Diese ist geprägt vom Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Nur wenn und soweit die Verträge den Organen der EU Kompetenzen zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen haben, dürfen diese gemeinschaftsrechtlich bindende Entscheidungen treffen.

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Karl-Heinz Weiß | So., 19. Dezember 2021 - 18:43

Der Beitrag stellt die Problematik umfassend und aus meiner Sicht absolut zutreffend dar. In der öffentlichen Diskussion geht es aber eher um die Frage der Unabhängigkeit der polnischen Justiz im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung. Polen versucht hier aus der Defensive herauszukommen, in dem es die Richterbestellungen in Deutschland (BGH) kritisiert. Keine schlechte Strategie, auch im Hinblick auf das BVerfG. Vielleicht nutzt der EuGH dies für ein Revanchefoul.

Rob Schuberth | So., 19. Dezember 2021 - 19:05

Schon oft habe ich hier geschrieben, dass Brüssel seine Macht - ohne Befugnisse od. Ermächtigung - ausbauen will.
Ich hoffe unser Frühling nimmt das zum Anlass aufzuhören das abfällig als Hirngespinste od. VT abzutun.
Zitat:"Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung...." ist es der Brüssel daran hindert sich - über die Int. einzelner Mitglieder - mehr u. mehr Macht anzueignen.
Leider ist gerade unsere Ex-Kanzlerin u. noch mehr die neue Ampel aber dabei Brüssel im Aufbau seines Narrativs (Polen u. Ungarn wären die Abweichler) zu unterstützen.
Unsere MSM befeuern das nat. ebenfalls.
Alles eine verlogene grünlinke Bande von Lügnern.
Es eint sie der Plan der ever-closer-union.

Aber sie werden damit erfolglos bleiben, denn Macron hat nicht vor D weiterhin zu unterstützen.
Der bildet bereits Allianzen mit den V4...kluger Mann. Und die NDL kehren zur Kernkraft zurück. Weichen also ebenfalls v. der deutschen Politik ab.

Brüssel gehört vor den Gericht...nicht Polen od. Ungarn.

aus Naivität, Unwissenheit und Demagogie die EU-Hasser ihre Vorurteile ausleben.
So so, "Brüssel" soll also vor Gericht - wobei ich mich immer noch frage, wer das sein soll. Etwa jeder Einwohner Brüssels?

Scherz beiseite.

Das Ziel einer "ever closer European Unit" ist ein von den Mitgliedstaaten vor Jahren formuliertes. Wenn daran festgehalten wird, dann ist das nicht, wie offensichtlich Desinformierte glauben, ein zu ahndendes Vergehen, sondern konsequentes Festhalten an europäischen Zielen.

Genauso steht es mit Werten, die die EU für unverzichtbar hält. Wenn Polen Richter austauscht, weil sie der rechtskonservativen Regierung und deren zunehmend antidemokratischem Handeln entgegenstehen, muss das kritisiert werden. Wer, wie Orban, Presse und Justiz unter seine Kontrolle bringt, rassistisch und antisemitisch argumentiert, kann keine Toleranz dafür erwarten.

Wer aber aus den polnischen und ungarischen Autokraten Helden bastelt, hält wohl nicht viel von Rechtsstaat oder Demokratie.

Hallo Herr Lenz, mir war Ihre Reaktion ja klar u. an einer Debatte (also einer echten, nicht dieses Kastrat hier im Cicero-Forum) mit Ihnen hätte ich auch real Int.
Ok, das geht aber nicht.

Um mal nachlesen zu können was Sie mir regelmäßig auf meine Kritik vorhalten, bitte icjh Sie mir den Vertrag, die Präambel, o. ä. zu verlinken, die/der belegt, dass sich alle 28 EU-Länder (denn da müsste ja GB noch dabei gewesen sein) auf das Ziel der ever-closer-union geeinigt haben.
Eines noch.
Sie wissen ganz genau, dass ich mit "Brüssel" die rd. 30.000 Eurokraten meine(die dort arbeiten u./od. ein Mandat haben)denen wir all die Regeln u. Gesetze zu verdanken haben.Das ist m. E. ein sich selbst erhaltender, immer stärker wachsender Moloch. Aber sorry,das kann ich nat. nicht belegen. Sie können allerdings auch nicht das Gegenteil belegen.
Ich hasse die EU nicht, möchte aber grundlegende Reformen. Wem der € zu stark ist (Südländer) der muss gehen.
Die EZB verhindert das m. deutschem Sparergeld.

da haben Sie völlig recht und meine 100 %ige Zustimmung: nicht Polen und Ungarn, sondern Brüssel gehören vor Gericht wegen linker Wahrheitsverdrehung und Rufmord an ehrlich-demokratischen Politikern!
Europa (EU) war als Gemeinschaft gedacht, nicht als Zwangsvereinigung und Geldverbrennungsmaschine, bei denen sich Inkompetenz mit Dummheit paart und am Steuerzahler bereichert!

Das Ziel der "ever closer union" ist in der Tat ein zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten vereinbartes, jedoch nie durch die Völker der Mitgliedsstaaten unter Verzicht auf verfassungsmäßige Rechte legitimiertes Ziel. Für das Abtreten von verfassungsmäßig jedem Bürger gewährten Rechten bedarf es mehr als einer Regierungsvereinbarung. Die Verfassungen der Mitgliedsländer behalten den unbedingten Vorrang vor EU-Recht, solange dies nicht von den Völkern anders bestimmt wurde. Sie mögen die Verfassungen kritisieren. Die Berufung der Polen auf ihre Verfassung, die für die Polen die Grundlage ihres Gemeinwesens ist, kann aber nicht ohne weiteres durch die EU eingeschränkt werden. Was die EU mit ihrem Versuch der Unterwerfung der Polen und Ungarn versucht, legt die Lunte an die EU. Dass die Deutschen hündisch alles für "Europa" opfern werden ist klar. Für andere ist "Europa" aber mehr als die EU.

<<Genauso steht es mit Werten, die die EU für unverzichtbar hält.>>

Wie steht es mit den Werten, die unserem GG geregelt,
sind, kann man darauf verzichten?

Die Werte der Menschenrechte decken sich mit denen der EU u. der
Charta der Vereinten Nationen.

Dazu gehört auch Art 2 GG
(Ich bin geimpft) Es geht um Ihre pauschale Verurteilung der Nichtgeimpften, die Sie alle als asozial und Idioten titulieren.
Ich frage mich, warum handeln Menschen wie Sie so respektlos.

Der Kommentator hat 100 Punkte. Exakt wie Sie es wiedergeben ist es. Wenn der Euro weiter schwächelt und das gesamte gefakte Finanzgerüst zusammenbricht, wird es kein Geld mehr zum Schmieren der "widerspenstigen" Staaten geben. Dann zerbricht diese EU an sich selbst und ihrem illegitimen Machtanspruch. Der polnische Präsident hat doch innerstaatlich den dort vorgegeben Rechtsweg eingehalten. Er hat sein Verfassungsgericht gefragt und das hat ihm geantwortet. Gerade Deutschland regt sich über andere auf und hat beamtete weisungsgebundene Staatsanwälte, die man lenkt und damit die Freiheit des Rechts aushebelt. Das bemängeln Sie ja auch schon lange Herr Schuberth, wie viele hier im Forum. Der EUGH ist dabei, mit seinen politisch motivierten übergriffigen Einzelentscheidungen sich selbst abzuschaffen. Der EUGH ist ein illegales Konstrukt, wie die gesamte EU-Administration. Wenn die nicht zurück zu ihren Wurzeln gehen, wird diese EU implodieren. Mir wäre das heute lieber, wie morgen.

... und deshalb wird auch Alles (....selbst wenn es letztendlich zerstörerisch wirkt) versucht, um das Kapital in dieser Art noch möglichst lange "am Leben zu halten". Das ganze Gebäude steht und fällt mit dem Kapital ... nix mit Freiheit, Ehre und was man sonst so auf das Banner schreibt.
Das musste sogar die "rote Pastorentochter" aus dem sozialistischen Osten lernen und hat es seeeeehr schnell getan!

Petra Horn | So., 19. Dezember 2021 - 22:24

und die sind, die
"ever closer union" aufzubauen.
Die Finalität ist ein autokratischer Superstaat, in dem durch "sanfte" smarte Überwachung und Steuerung, ein ausgeklügeltes Sozialpunkte und Nudging-System der ehemalige Bürger, die jetzt nur noch Teil einer Bevölkerung aus allen Teilen der Welt sind, in das große Ganze einzupassen und ihm zu suggerieren, daß er glücklich ist, auch wenn er arm ist, und daß er etwas mitzubestimmen hat, obwohl von vorne bis hinten für ihn gedacht wird.
Daß dies nicht funktioniert, ist evident, und es wird in eine Katastrophe führen, vielleicht verpufft die EU mit ihren Mitgliedsstaaten aber auch einfach so.
Die Osteuropäer haben uns etwas voraus, die haben das schon einmal durchlebt.

gabriele bondzio | Mo., 20. Dezember 2021 - 09:36

Viele Ostdeutsche haben dies erlebt und perdu keine Hinwendung auf Gleiches, ein bisschen neu aufgehübscht.

"Der moderne Zeitgeist ist bloß ein seelenloses Gespenst, das auf dem tristen Friedhof seinen geschmacklosen Spuk treibt, auf dem man die letzten Erbstücke kultureller Monumente zu Grabe trägt. " (Keimel, Markus)

W.D. Hohe | Mo., 20. Dezember 2021 - 10:18

fesselfrei in irgend einen "Orbit" frei gesetzte Verwaltung entwickelt sich - früher oder später - zu dem Computer der in Kubricks "2001 Odysee im Weltraum" der seinem von Raum-Patroullie zurückkehrenden "Chef" die Türen verschloss.

Bernhard Marquardt | Mo., 20. Dezember 2021 - 12:12

Eine solche Entscheidung darf keine Regierung ohne ausdrückliche Zustimmung des Volkes treffen. Schon gar nicht hinterrücks über Bande mit der EU-Kommission gespielt. England hat deshalb die Reißleine gezogen.
Bei aller berechtigten Kritik an Polens „Justizreform“ geht es in Wahrheit um etwas ganz anderes: Am „geeigneten“ Präzedenzfall Polen will die EU den Vorrang des EuGH gegenüber dem polnischen Verfassungsgericht selbst mit erpresserischen Mitteln durchsetzen und zementieren. Unter dem Beifall vieler Vertreter verschiedener EU-Mitgliedsländer. Nicht ahnend, dass die EU diesen Vorgang zum Anlass nehmen will und wird, in Konsequenz die Verfassungsgerichtsbarkeit aller EU-Mitglieder, auch Deutschlands, dem diesbezüglich durch nichts legitimierten EuGH zu unterstellen. Und damit letztlich nichts anderes als der eigenen Souveränität. Die EZB hat dieses Ziel gegenüber den nationalen Notenbanken bereits errecht.

Bernhard Marquardt | Mo., 20. Dezember 2021 - 12:28

Den EuGH bilden 27 Richter (je einer pro EU-Mitgliedstaat von dessen Regierung entsandt), von denen jeweils deren 11 als Spruchkörper an Stelle des Plenums dienen, ferner 11 Generalanwälte, die nach der mündlichen Verhandlung von Streitfällen einen Vorschlag für ein Urteil in Form von begründeten Schlussanträgen stellen, soweit ihre Mitwirkung nach der Satzung des EuGH erforderlich ist.
Nach den Grundsätzen der EU ist Rechtsstaatlichkeit nur gewährleistet mit unabhängigen Richtern und Staatsanwälten. Dieser Anforderung muss sich der EuGH natürlich auch selbst stellen. Derzeit erfüllen die Richter und Generalanwälte des EuGH diesen Anspruch sicher nicht. Richterliche Unabhängigkeit und Objektivität sieht anders aus. In Wahrheit handelt es sich bei den Richtern und Generalanwälten des EuGH drastisch formuliert um juristische Lobbyisten des jeweiligen Entsende-Landes. Diesem fragwürdigen richterlichen Sammelsurium sollen die Mitglieder der EU ihre Souveränität zu Füßen legen?

Hans Schäfer | Mo., 20. Dezember 2021 - 15:39

Auch grobe Rechtsfehler sind nicht bedenklich, wenn sie nicht „extrem“ rechtlich falsch sind.

Dem Begründungsreichtum der Juristen sind keine Grenzen gesetzt.