- Ein olympisches Sommermärchen
Es könnte ein revolutionäres Projekt sein: Olympia in Berlin. Diese Spiele könnten das olympische Motto außer Kraft setzen und für ein zweites Sommermärchen sorgen. Warum sich also dagegen wehren? In Kooperation mit dem Tagesspiegel
Kaum standen die ersten Schlagzeilen über eine mögliche Berliner Olympia-Bewerbung in den Zeitungen, schon stiegen die Blasen des Missmuts aus dem Mecker-Sumpf: Großmannssucht! Geldverschwendung! Mietsteigerungen! Die können doch nicht mal Flughafen!
Stimmt ja. Und was die Finanzen angeht, gibt es in der Tat kaum Beispiele von Städten, auf die durch Olympia ein Geldsegen herniedergeregnet wäre. Mochte sich auch das IOC regelmäßig bereichern und manch einzelnes Unternehmen auch – für den Normalbürger ist selten etwas hängen geblieben (sieht man einmal von München ab, dem Olympia eine Verbesserung der Verkehrsstruktur ohnegleichen bescherte; aber das ist lange her).
Olympia besteht nicht nur aus Unkosten
Auf der anderen Seite aber ist auch kein Fall bekannt, in dem Olympische Spiele die Stadtkassen ruiniert hätten, schon wegen der staatlichen Zuschüsse. In London etwa, dem bisher letzten der olympischen Austragungsorte, ist bis heute noch ungeklärt, ob es der Stadt etwas gebracht hat, und wenn ja, wie viel.
Allerdings ist es ohnehin zu kurz gegriffen, Olympia auf die Finanzen zu reduzieren. Die Folgen gehen weit darüber hinaus, nicht nur, was den Tourismus betrifft oder den Imagegewinn. Es geht um urbane Zukunft. Und hier hat Berlin ein Problem. Gerade deshalb sind die missgünstigen Reaktionen so verstörend. Weil aus ihnen eine Haltung spricht, die nur die Gegenwart im Blick hat.
Denn 2024, 2028 oder wann auch immer Olympia nach Berlin kommen könnte, wird die Stadt den Charme von heute mutmaßlich verloren haben. Denn dieser Charme ist ein Ergebnis der Vergangenheit. Die Stadt lebt von ihren Wunden, und sie lebt vortrefflich damit. Mit all dem Unregulierten, den Brachflächen, auf denen die wundersamsten Blüten treiben können, dem viel beschworenen Unfertigen.
Leider hat die Vergangenheit den Fehler, dass man sie nicht auf alle Ewigkeiten ausbeuten kann. Je weiter die Zeit fortschreitet, umso mehr wird der Lack, der heute gerade noch glänzt, matt und grau sein. Dann werden die Brachen nicht mehr als Chance erscheinen, sondern als das, was sie auch sind: hässlich. Und das Unfertige als Verwahrlosung. Das Berliner Trägheitsgesetz, dass alles tunlichst so bleiben möge, wie es ist – auf längere Frist gesehen ist das nichts anderes als der sichere Niedergang eines Gemeinwesens. Eine Stadt muss sich verändern, damit alles bleibt, wie es ist. Leider ist der Wille zur Veränderung nicht gerade eine Berliner Spezialität.
Der Gigantomanie ein Ende setzen
Vom Tempelhofer Feld soll an dieser Stelle nicht schon wieder gesprochen werden, das Nein beim Volksentscheid hat auch mit berechtigtem Misstrauen gegen Politik und Verwaltung zu tun. Aber die Frage sei dennoch gestattet, ob es tatsächlich der Gipfel von Bürgerfreiheit sein kann, unbegrenzt Drachen steigen zu lassen. Ob es nicht ein bisschen mehr sein darf? Zum Beispiel, ein ganz anderes Projekt in den Himmel zu heben? Zum Beispiel Olympia. Ideen wahr werden lassen, Bürger ihre Stadt neu erfinden zu lassen.
Und das Schönste dabei: Es könnte sich um ein wahrhaft revolutionäres Projekt handeln. Es könnten Spiele sein, die das olympische Motto „citius, altius, fortius“ – schneller, höher, stärker – außer Kraft setzen. Nicht, was den Sport angeht, sondern die Planung. Es könnte der Gigantomanie ein Ende setzen: nicht 36 Milliarden Euro wie in Peking, nicht 12 wie in London. Und Olympia in Berlin zu einem Sportfest machen, bei dem die Betonung auf dem Wort „Fest“ liegt. Noch heute zaubert das Wort „Sommermärchen“ einen Glanz in Berliner Augen, obwohl das schon acht Jahre her ist.
Die Sportstätten sind fast alle schon da, müssten nur teilweise saniert werden. Ähnliches gilt für die Verkehrsverbindungen. Der Bau eines olympischen Dorfs führte möglicherweise zu preiswerten Mietwohnungen. Und Berlin könnte aller Welt vormachen, dass Olympia endlich einen Schlussstrich zieht unter den Irrsinn des grenzenlosen Wachstums. Es wäre eine Wende in der olympischen Geschichte, ein Gegenentwurf zu allen vorhergehenden Ereignissen.
Dass das am IOC scheitern würde, das hauptsächlich Interesse daran hat, dass auf den Vip- Tribünen der Champagner schäumt? Schon möglich. Es ist ja bloß eine schöne Utopie. Aber eine solche wahr werden zu lassen – das gehört schließlich auch zu den Berliner Spezialitäten.
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