- Ihr müsst nicht kaputt machen, was euch kaputt macht
Wenn Sascha Lobo das Netz für kaputt erklärt, dann ist die Aufmerksamkeit groß. Die anschließende Debatte hat allerdings einen Geburtsfehler: Das Netz ist gar nicht kaputt. Es ist nur in falsche Hände geraten
Das Internet ist kaputt. Steht in der FAZ. Geschrieben von Sascha Lobo. Das ist so furchtbar erwartbar, dass man im ersten Moment kaum anders kann als zu gähnen. Alles, wirklich alles ist daran erwartbar: Mit grenzenlosem Online-Optimismus gewinnt man heute keinen kommerziellen Blumentopf mehr, weil erstens inzwischen sogar meine Großeltern das Internet irgendwie toll fänden, würden sie noch leben. Und weil zweitens Sascha Lobo schon immer sehr clever darin war, sich an die Spitze von gefühlten Bewegungen zu setzen. Das Netz ist jetzt Mainstream? Dann kann die neue Netzavantgarde ja nur aus den Skeptikern bestehen.
Achja, und die FAZ: Die hat die Netzskeptik kultiviert. Möglicherweise aus echter Überzeugung, vielleicht aber auch deswegen, damit Frank Schirrmacher weiter seine apokalyptischen Bestseller schreiben kann, die im Wesentlichen als theoretische Grundlage haben, dass das Netz an ungefähr allem schuld ist, an der Verdummung des Menschen ebenso wie an seiner Versklavung. Dass die FAZ und Schirrmacher gerne mal auf die verkappte Provokation als solche setzen, ist mittlerweile als ganz passable Marketing-Tour bekannt. Vermutlich hält man es bei der FAZ schon für eine Provokation, wenn man Lobo dort ab und an schreiben lässt. Man würde sich jedenfalls nicht mehr wundern, wenn dann demnächst ein gemeinsames Buch von Lobo und Schirrmacher erscheint: Ego. Das Spiel mit dem, was wir das kaputte Internet nennen.
Und natürlich war auch die öffentliche Erregung erwartbar – und kalkuliert. Die Zahl der öffentlichen Repliken auf das Stückchen wächst von Stunde zu Stunde (und ja, zugegeben: Man hat als Autor einer solchen Replik durchaus ein ambivalentes Verhältnis dazu, sie zu schreiben – geht man damit schließlich doch auch dem Kalkül einer gezielten Provokation auf den Leim).
Wir sind im Netz fahrlässig
Das Netz ist die gewaltigste Kommunikations- und Medienmaschine in der Geschichte. Sie bietet Möglichkeiten, die bislang unvorstellbar waren. Leider, das stellt Lobo richtig fest, für alle Seiten, demnach also auch für die, die es mit dem Netz und den Menschen vielleicht nicht ganz so gut meinen. Wäre es also demnach wirklich realistisch gewesen zu glauben, dass ein solches Ding nicht Begehrlichkeiten wecken würde? Dass es niemanden geben würde, der versuchen würde, diese Maschine unter seine Kontrolle zu bringen? Noch dazu, wenn man schon aus den Vor-NSA-Zeiten wusste, dass der digitale Mensch in seinem digitalen Lebensraum ganz erstaunliche Dinge zulässt, die er im normalen, analogen Leben nie zugelassen hätte?
Im Netz sind Quasi-Monopole entstanden, die jede Kartellbehörde ausgesprochen kritisch unter die Augen genommen hätte. Im Netz existieren mildere Formen von Kontrolle und Überwachung schon seit Anbeginn der Zeit. In Formen, die im echten Leben für einen handfesten Skandal gesorgt hätten. Nicht zu vergessen: Wir reden von einer Gesellschaft, die sich ansonsten auch mal um den korrekten Krümmungsgrad von Gurken sorgt. Und in der jeder Polizist sich Sorgen machen sollte, wenn er zu einem Staatsbürger möglicherweise mal nicht ganz korrekt ist.
So penibel wir also im echten Leben auf die Einhaltung von Recht und öffentlicher Ordnung schauen und gleichzeitig gerne mal zum türkischen Gemüsehändler um die Ecke gehen, um die Ketten nicht noch größer und mächtiger werden zu lassen, so fahrlässig gehen wir seit vielen Jahren mit unseren eigenen Interessen im Netz um. Wir regen uns vielleicht über etwaige schwierige Arbeitsverhältnisse bei Amazon auf, fördern aber jeden Tag mit unserem Verhalten im Netz Monopole. Wir kleben „Bitte keine Werbung“ auf unsere Briefkästen und weigern uns, bei Umfragen an Supermarkt-Kassen unsere Postleitzahl zu nennen, wissen aber nicht so genau, was Cookies sind und was sie in etwa anstellen könnten. Wir finden die Größe und Marktmacht von Google und Facebook bedenklich, lassen uns aber selbstverständlich nicht davon abhalten, täglich weiter fleißig zu googlen und zu facebooken. Einem Ertrinkenden, der auf das Wasser schlägt, um es zu vertreiben, den würden wir für schlichtweg bescheuert erklären. Sehr viel rationaler ist unser Verhältnis zum Netz allerdings in vielen Fällen auch nicht.
Kurz gesagt: Unser Umgang mit dem Netz und unseren digitalen Freiheitsrechten ist derart fahrlässig, dass es naiv ist zu glauben, die Maschine Internet sei jetzt irgendwie kaputt gegangen, weil andere sie kaputt gemacht haben. Stattdessen haben wir über viele Jahre zugelassen, dass andere sich unser Netz, das nie unseres war, so hingerichtet haben, wie sie es wollten (während wir Netzerklärer dampfplaudernd auf irgendwelchen Panels rumgesessen sind). Wenn man so will, dann ist der jetzige Zustand des Netzes nichts anderes als das Resultat von kühl kalkulierender Machtpolitik. Ab und an verschätzt sich diese Machtpolitik ein wenig, wenn beispielsweise gewesene Kanzleramtsminister eine Affäre mal eben für beendet erklären wollen. Aber eben nur dann, ansonsten kann sich die Politik darauf verlassen, dass das Netz nicht mal in einem Wahlkampf eine spürbare Rolle spielt.
Die Analyse Lobos, dass im Netz irgendwas nicht so ist, wie es sein sollte, ist nicht falsch. Falsch hingegen die Idee, es sei einfach kaputt. Es halte nicht das, was es versprochen habe (wem eigentlich soll das Netz irgendwas versprochen haben?). Das Problem ist die falsche Erwartungshaltung, die allerdings schon immer eine durch nichts zu rechtfertigende Utopie war: dass eine Technologie per se irgendetwas Gutes bewirkt. Eine Technologie bewirkt immer nur das, was seine Anwender daraus machen. Ein Flugzeug beispielsweise, das ist eine großartige Erfindung. Es kann aber genauso eine todbringende, grausame Kriegsmaschine sein. Ist letzteres der Fall, dann wäre es eine merkwürdige Schlussfolgerung zu sagen, Flugzeuge seien kaputt und würden die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen.
Die Aufregung um Lobos Text offenbart aber auch noch ein anderes Grundproblem in einer digitalen Tempogesellschaft: die Bereitschaft, lange Texte gründlich zu lesen und zu debattieren, lässt spürbar nach. Hauptsache, man ist dabei und debattiert auf einem Level, das als oberstes Kriterium hat, dass man etwas posten kann, irgendwo bei Facebook oder bei Twitter, Hauptsache Post-fähig. Angekommen in der öffentlichen Debatte ist dann lediglich:
Das Internet ist kaputt! Sagt der Lobo! In der FAZ!
Stellt euch auf die Hinterfüße, verdammt
Lobos Text ist allerdings deutlich differenzierter, als diese so wunderbar facebookfähige Verkürzung. Die Quintessenz ist eine andere – und auf die könnte man sich schon sehr viel eher einigen: Das Netz ist nicht kaputt, es ist nur in die Hände der falschen Leute geraten. Und es ist immer noch einer sehr großen Menge Menschen viel zu gleichgültig, obwohl es ihr Leben schon jetzt mehr beeinflusst als jede andere bekannte Technologie. Dort müsste man ansetzen und dann gäbe es auch wieder einen Grund für den von Lobo eingeforderten neuen Netz-Optimismus. Es ist ja nicht so, dass man so denken und handeln müsste wie die verblichene schwarzgelbe Bundesregierung. Die NSA und all ihre unangenehmen Begleiterscheinungen sind nicht gottgegeben. Machtpolitik ist nie gottgegeben.
Das Netz ist kaputt, weil es mir böse Menschen kaputt gemacht haben? Das Netz hat mir viele schöne Dinge versprochen und dann nicht eingehalten? Come on, Sascha, das glaubst du doch nicht wirklich. Vermutlich ist das, was wir im letzten Jahr im Netz erlebt haben, tatsächlich ziemlich unerfreulich. Aber ein ausführliches Lamento in der FAZ hat noch nie geholfen. Stellt euch auf die Hinterfüße, verdammt. Ihr müsst nicht kaputt machen, was euch kaputt macht.
Aber wieder holen, was man uns weggenommen hat – das geht immer.
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