- Wessis, hört die Signale!
Weit über die Landesgrenzen hinaus scheint der Wahlkampf in den neuen Bundesländern auf den ersten Blick nicht zu strahlen. Doch die Wähler in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnten einen neuen Takt für das ganze Land vorgeben und das bundesdeutsche Parteiengefüge kräftig durcheinander wirbeln
Gregor Gysi hat es immer beklagt: Bei der Wiedervereinigung vor einem Vierteljahrhundert hätte der Westen alle seine Errungenschaften dem Osten übergestülpt. Von der DDR sei nichts geblieben außer dem Ampelmännchen und dem grünen Pfeil für Rechtsabbieger.
An dieser Feststellung ist was dran. Gleichwohl: Die Ostdeutschen pflügen die politische Landschaft der gesamten Bundesrepublik um. Zunächst einmal haben sie uns Die Linke beschert (früher: SED/PDS) und damit die Sozialdemokraten bundesweit unter 30 Prozent gedrückt. Und jetzt schicken sie sich an, bei den kommenden drei Landtagswahlen in Sachsen (31. August), Thüringen und Brandenburg (14. September) die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) als neue Kraft rechts von der CDU/CSU zu etablieren, den Exitus der FDP zu beschleunigen und sogar eine rot-rot-grüne Machtoption für 2017 zu eröffnen.
AfD wildert bei der Linkspartei
Die AfD war eine Kopfgeburt westdeutscher Ökonomie-Professoren und kulturpessimistischer Intellektueller. In den neuen Ländern ist sie indes zu einem Sammelbecken von Protestwählern geworden, denen die ganze Richtung nicht passt, die es „denen da oben“ mal richtig zeigen wollen. Diese Funktion hatte in den neuen Ländern lange Zeit die PDS beziehungsweise Linkspartei inne. Doch inzwischen gilt Die Linke vielen Unzufriedenen bereits als ebenfalls etabliert und Teil des „Systems“. Deshalb hat die AfD schon bei der Bundestagswahl in allen neuen Ländern die 5-Prozent-Hürde genommen und bei der Europawahl dort zum Teil zweistellige Anteile erreicht – auch auf Kosten der Linken.
Wie es aussieht, werden die Ostdeutschen die AfD in Sachsen und Brandenburg in den Landtag schicken, wahrscheinlich auch in Thüringen. Zugleich dürften die Sachsen das parlamentarische Aus der FDP und damit auch das Ende der letzten schwarz-gelben Landesregierung besiegeln. In Thüringen und Brandenburg kämpft die FDP ebenfalls auf verlorenem Posten. In den jeweils 44 Wahlkreisen dieser beiden Länder konnten sie in jedem vierten nicht einmal mehr einen Direktkandidaten finden.
Wenn die FDP jetzt drei Mal an der 5-Prozent-Hürde scheitert, ist das noch keine Vorentscheidung für 2017. Aber den Weg zu einem bundespolitischen Comeback der Liberalen dürften die Ostdeutschen durch ihr Votum noch steiler und noch steiniger machen. Zumal eine in drei Landtagen vertretene AfD für die Medien viel interessanter wird als eine im Abstieg befindliche FDP.
Koalitionspartner AfD?
Bundespolitisch von einschneidender Bedeutung könnte ein AfD-Erfolg auch unter dem Aspekt werden, wie die CDU es mit der neuen Konkurrenz von rechts hält. In Sachsen kann die Union mit etwa 40 Prozent rechnen und damit mit mehr als Die Linke, SPD und Grüne zusammen. Aber sie wird wohl einen Koalitionspartner brauchen. Die Bundes-CDU hat der AfD jegliche Qualifikation zum Regieren abgesprochen.
In der Tat fällt die Vorstellung schwer, mit dieser diffusen Ansammlung von politischen Amateuren mit teils marktliberalen, teils wertkonservativen, teils deutschtümelnden und teils kruden politischen Vorstellungen („Wenn es ein Land wichtiger findet, dass man sonntags an privaten Tankstellen sein Auto waschen kann statt wochentags in staatlichen Schulen genug Lehrer zu haben, muss dieses Land verändert werden“ – heißt es im Programm der AfD-Sachsen) ließe sich Staat machen. Die Union in Sachsen könnte jedoch versucht sein, auch mit der AfD Sondierungsgespräche zu führen, schon um einem potentiellen Juniorpartner SPD oder Grüne in den Koalitionsverhandlungen nicht allzu weit entgegen kommen zu müssen. Eine Aufwertung der AfD wäre das allemal.
Ein anderes bundespolitisches Signal mit weitreichenden Folgen könnte von Thüringen ausgehen. Der Zieleinlauf dort scheint festzustehen: CDU vor der Linken und der SPD. Und doch ist dieses Mal alles anders. Seit die SPD nach der Bundestagswahl den Weg frei gemacht hat für rot-rote oder rot-rot-grüne Koalitionen unter Führung der Linkspartei, stehen in Erfurt die Zeichen auf Rot-Rot unter Führung des Linken Bodo Ramelow. Das wäre ein Dammbruch, wenngleich Ramelow wenigstens der erste Sozialist wäre, der durch eine demokratische Wahl ins Amt kommt.
Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün in Erfurt, das wäre – um es in der Sprache der Kanzlerin zu sagen – „nicht hilfreich“ für die Große Koalition in Berlin. Falls die SPD in Thüringen angesichts der zugespitzten Lage in der Ukraine, im Nordirak oder Syrien mit den sich pazifistisch nennenden Putin-Verstehern der Linken gemeinsame Sache macht, wird das Misstrauen der Union gegenüber den Sozialdemokraten wachsen. Schließlich verfügt Rot-Rot-Grün schon jetzt im Bundestag über eine rechnerische Mehrheit. Und dass Sigmar Gabriel sich lieber heute als morgen von der Linken zum Kanzler wählen ließe, darf man getrost unterstellen.
So könnten die Wähler in Sachsen, Thüringen und Brandenburg drei Botschaften senden, die auch in den „alten“ Ländern aufhorchen lassen könnten: Die SPD als Juniorpartner von PDS/Linke, die FDP einen weiteren Schritt in Richtung Abgrund und die AfD als neuer Player im politischen Spiel. Wessis, hört die Signale!
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