- „Die Veränderung würde einige deutlich vor Kopf stoßen“
Der Staatsrechtler Ulrich Battis kritisiert den Vorschlag der Ampel zur Wahlrechtsreform. Das Vorpreschen sei ein unfreundlicher Akt. Wenn Erststimmen-Sieger im Wahlkreis kein Mandat erlangen, sei das dem Bürger nur sehr schwer zu vermitteln. Zugleich müsse die Überkorrektheit des Bundesverfassungsgerichts eingedämmt werden. „Absolute Gerechtigkeit wird es im Wahlrecht nie geben“, sagt Battis.
Ulrich Battis ist Staatsrechtler und Rechtsanwalt. Bis zu seiner Emeritierung 2011 hat er an der Humboldt-Universität zu Berlin gelehrt. Im politischen Bereich ist er verschiedentlich gutachtlich tätig.
Herr Battis, vor fast drei Jahren haben Sie einen Aufruf zur Verkleinerung des Bundestages mit unterzeichnet. Nun legen die Ampel-Fraktionen ihren Vorschlag vor. Erfüllt dieser den angedachten Zweck?
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Angestoßen wurde diese Diskussion durch die zunehmende Anzahl von Überhangmandaten, die die kleineren Parteien benachteiligen. Allerdings sind eine geringe Anzahl von Überhangmandaten letztlich kein Problem.
Die Aufblähung des Parlaments geschieht eindeutig durch die Ausgleichsmandate. Wenn man den Wahlkreissieger nicht ins Parlament einziehen lassen will, dann muss man konsequenter Weise die Erststimme komplett abschaffen und jede Liste hat dann eben einen Spitzenkandidaten. Das Problem mit der Abschaffung der Erststimme ist aber die weitere Anonymisierung von Politik und die Entfremdung der Wähler von der Politik wird verstärkt. Deshalb denke ich, dass Überhangmandate sinnvoll sind und der Demokratie zuträglicher als eine Abschaffung der Erststimme.
Die Größe des Bundestags ist das kleinere Problem. Es sind die 16 Länderparlamente, deren Größe in einem krassen Missverhältnis zur politischen Bedeutung steht. Eine Reform des Föderalismus ist aber weiter entfernt denn je und so bekommt eine Landtagswahl in einem 1-Million- Zwergland bundespolitische Bedeutung. Und dann beginnt das Wehklagen über die geringe Wahlbeteiligung.
ahnungslosen, aber zerstörerischen Ideologen und opportunistischen Karrieristen betrieben wird, spielt die Größe des Parlaments für sinnvolle Entscheidungen keine Rolle. Verlierer gibt es immer? Warum dann nicht diese dekadenten Überhangmandate abschaffen? Nebenbei: "Das hat zu fast willkürlichen Rechtsprechungen in Karlsruhe geführt..." Heute kann man das Wörtchen "fast" getrost weglassen. Dieses System ist krank an Körper und Seele, ein Parasit hat sich dessen bemächtigt: er heißt Parteien.
Das sind alles Scheindiskussionen und das Vorpreschen der Ampel dient doch nur dem Zweck, die Diskussion über ein neues Wahlrecht und eine Reduzierung der Mandate am Ende zu verhindern. Wie viele Diskussionen gab es schon, etliche Warnungen vor einem überbordenden Bundestag und niemand war bereit, etwas zu ändern. Immer hat sich jemand im Nachteil gesehen. Man wird sich medial wieder gegenseitig die Schuld zu schieben und das war es. Die Abschaffung von Überhangmandaten wäre ja mal ein erster Schritt. Für mich ein minimales Ziel. Die Veränderungen der Wahlbezirke der nächste Schritt. Aber wie bei allen anderen Diskussionen, Föderalismusdebatte und Reduzierung der Bundesländer, eine unabhängige Staatsanwaltschaft, der Direktwahl des BP und eine Diskussion darüber, ob man ihn noch braucht usw. Überall das gleiche Spiel. Die Selbstversorger sind nicht mehr bereit, erworbenes Territorium wieder aufzugeben und im Sinne des Bürgers steuersparend zu handeln. Die wollen es einfach nicht.
Was mir einleuchtet: je mehr die Parteienlandschaft zersplittert ist und der Gewinner der Erststimme nicht mehr 50% hat, verliert diese an demokratischem Wert. Einen Erststimmensieg mit 20% kann man eher unter den Tisch fallen lassen. Man könnte etwa sagen, dass alle Erststimmensiege ab x% zwingend ins Parlament einziehen - dann sollte es auch kein Überhangsmandat-Problem geben.
Was ich sehr gut finde ist, dass Battis das Verfassungsgericht kritisiert. Es gab da schon gute kritische Stimmen die letzten jahre, aber die Demokratieauffassung hat sich davor zu weit verbogen, so dass noch mehr Kritik notwendig ist.
Zu sehr wurde das BVerfG als oberste demokratische Instanz und eine Art höhere Wahrheit aufgefasst. Das ist sehr schädlich für die Demokratie - führt auch nur dazu die Richterposten möglichst politisch zu besetzen.
Besser wäre eine neutrale Wächterinstanz, die mehr Prinzipien überwacht. Politische Ergebnisse gehören in der Politik verhandelt.
Bei gutem Willen u. Respekt gegenüber dem Souverän, dem Volk, seitens der Abgeordneten hätte die Reform längst durchgeführt werden können.
Stattdessen feilschen die Parteien - je nachdem, was für sie speziell günstiger ist, um den Erhalt jedes Vorteils.
Inzwischen ist das Handeln unserer "Volksvertreter" m. E. nur noch ein einziger Skandal: Bei zukunftsträchtigen u. für die Bürger lebenswichtigen Entscheidungen nicken sie - Fast besinnungslos! - im BT alle Regierungsvorhaben ab, aber wenn es um ihre eigenen Interessen geht, zögern sie Reformen hinaus u. erhöhen sich ihre Diäten regelmäßig
ohne mit der Wimper zu zucken.
Meine Verachtung für das, was sich in Deutschland "gelebte Demokratie" nennt,
wächst jeden Tag mehr. Gott-sei-Dank sind wir uns in der Familie einig, so daß wir uns in den Sarkasmus retten können. Zur Zeit lassen wir öfter mal, wenn Leute über die Inflation klagen, todernst folgenden Spruch los:
"Schuld daran ist nur die A fD, das A....loch Putin
und die A ffenpest!"
erhält, die er/sie gerne hätte, zweifelt dann eben die Unabhängigkeit der Gerichte an. Gesinnungsjustiz zum Nutzen von Rechtsaußen gibt es eben nicht.
Die Gerichte sind die neuen Buhmänner des rechten Randes, es sei denn, sie kippen, wie zu Zeiten der Corona-Pandemie, mal eine Restriktion.
Dann ist die Rechtsprechung plötzlich wieder "völlig unabhängig" - immer so, wie es gerade passt. Wie bequem. Kennt man ja.
Natürlich kann man Meinungen zu Urteilen haben - deswegen muss man nicht die Unabhängigkeit unserer Justiz infrage stellen.
Es gibt keine Ideallösung, was die Verkleinerung des Parlaments angeht. Sinnvoll erscheint in der Tat, Überhangmandate einfach zu streichen. Wer ein solches gewinnt, gehört in der Regel zu der Partei, die auch bei den Zweitstimmen die Mehrheit hat.
Die Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl entspricht durchaus unterschiedlichen Notwendigkeiten: sie belohnt den siegreichen Kandidaten, aber auch die mehrheitlich gewählte Partei.
Der deutsche Wähler ist gar nicht so scharf auf formal-mathematisch ausgefeilte Gerechtigkeit bei der Ermittlung seiner Volksvertreter. Er erträgt mit großer Toleranz die Tatsache, dass bei der EU-Wahl die Stimme eines Luxemburgers oder Maltesers rund 10mal soviel wert ist als seine eigene.
Deshalb könnte es auch innerhalb der deutschen Bundesländer eine festgelegte Anzahl von unterschiedlich zugeschnittenen Wahlkreisen geben, wo man das Mehrheitswahlrecht mit Stichwahlen anwenden könnte.
Da wäre der Einfluss des Volkes größer als beim jetzigen System, in dem die Parteien intern über Kandidatenlisten entscheiden können. Dadurch kommt Vetterleswirtschaft ins Spiel, Seilschaften und Netzwerke (die keiner Kontrolle unterliegen) bestimmen, wer auf die Listen kommt. Das verschlechtert in großem Maßstab die qualitative Eignung der Kandidaten für das Wahlamt.
Die deutsche Demokratie ist verbesserungsfähig.
... der Nichtwähler kürzen ... und schon wär man alle Sorgen los und hätte Geld gespart ... ne ganze Menge sogar :)
... den jährlichen Etat für das jeweilige Parlament (Stadtrat, Landtag, Bundestag, EU-Parlament, ..) durch den Rechnungshof oder durch eine einfache Volksabstimmung auf einen festen Wert fixieren. Dann kann der betreffende Volkskongress der Partei-Funktionäre diesen Betrag so unter sich teilen, wie sie es wollen.
Ach ja, leider nur Träume, Herr Kopic. Demokratie ist niemals perfekt, es wird immer Profiteure geben.
... ich denk da an meinen früheren Arbeitskollegen, der pro Woche mindestens einmal gegen die (Bayern...) CSU lästerte, aber dann doch kurz vor der Wahl bei Nachfrage nur antwortete, er würde natürlich (wieder) CSU wählen, weil es halt keine bessere Alternative gäbe. Solche WählerInnen wünscht sich jede Partei :)
Nur mit rigorosen Vorschlägen wie o.g. wäre ein Umdenken der "Polit-Profiteure" realistisch ... aber ob sowas jemals kommt. Im Zweifel sind ja doch alle gleich ;)
Ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken, deshalb:
Es wurde schon ein Vorschlag gemacht, ich glaube, es war sogar hier im CICERO, der mir nicht nur einleuchtet, sondern mit einem Schlag mehrere Probleme lösen würde.
Es bleibt bleibt der Zahl der Wahlkreise, es bleibt bei jeweils zwei Stimmen. Aber: In den Bundestag (oder Landesparlament) ziehen jeweils die erst- und zweitplazierten Kandidaten ein. Fertig.
Das scheint mir genial. Die Macht der Parteien, über Landeslisten zu kungeln, wird deutlich eingeschränkt, sie müssen schon Kandidaten mit gewissen Erfogsaussichten beim Wähler aufstellen. Der Bezug des Kandidaten zum Wahlkreis wird gestärkt. Und auch die kleinen Parteien kommen, bei geeigneten Kandidaten, zum Zuge. Was spricht dagegen, wo wäre der Haken? Wäre das zu einfach?