- „Bei der Infrastruktur sind wir im roten Bereich“
Die Bundesregierung hält weiter an ihrem Ziel fest, für das Jahr 2015 keine neuen Schulden aufzunehmen. Gustav Horn hält dies für einen milliardenschweren Fehler. Im Interview erklärt der Ökonom, warum es für Deutschland traumhaft wäre, jetzt Schulden zu machen
Gustav Horn ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.
Cicero Online: Herr Horn, die Bundesregierung will keine neuen Schulden im nächsten Jahr machen. Sie halten das für bedenklich. Was haben Sie gegen die „schwarze Null“?
Gustav Horn: Ich habe nichts gegen schwarze Nullen. Man muss nur fragen, zu welchem Preis man sie haben will.
Wie hoch ist dieser Preis?
0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das sind etwa 20 Milliarden Euro. Um so viel dürfte sich der Staat nämlich noch verschulden bis die Schuldenbremse ab 2016 greift. Ab dann dürfen wir nur noch Kredite in Höhe von 0,35% des BIP aufnehmen, was die Spielräume für Investitionen natürlich verkleinert und unsere fiskalische Flexibilität einschränkt. Es gibt Zeiten, da ist es sinnvoll, einen Überschuss zu haben. Und eben Zeiten, da der Staat Schulden machen sollte.
Und jetzt ist so eine Zeit?
Ja. Denn wir haben einen enormen öffentlichen Investitionsstau. Die öffentliche Hand muss handeln, um den weiteren Verfall unserer Infrastruktur zu verhindern. Die Zinsen für Kredite sind extrem niedrig. Der Staat bekommt Geld fast zum Nulltarif. Von so einer Situation kann man eigentlich nur träumen.
Aber die Zinsen steigen auch wieder.
Das stimmt. Nur: Die Verschuldung wird zu einem Zinsniveau abgeschlossen, das damit festgeschrieben ist und sich über die Laufzeit nicht mehr verändert. Erst danach müssten höhere Zinsen gezahlt werden. Doch höhere Zinsen gehen in der Regel wegen der verbesserten Wirtschaftslage auch mit höheren Steuereinnahmen einher, so dass der Staat sie sich leisten kann.
Aber sollte der Staat nicht Schulden machen, wenn es der Wirtschaft schlecht geht? Auch wenn sich die Konjunktur etwas eintrübt, haben wir doch in Deutschland stabile Wachstumsraten. Wir sind weit entfernt von einer Rezession – und genau dann würden ja Investitionen am effektivsten die Wirtschaft ankurbeln.
Das ist richtig, solche Maßnahmen wirken besonders stark in einer schlechten konjunkturellen Situation. Und die haben wir in Deutschland nicht. Ich zögere deshalb auch, „Konjunkturprogramme“ zu fordern. Wir müssen aber unabhängig von der Konjunkturlage investieren – in Infrastruktur.
Insgesamt haben sich die staatlichen Investitionen in Deutschland allerdings auf einem hohen Niveau eingependelt. Im ersten Halbjahr 2014 haben sie laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln sogar um etwa 16 Prozent zugenommen.
Dennoch sind wir seit zehn Jahren bei der öffentlichen Infrastruktur im roten Bereich. Das heißt: Die Abschreibungen überschreiten die Neuinvestitionen in Straßen, Brücken oder Energietrassen. Der öffentliche Investitionsstau ist übrigens weniger ein Problem des Bundes, sondern ein kommunales.
Und diese Investitionen sollen über Schulden finanziert werden. Schulden, die künftige Generationen abbezahlen müssen?
Der Verschleiß der Infrastruktur belastet auch die künftigen Generationen, weil dadurch auf Dauer negative Wachstumswirkungen entstehen können, wenn zum Beispiel Transporte teurer werden. Das ist eine Belastung für künftige Generationen. Gute Infrastruktur durch Verschuldung zu finanzieren, ist im Übrigen kein Generationenproblem.
Sondern?
Ein Verteilungsproblem. Sicher werden künftige Generationen die Schulden durch höhere Steuerzahlungen bedienen müssen. Es gibt aber auch einige wenige Kinder, die Staatspapiere erben, und damit die Zinsen bekommen, über die die Verschuldung finanziert wird.
Warum sollte sich Deutschland dann verschulden, wenn – wie Sie sagen – viele für die Schulden zahlen und wenige davon profitieren?
Wenn die staatlichen Mittel nicht ausreichen, muss man neue besorgen. Der Staat muss sich entscheiden, auf welchem Wege. Und die Bundesregierung sieht ja von Steuererhöhungen ab. Die könnte man gezielt auf hohe Einkommen und Vermögen erheben. Das wäre der bessere Weg.
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