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Hannelore Kraft - Das Comeback der Arbeiterführerin

Hannelore Kraft tritt gegen eine schnelle Energiewende und für den Bestand energieintensiver Betriebe ein. Dadurch wirkt die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin wie eine spät berufene Arbeiterführerin. Doch das ist nur die halbe Wahrheit

Stefan_Laurin

Autoreninfo

Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Als Hannelore Kraft in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen wichtiger sei als eine schnelle Energiewende, verwunderte das Viele. In den vergangenen Jahren erschien die SPD auf fast allen Politikfeldern wie eine etwas unbeholfene Kopie der Grünen. Dass viele ihrer Wähler in der Industrie ihr Geld verdienen, schien die Partei vergessen zu haben. Für Parteienforscher Manfred Güllner war die Nähe zu den Grünen sogar der Hauptgrund für den Niedergang der SPD.

Krafts Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) wurde in seinen Aussagen sogar noch deutlicher. Schon im August forderte er Geld für Energieunternehmen wie RWE, die Gas- und Kohlekraftwerke vorhalten – neben den Erneuerbaren wollte Duin auch noch konventionelle Kraftwerke subventionieren, die gegen die mit öffentlichem Geld finanzierten Solar- und Windkraftanlagen sonst keine Chance hätten.

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Hannelore Kraft wollte günstigere Strompreise


Die Grünen in NRW, mit denen Hannelore Kraft seit 2010 in einer recht harmonischen Koalition zusammenarbeitet, reagierten auf den Wechsel verwundert. Reiner Priggen, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag: „Die Energiewende braucht die Erneuerbaren, moderne Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung und Energieeffizienz. Niemand braucht noch neue Kohlekraftwerke.“ Von Subventionen für RWE hält Priggen nichts: „Das alte Geschäftsmodell von RWE ist überholt. Der Konzern hat es verpasst, früh genug in moderne Energietechniken und Erneuerbare Energien zu investieren und stattdessen darauf gesetzt, mit politischer Landschaftspflege Einfluss auf die Politik zu nehmen.“

Nicht ganz erfolglos: Seit Wochen droht RWE direkt oder indirekt mit dem Abbau von Arbeitsplätzen in NRW. Zwar berichtet das Handelsblatt davon, dass RWE-Chef Peter Terium den Konzern zu einem Dienstleister für Öko-Energie umbauen will, aber die Alt-Kraftwerke will er sich subventionieren lassen. Ein Weg, auf dem nicht alle Mitarbeiter mitgenommen werden: Sowohl in der Zentrale in Essen als auch im rheinischen Braunkohlerevier könnten tausende Stellen wegfallen. Und RWE ist nicht alleine: Der angeschlagene Stahl- und Technologiekonzern ThyssenKrupp hat angekündigt, über 3.000 Jobs in seiner Verwaltung und weitere 2.000 in der Produktion abzubauen – viele davon werden im Ruhrgebiet wegfallen. Dass in den vergangenen Wochen auch die Schließung des zum finnischen Konzern Outokumpu gehörenden Bochumer Edelstahlwerks angekündigt wurde, fügt sich in das Bild: Das Ruhrgebiet steht vor dem Verlust tausender gut bezahlter Arbeitsplätze.

Das alleine wären gute Gründe für Hannelore Kraft, sich den Forderungen der Industriegewerkschaft Bergbau und Chemie anzuschließen. Die hatte in einem gemeinsamen Papier mit der IG Metall, dem Bundesverband der Arbeitgeber und dem Bundesverband der Industrie kurz vor Beginn der Koalitionsverhandlungen gefordert: „Das bisherige System der Einspeisevergütung ist einer der unverkennbaren Gründe für die deutlichen Strompreiserhöhungen und kann daher für Neuanlagen nicht so bleiben, wie es derzeit ist. Ziel muss sein, verlässliche Investitionsbedingungen zu schaffen und den Anstieg der Strompreise in Deutschland zu stoppen. Das ist sowohl mit Blick auf die Verbraucher als auch für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie eine notwendige Zielsetzung.“

Kraft weiß, wenn die Konzerne Stellen abbauen, stehen die Demonstranten bei ihr vor der Tür, wird die SPD, nicht die Grünen dafür bei den Kommunal- und Europawahlen im kommenden Jahr zur Verantwortung gezogen. Und es ist auch die SPD-Klientel der vielbeschworenen kleinen Leute, die an den immer teureren Strompreisen leiden. An subventionierten Windparks und Solaranlagen auf dem Dach verdienen sie nicht.

Kraft schlägt sich auf die Seite der Konzerne


Kraft erfindet sich neu, wird von der Traumpartnerin der Grünen zur Arbeiterführerin aus dem Ruhrgebiet.

Doch das Engagement für die Industrie hat noch einen weiteren Hintergrund: Kraft bleibt nichts anderes übrig, als sich für den Erhalt der Energiekonzerne einzusetzen, denn ihre Basis, die SPD im Ruhrgebiet, ist auf das Engste mit den Energiekonzernen verbunden. Vor allem die Ruhrgebietsstädte sind an RWE beteiligt – die genauen Zahlen sind unbekannt, aber gut 20 Prozent des strauchelnden Energieriesen gehören den klammen Kommunen. SPD Oberbürgermeister wie Ullrich Sierau (Dortmund) und Dagmar Mühlenfeld (Mülheim) sitzen im Aufsichtsrat des Konzerns, viele Städte sind von den zuletzt gekürzten Dividendenzahlungen des Unternehmens abhängig, haben die Aktien mit mittlerweile unrealistisch hohen Werten in ihren Büchern stehen.

Alleine Essen müsste bei einer Wertberichtigung seiner RWE-Aktien 460 Millionen Euro abschreiben und wäre damit nahe an der Pleite. Und Essen ist nur eine Stadt von vielen.

Gerade die Städte im Ruhrgebiet, bestenfalls klamm, oft jedoch schon pleite und unter Nothaushaltsrecht stehend, würden durch weitere Verluste von RWE ruiniert. Kraft kämpft, wenn es um RWE geht, auch um die Haushalte der SPD-Hochburgen im Ruhrgebiet. Kollabieren die Städte, könnte auch die Macht der SPD kollabieren.

Für eine Verlangsamung der Energiewende und Subventionierung der Energiekonzerne


Auch könnte Kraft ihre ohnehin nur sehr begrenzten Ambitionen den nordrhein-westfälischen Landeshaushalt zu sanieren, vergessen, wenn das Land den Städten noch mehr als bisher unter die Arme greifen müsste. Die üppigen Verwaltungen der Städte, vor allem im Ruhrgebiet, gelten heute schon als eines der Haupthindernisse für NRW, die Schuldenbremse 2020 einhalten zu können – eine PWC-Studie zur Finanzsituation der Länder aus dem Jahr 2012 kommt im Fall von NRW zu dem Schluss: „Ein möglicher Handlungsbedarf ergibt sich auch im Bereich der politischen Führung und inneren Verwaltung, in welchem das Land seit 2009 erhebliche Mehrausgaben aufgebaut hat. Hier ist zu überprüfen, ob die erheblichen Aufgabenübertragungen an die Kommunen in der Vergangenheit Ursachen dieser Mehrausgaben sind und ob eine Zentralisierung einzelner Verwaltungen zu deutlichen Effizienzsteigerungen führen kann.“

Effizienzsteigerung ist ein anderes Wort für Personalabbau – den zu verhindern versprach Kraft und wurde dafür zwei Mal gewählt – würden die RWE-Gelder den Städten fehlen, wären harte Einschnitte unumgänglich – und neben Stahlarbeitern, Metallern und Energiewerkern würden auch noch die Mitarbeiter der Stadtverwaltungen vor dem Landtag demonstrieren – Kraft hätte die wichtigsten Teile der SPD-Wählerschaft gegen sich aufgebracht.

Kraft bleibt also aus reinem Machtwillen nichts anderes übrig, als sich für eine Verlangsamung der Energiewende und für eine Subventionierung der Energiekonzerne einzusetzen. Sie kämpft darum, wirtschaftliche Dominoeffekte zu verhindern, die sie am Ende ihr Amt kosten könnten – und viele andere Genossen mit ins politische Aus stoßen würden.

 

 

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