- Nicht nur der glorreiche Agenda-Kanzler
Was in den Huldigungen zu Gerhard Schröders siebzigstem Geburtstag meist „vergessen“ wurde: seine Amtszeit ist nicht auf die Agenda 2010 reduzierbar
Er hat sie verdient, die vergangene Jubel-Woche zu seinem siebzigsten Geburtstag. Denn Altkanzler Gerhard Schröder hat ein beachtliches Lebenswerk vorzuweisen. Sein Ruf als Reformkanzler wird bleiben.
In all den Schröder-Huldigungen ist aber etwas untergegangen: Neben dem zu Recht gefeierten „Agenda-Schröder“ (Schröder II) gab es auch Schröder I. Der hatte als Kanzler die (viel zu behutsamen) Reformen der Regierung Kohl wieder zurückgenommen. Schließlich gab es noch Schröder III. Der redete im Wahlkampf 2005 so, als hätte nicht er die tiefen Einschnitte im Sozialbereich zu verantworten, sondern seine Herausforderin Angela Merkel.
Gerhard Schröder stieß Kohl vom Sockel
Schröder I, das war der Mann, der 1998 auszog, um den ewigen Kanzler Kohl mit dem Slogan „Danke Helmut, das war‘s“ aufs Altenteil zu schicken. Es ging in diesem Wahlkampf aber nicht nur um Aufbruch und Erneuerung, sondern auch um Sozialpolitik. „Mehr soziale Gerechtigkeit“, hieß eines der Schröder-Versprechen. Dazu hatte er schon vor der Wahl einen gewissen Beitrag geleistet: Die Steuerreform der Regierung Kohl ließ der damalige niedersächsische Ministerpräsident im Bundesrat scheitern. Steuersenkungen, das war für den späteren „Kanzler der Bosse“ damals noch ein Unwort.
Schröder I wollte, wie er den Wählern 1998 auf seiner „Garantiekarte“ versprach, „Kohls Fehler korrigieren bei Renten, Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung“. Was er als Kanzler dann auch kräftig tat. Eine der ersten sozialen Großtaten der rot-grünen Koalition war die Aussetzung des „Demografiefaktors“ bei der Rentenberechnung. Anders als die „unsoziale CDU“ wollte Schröder die Alterung der Gesellschaft in der Rentenformel nicht berücksichtigen.
Anfänglich nur Gewerkschaftspolitik
Zum „Mehr an sozialer Gerechtigkeit“ zählte für den Neukanzler Schröder auch die weitgehende Rücknahme der Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich. Das 630-Mark-Gesetz wurde so verändert, dass diese Mini-Jobs für viele Unternehmen zu teuer wurden. Leidtragende waren die Arbeitnehmer, deren Zweitjobs wegfielen. Freiberufler mussten nachweisen, dass sie nicht „Scheinselbständige“ sind. Kein Wunder, dass die Zahl der Existenzgründer zurückging. Der Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse wurde erschwert, wodurch der Arbeitsmarkt nicht gerade beflügelt wurde.
Einen besonders starken Kontrast zur Politik des späteren Reformkanzlers bildeten die Neuregelungen für Arbeitslose.
Bei der Arbeitslosenversicherung wurden die Zumutbarkeitskriterien für eine neue Stelle aufgeweicht. Zudem wurden die Kontrollen, ob sich jemand um einen Job bemüht oder nicht, gelockert. Alles in allem: Schröder tat in seinen ersten Regierungsjahren wenig, um die Verkrustung des Arbeitsmarkt zu lockern. Hand in Hand mit den Gewerkschaften suchte seine Regierung vor allem Arbeitsplatz-Besitzer gegen Veränderungen zu schützen.
Es folgte Schröder II, der große Reformer, der „Agenda-Kanzler“. Der hat von 2003 an den Arbeitsmarkt in einer Weise verändert, wie es die CDU nie gewagt hätte. Und er hat den Arbeitslosen und Arbeitssuchenden mit den Hartz-Gesetzen mehr zugemutet, als das eine CDU/FDP-Koalition jemals geplant hatte. Zudem kehrte der abgeschaffte „Demografiefaktor“ in Form des „Nachhaltigkeitsfaktors“ wieder in die Rentenformel zurück, um das Rentenniveau zu dämpfen. Jetzt plötzlich gab es dazu keine Alternative.
Die positiven Ergebnisse dieser Politik sind bekannt. Was aber gerne übersehen wird: Ohne Schröders „Rolle rückwärts“ in seiner ersten Kanzler-Periode hätten die Veränderung nicht so radikal und so schmerzhaft sein müssen. Die Jahre zwischen 1998 und 2002 waren jedoch unter dem Aspekt sozialpolitischen Veränderungsbedarfs vier verlorene. Folglich musste Schröder anschließend umso mehr fordern und konnte viel weniger fördern. Das kennen wir aus der Medizin: Wer eine Krankheit verschleppt, der muss dann umso bitterere Medizin schlucken.
Schröder bezahlte später für seine Fehler
Schröder habe, so heißt es in den landläufigen Lobeshymnen, für seine wagemutigen Reformen an der Wahlurne bezahlen müssen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Letztlich musste er auch dafür zahlen, dass er zwischen 1998 und 2002 vieles falsch gemacht hatte.
Bleibt noch Schröder III. Das war der furiose Wahlkämpfer, der Angela Merkel 2009 noch den sicher geglaubten Sieg entriss und sie in eine Große Koalition zwang. Dieser Schröder III hatte mehr mit Schröder I gemein als mit Schröder II. Denn in der Wahlschlacht zog dieser begnadete Stimmenfänger alle Register, um vor den angeblich drohenden „sozialen Schweinereien“ einer CDU-Kanzlerin zu warnen. Es reichte trotzdem bei weitem nicht mehr für Rot-Grün. Aber Schröder sicherte mit dieser Methode seiner Partei immerhin vier weitere Jahre in der Regierung.
Schröder I, Schröder II und Schröder III haben bei allen Unterschieden doch eines gemeinsam: Bei Gerhard Schröder gab es nie halbe Sachen – weder beim Kampf gegen die bösen „Neoliberalen“ noch bei der Übernahme ihrer Rezepte. Dasselbe gilt übrigens auch für Schröder IV: den äußerst erfolgreichen Geschäftsmann.
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