- Merkels Widerstand wird bröckeln
Noch lehnt Angela Merkel die doppelte Staatsbürgerschaft aus parteitaktischen Gründen ab. Dabei deutet alles darauf hin, dass ihr Widerstand schon in der nächsten Legislaturperiode einbricht. Bei der Integrationspolitik könnte es so ablaufen wie bei der Wehrpflicht
Schnittchen, Händeschütteln, Multi-Kulti-Bildchen: Beim diesjährigen Integrationsgipfel ist Angela Merkel auf einer unteren Treppenstufe stehen geblieben – mal wieder. Ein schmales Bekenntnis zu mehr „Teilhabe in unserem Land“, das war‘s.
Allerdings – was hatte man auch erwartet? Im Wahljahr spielt die Kanzlerin wieder einmal jenes Spielchen, das sie seit Jahren am besten beherrscht: effektheischend die Reformagenda zu besetzen, ohne die eigenen Positionen auch nur einen Millimeter weit anzupassen. Sie spulte sechs Integrationsgipfel herunter, leierte etliche Islamkonferenzen ab, zimmerte den „Nationalen Aktionsplan Integration“, holte die Integrationsbeauftragte ins Kanzleramt – aber gegen die doppelte Staatsbürgerschaft stemmt sie sich weiterhin.
Merkels Kalkül: Der konservative Unionsflügel wurde in all den Regierungsjahren schon weit genug gestutzt. Ob Eurokrise, Kernenergie, Wehrpflicht, Mindestlohn oder zuletzt die Frauenquote – die Zumutungen waren gewaltig. Von rechts knabbert auch noch die AfD. Jetzt bei der Integrationsfrage einzuknicken, würde ihr die christdemokratische Klientel vermutlich nicht verzeihen.
Dabei deckt die Union auch in der Integrationsfrage längst das gesamte gesellschaftliche Spektrum ab. Da gibt es Hardliner vom Schlag des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), der wahlweise gegen Roma poltert oder den EU-Ländern Rumänien und Bulgarien die Tür zum Schengen-Beitritt zuschlägt. Da gibt es aber auch Leute wie Cemile Giousouf aus Hagen, die im Herbst wahrscheinlich als erste Muslima für die Union in den Bundestag ziehen wird. Oder Leute wie Serap Güler, seit einem Jahr erste türkischstämmige CDU-Abgeordnete in Nordrhein-Westfalen.
Merkel wagt zwischen diesen integrationspolitischen Standpunkten einen schmerzhaften Spagat. Dabei ist die Verrenkung völlig sinnlos. Denn die gefühlte Mehrheit, die die Kanzlerin mit ihrem faktischen Blockadekurs bedienen will, ist längst keine mehr.
Die Gesellschaft ist offener und toleranter geworden. Die meisten Menschen haben erkannt, dass Deutschland seinen Wohlstand langfristig nur mit Zuwanderern sichern kann. Die Cicero-Titelgeschichte des Juni-Hefts zeichnet ein farbenfrohes Bild: Mit den richtigen integrationspolitischen Anreizen könnte die Bevölkerung sogar wachsen. Die doppelte Staatsbürgerschaft wäre so ein Signal für eine echte Willkommenskultur.
Das bisherige Optionsmodell ist nichts als Zwang und staatliche Bevormundung: Demnach müssen sich Doppelstaatler bis zum vollendeten 23. Lebensjahr für eine ihrer beiden Nationalitäten entscheiden. Es ist auch diskriminierend. Denn das Optionsmodell gilt weder für EU-Bürger noch für Zuwanderer, deren Herkunftsländer die Abgabe der Staatsbürgerschaft verweigern. All das passt nicht zu einer demokratischen Gesellschaft.
Das sehen nicht nur alle Oppositionsparteien, sondern auch der eigene Koalitionspartner so. Neben FDP-Wirtschaftsminister Rösler, der sich noch vor dem Gipfel für die Reform eingesetzt hatte, wirkt die Union wie eine Partei aus dem Vorgestern. Merkel glaubt zwar, damit noch konservative Wählerstimmen zu binden. Zumal der Groll der tatsächlich Betroffenen im Wahljahr überschaubar bleiben wird: 2013 müssen sich 3.300 Menschen für oder gegen Deutschland entscheiden. Doch schon in der nächsten Legislaturperiode kommt die Kanzlerin an dem Thema nicht mehr vorbei. Nicht nur, weil Merkel dann eine türkischstämmige Fraktionskollegin hat. Und auch nicht nur, weil mit dem Gesetzentwurf der Türkischen Gemeinde Deutschlands jetzt eine Diskussionsgrundlage für Inklusion auf dem Tisch liegt, die sich schon beim nächsten Gipfeltreffen nicht mehr abräumen lässt.
Sondern auch, weil 2018 Experten zufolge schon 40.000 potenzielle Wahlberechtigte vor der Staatsbürgerschafts-Frage stehen.
Genau das war übrigens die Zahl, die Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einst für eine Reduktion der Truppenstärke nannte. Mit 40.000 Zeit- und Berufssoldaten weniger könne man auch gleich die Wehrpflicht abschaffen, so sein Argument.
Was sich der Plagiatsbaron damals noch als Leistung anheftete, war eigentlich ein Kunststück der FDP. Die Liberalen setzten in den Koalitionsverhandlungen eine Verkürzung der Wehrpflicht auf ein halbes Jahr durch. Später fand sich nicht einmal mehr in der Union noch jemand, der das sechsmonatige Kasernenpraktikum verteidigt hätte – das Aus für die Wehrpflicht. So hatte die FDP nonchalant ein jahrzehntelanges Bollwerk konservativer Werte geschleift.
Wenn es im Herbst zu einer Neuauflage von Schwarz-Gelb kommt, sollten sich die Liberalen beim Streit um die Integrationspolitik an diesen Trick erinnern. Die Erfolgschancen stehen gar nicht mal so schlecht: Dann könnte sich Merkel die Reform – wie einst ihr Skandalminister – als eigene Idee anheften. Denn die doppelte Staatsbürgerschaft ist die logische Fortsetzung ihres Integrationsgipfels.
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