- So wurde im Westen gewählt
In unserer Serie „Deutschland, Deine Wahlkreise“ porträtieren wir die spannendsten Wettrennen ums Direktmandat in den Bundestag. In dieser Ausgabe geht es um den Westen der Republik.
100
Sensationsloser Speckgürtel
Rheinisch-Bergischer Kreis
In Wermelskirchen hat er Abitur gemacht, trat in die FDP ein und hier, im Wahlkreis 100, trat er auch für den Bundestag an. Zwar liegt der Lebensmittelpunkt von FDP-Chef Christian Lindner in Berlin, aber Traditionen wahrt der Politiker mit der Rennlizenz dann doch. 2017 gewann den Wahlkreis, einst die politische Heimat des CDU-Innenpolitikers Wolfgang Bosbach, der Christdemokrat Hermann-Josef Tebroke souverän.
Doch der Rheinisch-Bergische Kreis ist auch eine Hochburg der Liberalen. Lindner erzielte hier 2017 mehr als 15 Prozent. Zwar hat sich Lindner in diesem Jahr noch einmal leicht verbessert. An Tebroke ist er allerdings nicht vorbeigezogen. Im Speckgürtel Düsseldorfs gab es keine Sensation. Für Lindner kein Drama: Mit Platz eins auf der Landesliste der FDP in NRW ist er sicher im Bundestag. sl
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 40,0; SPD 24,4; FDP 15,7; AfD 7,2; Grüne 6,9; Linke 5,5
Erststimme 2021 in Prozent:
CDU 30,0; SPD 22,7; Grüne 18; FDP 16,8; AfD 5,4
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Hermann-Josef Tebroke (CDU)
101
Mr. Corona
Wahlkreis Leverkusen – Köln IV
Nur wenige Politiker gewannen in der Pandemie so an Statur und Bekanntheit wie Karl Lauterbach. Der Sozialdemokrat, Mediziner und Gesundheitsökonom war fester Bestandteil des „Teams Vorsicht“, äußerte sich auf allen Kanälen zur Pandemie und lag mit seinen Einschätzungen meistens richtig. Auch wenn viele von ihm genervt waren, an seiner Kompetenz gab es kaum ernsthafte Zweifel. Seinen Wahlkreis Leverkusen-Köln IV hat er wie seit 2005 direkt geholt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Sozialdemokraten musste er bei den vergangenen Wahlen keine Stimmverluste hinnehmen. Im Gegenteil: 2005 erhielt er 37,1 und 2017 38,6 Prozent. Dass die SPD ihn auf Platz 23 der Landesliste abschob, kann ihm also egal sein. Der Akademiker mit der Fliege kommt in seinem von Arbeitern und Migranten geprägten Wahlkreis gut an. sl
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 38,7; CDU 30,8; AfD 8,7; FDP 6,6; Linke 6,1; Grüne 5,7
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 45,6; CDU 20,4; Grüne 11,3; FDP 7,2; AfD 7,1
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Karl Lauterbach (SPD)
140
In Ollenhauers Fußstapfen
Bochum I
Bochum I ist ein Wahlkreis mit Geschichte: 1949 gewann ihn der spätere SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer. Axel Schäfer (SPD) ist kein ganz so großer Name in der SPD. Er trat zum fünften Mal an. Im Frühjahr setzte er sich dabei gegen den damaligen Bochumer SPD-Chef durch, dessen politische Karriere nach der Niederlage gegen Schäfer endete. Schäfers Wiederwahl war ungewiss: Nur gut 4 Prozentpunkte lag er 2017 vor dem CDU-Kandidaten.
Spannend wurde der Wahlkreis auch durch den jungen Grünen Max Lucks. Zwar war es unwahrscheinlich, dass er den Wahlkreis direkt holen würde, dennoch konnte er der SPD entscheidende Stimmen abluchsen. In Teilen von Bochum I holten die Grünen bei der Kommunalwahl mehr als 40 Prozent.
sl
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 37,2; CDU 28,2; Linke 10,0; AfD 9,5; Grüne 7,7; FDP 7,0
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 38,3; CDU 21,7; Grüne 18,6; FDP 9; Linke 6,2
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Axel Schäfer (SPD)
142
Abenteuer im Ruhrpott
Dortmund I
Als Marco Bülow 2002 zum ersten Mal für die SPD im Bundestagswahlkreis Dortmund I antrat, gewann er ihn mit knapp über 51,8 Prozent. 2017 waren es dann noch 30 Prozent. Ergebnisse, die er jetzt nicht mehr erreicht hat: Bülow trat 2018 aus der SPD aus. Viele in seiner Partei waren von den ewigen Klagen Bülows über Korruption, Lobbyismus und die Schäbigkeit der Politik in Berlin nur noch genervt.
Ob ihn seine damaligen Genossen noch einmal aufgestellt hätten, war nicht sicher. Zwischenzeitlich war Bülow der einzige Bundestagsabgeordnete der Satire-Partei „Die Partei“ und versuchte, seinen Wahlkreis erneut zu erobern. Ein „Abenteuer“, das misslang. sl
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 33,0; CDU 19,4; Grüne 17,0 Die Partei 8,6; AfD 6,8; FDP 6,7
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Jens Peick (SPD)
183
Skandalopfer und Senkrechtstarter
Frankfurt am Main II
Zwischen Bembeln und Bankern: Der Wahlkreis Frankfurt am Main II umfasst Deutschlands Wirtschaftsmetropole in all ihren Facetten. Denn ihm gehören dörfliche Randstadtteile wie Harheim oder Nieder-Erlenbach an, aber auch das zentral gelegene Sachsenhausen und das Ostend, wo die Europäische Zentralbank ihren Sitz hat. Von 2005 bis 2017 hatte die inzwischen aus der CDU ausgetretene Erika Steinbach das Direktmandat inne. Ihre Nachfolgerin, Bettina Wiesmann, war nun zum zweiten Mal für die Christdemokraten angetreten.
Die langjährige SPD-Konkurrentin Ulli Nissen zog sich hingegen aus der Bundespolitik zurück. Als Kassenprüferin der Frankfurter Awo stolperte sie über einen Finanzskandal bei dem Wohlfahrtsverband. Die Sozialdemokraten wollten Nissen daraufhin nicht mehr aufstellen und nominierten stattdessen Kaweh Mansoori. Der 33-jährige Deutsch-Iraner gilt als Senkrechtstarter der hessischen SPD. Doch auch für die Grünen trat ein Kandidat mit iranischen Wurzeln an: Omid Nouripour, der seit 2006 im Bundestag sitzt und sich als Außenpolitiker einen Namen gemacht hat. Er hat am Ende das Rennen gemacht dg
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 32,4; SPD 25,9; Grüne 13,5; Linke 9,1; FDP 8,1; AfD 7,6
Erststimmen 2021 in Prozent:
Grüne 29,0; SPD 23,3; CDU 22,5; FDP 11,4; Linke 6,1
–
Direkt gewählte Abgeordnete:
Omid Nouripour (Grüne)
209
Herzog gibt den Stab weiter
Kaiserslautern
Gustav Herzog war eine Institution: Im (bei Bundestagswahlen) tiefschwarzen Rheinland-Pfalz holte der heute 62-Jährige seit 2002 das Direktmandat in Kaiserslautern, bis heute Industriearbeiterstadt und sozialdemokratisch geprägt – auch das Rathaus war seit 1945 meist in SPD-Hand. Doch diesmal war für Herzog Schluss mit Politik.
Zum Abschied erklärte er dem Südwestrundfunk (SWR): „Isch frotzel immer mit dem Martin Schulz, wer unsere Leidensfähigkeit in den letzten Jahren mehr beansprucht hat – unsere Partei SPD oder FC Kaiserslautern.“ Herzog gab den Stab weiter an den 34-jährigen Polit-Neuling Matthias Mieves. Und der konnte sich am Sonntag auch durchsetzen. mga
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 33,9; CDU 31,3; AfD 12,6; Linke 7,2; FDP 5,5; Grüne 5,1
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 33,9; CDU 21,5; AfD 12,0; Grüne 8,7; FW 7,8; FDP 7,1
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Direkt gewählter Abgeordneter:
Matthias Mieves (SPD)
297
Maas gegen Altmaier
Saarlouis
Das kleine Saarland mit seinen 990 000 Einwohnern umfasst nur vier Bundestagswahlkreise, stellte aber im noch aktuellen Kabinett mit Heiko Maas (Außen, SPD), Annegret Kramp-Karrenbauer (Verteidigung, CDU) und Peter Altmaier (Wirtschaft, CDU) gleich drei Bundesminister. Zwei von ihnen traten gestern sogar im selben Wahlkreis direkt gegeneinander an: Maas und Altmaier, und zwar in Saarlouis. Vor vier Jahren ging das Rennen klar zugunsten Altmaiers aus; Maas zog 2017 über die Landesliste erstmals in den Bundestag ein.
Auch dieses Jahr trafen die beiden Kandidaten wieder aufeinander, das Ergebnis aber kehrte sich um. Die beiden werden sich im nächsten Bundestag auf jeden Fall wiedersehen, denn sie sind über Landesliste abgesichert: Heiko Maas auf Platz eins bei der SPD, Peter Altmaier diesmal nur auf Platz zwei bei der CDU. Seinen früheren Spitzenplatz hat Kramp-Karrenbauer eingenommen, die im Nachbarwahlkreis Saarbrücken als Direktkandidatin erstmals für den Bundestag antrat. Ob von den Dreien aber auch nur einer oder eine nach der Wahl wieder ein Bundesministerium übernimmt? Wohl eher nicht. mar
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 38,0; SPD 32,1; Linke 10,8; AfD 9,0; FDP 3,8; Grüne 3,5
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 36,7; CDU 28,0; AfD 9,7; FDP 8,2; Linke 5,4
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Heiko Maas (SPD)
Dieser Text stammt aus dem Sonderheft zur Bundestagswahl des Cicero, das Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können. Er wurde nach den Wahlen aktualisiert.
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