- „Wenn Sie Klassen in Quarantäne schicken, müssen Sie viel telefonieren“
Die Corona-Regeln stellen nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer vor neue Herausforderungen. Eine Berliner Schulleiterin erklärt, warum sie jetzt Aufgaben des Gesundheitsamtes übernimmt, statt zu unterrichten – und was sie von den neuen Vorschlägen der Ministerpräsidenten hält.
Astrid-Sabine Busse ist seit 29 Jahren Leiterin der Grundschule an der Köllnischen Heide in Berlin-Neukölln und Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBS).
Frau Busse, Sie haben bereits im April mit Cicero gesprochen. Wie ist es Ihnen seitdem ergangen? Was ist Ihre Bilanz der letzten Wochen und Monate?
An der Schule halten wir einfach tapfer durch. Mir persönlich geht es gut. Ich vermisse nur die Dinge, die jetzt alle nicht möglich sind; vor allem in der Adventszeit. Naja, freuen wir uns aufs nächste Jahr.
Wie ist denn die Lage in der Schule?
Wir sind in der Stufe „Gelb". Das heißt, dass wir etwas vorsichtiger sein müssen, aber der Unterricht läuft wie gewohnt durch. Sie können sich den Stufenplan auf der Berliner Senatswebsite mal genauer ansehen. Mit „Gelb" haben wir immer abwechselnd 1-2 Klassen in Quarantäne. Wir freuen uns über jede Woche, die wir gut geschafft haben.
Sie haben gerade schon den Senat erwähnt. Fühlen Sie sich von ihm unterstützt?
Als Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen bin ich in den regelmäßigen Runden. Ich habe den Eindruck, dass unsere Meinung da wirklich sehr ernst genommen und umgesetzt wird.
Was wurde schon umgesetzt?
Zum Beispiel haben wir angeregt, den Schulleitungen die Unterrichtsverpflichtung zu erlassen, und das wird temporär bis zum Ende des Schuljahres jetzt auch gemacht.
Das heißt, Schulleiter unterrichten jetzt gar nicht mehr, sondern organisieren nur noch?
Also ich gehe schon noch in meine Klasse, aber als Schulleiter sind Sie ja jetzt die rechte Hand des Gesundheitsamtes. Die kommen ja gar nicht mehr hinterher. Wenn Sie Klassen in Quarantäne schicken, da müssen Sie viel telefonieren und haben ordentlich zu tun. Das kann auch am Wochenende sein. Deswegen können die Schulleiter bis Ende des Schuljahres auch aus dem Unterricht heraus. Das ist auch besonders in Berlin und Hamburg. Wir haben da als Schulleiter einen viel größeren Handlungsrahmen und mehr Eigenverantwortung als in anderen Ländern.
Gestern war wieder Ministerpräsidentenkonferenz. Hat sich für Sie dadurch etwas verändert?
Für unsere Grundschule wird sich nichts ändern. Die Maskenpflicht wird ja jetzt auf Klasse 7 ausgeweitet. Und die Weihnachtsferien fangen in Berlin sowieso früh an. Für die Grundschule wurde nichts beschlossen. Allerdings; Berlin und Brandenburg haben ja Grundschule bis Klasse 6. Ich denke, dass sich die Maskenpflicht hier auch auf Klasse 5 und 6 ausweiten wird.
Welche Maßnahmen gelten denn gerade an Ihrer Schule?
Das ist der strenge Hygieneplan. Also die Maskenpflicht außerhalb des Unterrichts.
Die gilt dann auch für alle?
Ja, auch für die Kinder. Und ansonsten findet keinerlei Vermischung der Schüler statt. Normalerweise haben wir Freizeitkurse, an denen die Kinder aus mehreren Klassenstufen teilnehmen. Das gibt es gar nicht mehr. Wir haben in jeder Klasse nur ein kleines Kursprogramm. Wir haben auch die Pausenzeiten versetzt. Das ist ein hoher organisatorischer Aufwand für jede Schule.
Und gibt es da Probleme? Zum Beispiel mit der Disziplin der Schüler?
Ich sage immer: Die Kinder tragen es mit größerer Fassung als die Erwachsenen. Die Kleinen habe ich mit Maske eingeschult. Die kennen gar nichts anderes. Die denken, Schule und Maske sind eins.
Die Schüler können sich untereinander nicht treffen. Gibt es da negative Folgen?
In der Schule können sie sich ja mit Freunden und Klassenkameraden treffen. Deswegen ist Schule so wichtig. Hier haben manche Schüler auch mehr Ruhe als zu Hause. Deshalb habe ich immer gesagt: Nur nicht schließen. Und auch Hybridunterricht ist nicht so gut.
Sie wissen ja wie anstrengend stundenlanges Home-Office ist. Das kann man dann nicht von den Kindern erwarten. Auch wenn wir Maske tragen, sind wir die bekannte Lehrerin, die hilft. Oder eben auch mal einen Witz erzählt. Wir wollen ja auch unter der Maske lachen. Das brauchen Kinder.
Zum Umgang mit Corona gibt es viele Vorschläge – zum Beispiel den „gleitenden Unterrichtsbeginn.“ Was halten Sie davon?
Für Grundschulen, die zu Fuß erreichbar sind, gilt das ja nicht. Das betrifft die Oberschulen, wo die Kinder aus der ganzen Stadt kommen. Das ist für die Schule aber nicht so leicht. Einen Stundenplan baut man nicht in 1-2 Tagen.
Manche Schulen in Berlin haben sich da gut abgesprochen und das Problem mit unterschiedlichen Anfangszeiten gelöst. Aber ich dachte schon: Wieso kann der BVG, also der öffentliche Nahverkehr, nicht einfach einen Bus mehr einsetzen? Aber gut, es gibt eben nicht mehr Busse und da fehlt auch das Personal, ist alles schwierig. Aber die Oberschulen, die sich damit beschäftigen sollen, taten mir schon leid.
Ein anderer Vorschlag ist, dass man die „Lehrpläne entschlacken" soll.
Also das finde ich immer putzig. Das wird so herausgehauen: „Ja, dann entschlacken wir den Lehrplan." Die Curricula sind bereits vor ein paar Jahren aktualisiert worden. Auf Grundlage dieser Curricula schreiben die Schulen eigene Schulcurricula, und darin werden eigene Schwerpunkte gesetzt. Diese Freiheit hat jede Schule, jedenfalls in Berlin.
Und, mussten Sie schon Inhalte streichen?
Ja, ich musste wegen des Corona-Lockdowns auch schon eine Einheit bei mir herausnehmen, die ist dann eben leider nicht vorgekommen. In Klasse 1 und 2 ist das natürlich schwierig. Sie können ja beim Lesen nicht auf ein paar Buchstaben verzichten. Solche Vorschläge sind immer leicht gesagt, aber schwer umzusetzen. Aber ich erwarte schon, dass sich die einzelnen Fachkonferenzen der Schulen da individuell einigen, was man herausnehmen kann, wenn es sein muss. Und ob ich nun den Lurch oder den Frosch behandle...
Welcher Frosch oder Lurch wurde denn schon herausgestrichen?
Das war ja ein Witz. So genau weiß ich das nun nicht. Wir haben den Lernstand der Kinder erhoben. Besonders bei den Kleinen gab es große Defizite. Ich habe deswegen viele Lehrkräfte eingestellt, die intensiv in ganz kleinen temporären Lerngruppen mit denen arbeiten, die Probleme haben. In Berlin geht das. Ich habe eigene finanzielle Mittel, um Kräfte einzustellen.
Haben Sie denn Vorschläge an andere Schulleiter?
Ach Gott. Das ist immer ganz schwierig. Als Schulleiter ist man der Kapitän. Da muss man versuchen, immer die positive Ausstrahlung zu haben. Ich sage immer: Weinen kann ich zu Hause.
Die Fragen stellte Jakob Arnold.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
… die wie Frau Busse in diesen schwierigen Zeiten die Schulen mit gro0en Anstrengungen am Laufen halten. Ich wünschte mir aber, dass die Schulverwaltung für die wichtigen Kontakte, die zur Zeit jede Schule mit dem Gesundheitsamt und mit den Eltern aufrecht erhalten muss, weitaus mehr eigenes Personal an die einzelnen Schulen abordnen würd, das in seinem beruflichen Alltag nicht in gleicher Weise an der aktuellen „pädagogischen Front“ steht. Ich würde mich als Mitarbeiter nicht wohlfühlen, wenn ich in einer Behörde weiterhin den gemütlichen Alltagstrott pflegen würde, während sich gleichzeitig andere Beschäftigte ein Bein herausreißen müssen.
Allen Respekt für die Leistungen zahlreicher Mitarbeiter im schlechten System, das sie nicht geschaffen haben, ihr Bestes geben. Mit gründlicher Digitalisierung/Automatisierung ließen sich administrative Kapazitäten ohne Personen am Telefon leicht erweitern. Aber, die Bürokratien wollten ein solches, effizientes System nie. Jeder Paketdienst kann Benachrichtigungen automatisieren, die Gesundheitsämter nicht - weil sie kein IT-System haben, das Automatisierungen ermöglichen würde.
Ihr Bemühen in allen Ehren Herr Arnold, im Interview etwas Handfestes herauszuarbeiten. Was soll denn die Schulleiterin auch anderes sagen. Würde die Frau mal losgelöst vom Beamtenrecht und der Regierungsmeinung, die wahren Alltagszustände schildern dürfen, würde es noch unruhiger in der Republik. Wer in der Familie (Tochter Lehrerin) oder im Freundeskreis Lehrer hat und im persönlichen Austausch, die tatsächlichen Zustände und das Versagen der Gesundheitsämter (wegen Überlastung) und damit der Politik hört, würde auf die Barrikaden gehen. Ein Großteil der Wähler sind auch Eltern und steuerzahlende Arbeitnehmer. Wenn es um die Kinder geht, sind die allermeisten höchst sensibel. Eine Schulleiterin vom Unterricht befreit, damit sie praxisnah den chaotischen Laden Schule im Sinne der Corona Vorgaben halbwegs am Laufen halten kann. Lehrstoff war gestern. Heute gilt korrekte Anwendung der AHA-Regeln und den Alltag organisieren. Da bleibt nicht viel für ohnehin schon gekürzte Lehrinhalte.
Na und? Stehen die jetzt alle auf, gehen auf die Straße, ziehen vor Gerichte und wählen brav bei der nächsten Wahl die AfD?
Gefühlt seit "Ewigkeiten" lese ich hier laufend, dass das Land am Ende ist, die Menschen die Nase voll haben, der "Umsturz" nahe ist und die Politik - also alle ausser AfD und vielleicht noch ein paar windigen FDPlern - zur Rechenschaften gezogen werden.
Alles Quatsch. Denn die Deutschen ticken ganz anders, wollen keine Renaissance deutsch-nationalistischer Herrlichkeit.
Dass Corona Opfer und Schwierigkeiten, auch administrativer Art mit sich bringt, weiss man mittlerweile auch im letzten Kaff unserer bunten Republik. Man kann es eben nicht einfach vor Gericht wegklagen, oder auf albernen Demonstrationen weggrölen.
Mittlerweile sterben in Deutschland täglich ungefähr 400 Menschen an oder mit Corona. Und nein, das ist kein "normales" Lebensende.
Handeln ist angesagt. Und das betrifft auch die Schule, auch wenn es schwierig wird.
... ja, Handeln ist angesagt. Ganz genau das will ich auch. Wenn ich aber nach Taiwan und Japan blicke, dann fällt mir auf, dass meine Bundesregierung samt ihren süßen kleinen Landesregierungen das Grundproblem nicht stemmt: nämlich eine auch in schwierigen Zeiten funktionierende Landesverwaltung (hier: Gesundheitsämter in Zusammenarbeit mit den Schulen) zu organisieren. Dieses Problem der inkompetenten oder schludrigen Verwaltungsführung durch die gegenwärtigen politischen Spitzen hat rein gar nichts mit der AfD zu tun. Drehen Sie sich einmal herum und machen Sie dabei einmal die Augen auf!
Krebs? Herzinfarkt? Grippe?
Alles nichts schönes, aber es beendet das Leben.