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Berlin - Die Möchtegern-Metropole

Die East Side Gallery, das Flughafen-Desaster und die ständigen S-Bahn-Pannen lassen keinen Zweifel: In Berlin klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Die Stadt würde so gerne in einer Liga mit Weltmetropolen wie New York, London oder Paris mitspielen und ist doch nur ein „wahnwitzig gewordenes Dorf“

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Julian Graeber hat Sportwissenschaft und Italienisch in Berlin und Perugia studiert.

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Jetzt hat sich auch David Hasselhoff zu Wort gemeldet. Wie könne man die Mauer niederreißen, die doch die Freiheit symbolisiere, twitterte der 60-Jährige am Montag voller Sorge um den Schauplatz seines größten Auftritts. Diese Aussage spiegelt in erster Linie die konsequente Desinformation über die Arbeiten an einem der wenigen Überbleibsel der Berliner Mauer wider. Niemand hat vor, die gesamte East Side Gallery abzureißen, auch wenn das noch nicht bis zu „The Hoff“ durchgedrungen ist. Es geht um die Entfernung von 23 Mauer-Metern, die nicht nur die Anbindung eines geplanten Luxuswohnhauses, sondern vor allem den Wiederaufbau einer Brücke über die Spree ermöglichen soll. Die katastrophale Informationspolitik der verantwortlichen Politiker, die plötzlich nichts mehr mit den eigenen Entscheidungen der Vergangenheit zu tun haben wollen, zeigt einmal mehr: Berlin gibt sich wirklich alle Mühe, bloß keine Weltstadt zu sein und Touristen abzuschrecken.

Dabei ist der Abriss eines Teils der Mauer nur das letzte Kapitel von Pleiten, Pech und Pannen in der Hauptstadt. Warum ein Denkmal wie die East Side Gallery noch weiter demontiert wird, ist letztlich nebensächlich. So oder so verdeutlicht es den Eindruck einer Stadt, die ihr Potenzial in vielen Bereichen verschenkt. [[nid:53769]]

Auf der Warschauer Brücke irren täglich Hunderte orientierungsloser Touristen herum. „Donde está la East Side Gallery, where is the wall?” Die befindet sich nur gute zweihundert Meter entfernt. Ein Wegweiser? Fehlanzeige!

Auch das 1,3 Kilometer lange Mauerstück selbst ist kein Glanzstück touristenfreundlicher Stadtentwicklung. Der Bürgersteig ist so schmal, dass sich die Besucher beim Fotografieren fast auf den Füßen stehen. Um den Durchgang zur Bootsanlegestelle der O2-World und den Zugang zu einer Strandbar zu ermöglichen, sind ohnehin schon mehrere Lücken vorhanden, die die Wirkung des ehemaligen „antifaschistischen Schutzwalls“ stark beeinträchtigen. Denn Denkmalschutz funktioniert in Berlin anscheinend nur solange, wie kein zahlungskräftiger Investor mit Banknoten umherwedelt.

Wirklich überraschen kann das in der Stadt aber niemanden mehr. Was soll man auch erwarten von einer Regierung, die seit Jahren dilettantisch an einem Großflughafen herumstümpert, als hätte sie die Anleitung zu ihrem Lego-Bausatz verloren. Die Lufthansa hat aus dem Flughafenchaos bereits Konsequenzen gezogen und Dutzende Verbindungen von und nach Berlin aus dem Sommerflugplan gestrichen. Als Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck im Februar ein Nachtflugverbot für den neuen Flughafen forderte, kritisierte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, dies degradiere den BER zum „Provinzflughafen“. Das kann wirklich nicht Sinn des Projekts sein, hat Berlin mit Tegel und Schönefeld doch schon zwei Flughäfen, die einer Metropole nicht würdig sind.

Überhaupt sind die öffentlichen Verkehrsmittel ein ständiges Ärgernis – und zwar beileibe nicht nur für die Touristen. Berlin hat zwar eines der am besten ausgebauten Nahverkehrsnetze Europas, Einschränkungen sind jedoch längst zum Normalzustand geworden. Die S-Bahn hat auf den seit Jahren andauernden Mangel an Zügen reagiert und sogar alte DDR-Modelle aus dem Ruhestand geholt. Die funktionieren immer noch genauso zuverlässig wie die neueren Modelle. Außer es ist zu warm, zu kalt, es regnet oder schneit. In Anbetracht des grandiosen Berliner Wetters ist mit einem regulären S-Bahn-Betrieb also ungefähr von Mai bis Juni zu rechnen – es sei denn, es wird ausnahmsweise mal irgendwo gebaut.

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Man könnte die Liste der Fettnäpfchen beliebig verlängern: Stadtschloss, Staatsoper, Schwaben-Bashing und „Touri-Phobie“. Alles fügt sich zum Bild einer Stadt zusammen, die sich selbst in einer Liga mit London, Paris und New York sieht, und doch bestenfalls Großstadtprovinz ist.

Touristen und potenzielle Neuberliner stört das alles anscheinend nicht. Die Stadt boomt wie selten zuvor. Sowohl die Einwohner- als auch die Besucherzahlen steigen seit Jahren kontinuierlich. In den zehn Jahren zwischen 2002 und 2012 hat sich die Anzahl der jährlichen Übernachtungen nach Angaben des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg von 11,1 Millionen auf fast 25 Millionen mehr als verdoppelt. 2009 löste die Hauptstadt Rom in dieser Statistik als Nummer drei in Europa ab. Und das, obwohl auch beim Neubau von Hotels wie dem Waldorf Astoria lange galt: Großprojekte und Berlin, das passt nicht zusammen![[nid:53769]]

Doch wie lässt sich dieser Boom erklären?

Die Schönheit der Stadt taugt nicht als Begründung. Architektonisch kann es Berlin weder mit Paris noch mit Rom aufnehmen. Nicht umsonst singt Peter Fox in seinem Hit „Schwarz zu Blau“ über Berlin: „Du bist nicht schön und das weißt du auch. Dein Panorama versaut.“

Sicher, auch Berlin hat respektable Sehenswürdigkeiten. Wir haben das Brandenburger Tor, den Reichstag, die Museumsinsel und den Fernsehturm. Zudem lässt sich der Kalte Krieg nirgendwo sonst so unmittelbar nachvollziehen wie in der einst zweigeteilten deutschen Hauptstadt. Ob das allerdings der Hauptgrund für die Besucherflut ist, darf bezweifelt werden.

Für viele der jungen Touristen bedeutet ein Urlaub in Berlin vor allem Freiheit, Multikulti und Party – zu unschlagbaren Preisen. 2011 kostete eine Übernachtung im Doppelzimmer eines Hotels durchschnittlich 76 Euro. Berlin lag damit auf einem Niveau mit Prag oder Dublin und war etwa 60 Euro günstiger als London. Auch die Preise für Essen, Getränke und den Eintritt in die Clubs der Stadt sind deutlich niedriger als in den meisten europäischen Touristenmetropolen.

Da liegt allerdings die Gefahr für Berlin. Der Eiffelturm, das Kolosseum oder der Big Ben wird die Touristen auch in 20 Jahren noch anlocken. Doch was wird aus Berlin, wenn es nicht mehr günstig ist, die kreativen Köpfe weiterziehen und die Party vorbei ist? Erste Warnsignale sind schon vorhanden. Sowohl Miet- als auch Zimmerpreise steigen. Wahrzeichen der alternativen Kultur wie das Tacheles, das Knaack oder das Yaam mussten sich der Finanzkraft von Investoren bereits beugen oder werden von ihr bedroht. Eine funktionierende touristische Infrastruktur und historische Wahrzeichen werden diesen Wandel überdauern, der Status als Partymetropole kann ganz schnell wieder weg sein.

Und dann ist Berlin wieder das „wahnwitzig gewordene Dorf“, das Kurt Tucholsky schon 1913 beschrieb: „Es ist eine kleine Stadt geblieben, die erst in das Kleid nachwachsen muß, das ihr Bauschieber angemessen haben. Und das hat noch gute Weile.“

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