- Ball paradox mit Kohl
Einst hatte sein „Mädel“ ihn aus dem Amt gejagt, jetzt will die Bundeskanzlerin an Helmut Kohls Verdienste für Europa erinnern. Doch Angela Merkel geht damit ein Risiko ein
Diesmal passt der Jahrestag offenbar großartig ins Konzept. Am 1. Oktober 1982, vor bald dreißig Jahren, wurde Helmut Kohl im Wege eines konstruktiven Misstrauens zum Nachfolger Helmut Schmidts gewählt – mit gerade sieben Stimmen „über dem Durst“.
Er blieb, einmalig in der bundesdeutschen Geschichte, sage und schreibe sechzehn Jahre im Kanzleramt. Ein unverrückbarer Eichenschrank, wie selbst liberale Journalisten halb resignativ, halb bewundernd kommentierten. Anders als der hanseatische Sozialdemokrat, der heute fast noch unverhohlener respektiert, ja geradezu verehrt wird als zu seinen Amtszeiten, ist der pfälzische Ewigkeitskanzler Kohl hingegen ins Oggersheimer Halbdunkel entrückt. Seine Partei – unter Angela Merkels Regie – blieb auf Distanz, und er hielt sich grantig und kränkelnd weithin zurück.
Das soll nun anders werden. Kohl wird offenbar dringend gebraucht. Um den europäischen Kurs der Christdemokraten und der bayrischen CSU mit ihren rechtspopulistischen Neigungen gegen die grassierenden Ressentiments und neo-nationalen Vorbehalte zu retten, soll der Kanzler a. D. in den Zirkus geholt und nach allen Regeln der Verehrungskunst eben nicht nur als „Kanzler der Einheit“, sondern vor allem als Gründervater des heutigen Europa illuminiert werden.
Ich möchte hier daher der Frage nachgehen, wie es beschaffen ist um sein Bild, ob es überhaupt eine Kohl-Renaissance geben kann und wer sich auf seine Erbschaft berufen darf.
[gallery:Helmut Kohl - zwischen Wiedervereinigung und Spendenskandal]
Mit einer prächtigen Laudatio aus dem Munde von Roman Herzog, dem Freund, dem Kohl 1994 zur Wahl ins Präsidentenamt verhalf, hat der Reigen der Lobes-Hymnen am Montag in Bonn mit Hilfe der Konrad-Adenauer-Stiftung bereits eingesetzt. Wie der Zufall so spielt, aber es passt halt gut – am Donnerstagabend wird dann der Historiker Hans-Peter Schwarz, assistiert von Kohls Nachfolger als Ministerpräsident in Mainz, Bernhard Vogel, die erste umfassende politische Biografie des „Riesen“ (Schwarz über Kohl) vorstellen. Ein ultimatives Feuerwerk schließlich ist für den 27. September im Deutschen Historischen Museum eingeplant: Angela Merkel, der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, und der Mainzer Kardinal Karl Lehmann werden an den Machtwechsel vor dreißig Jahren erinnern und eben an Kohls Verdienste, vor allem für Europa.
Wie immer man selbst als Journalist die Kohl-Jahre beurteilt hat – zu gönnen ist ihm das alles, sogar Richard von Weizsäcker oder Helmut Schmidt, beide nicht gerade als bedingungslose Verehrer der Regierungskunst des Christdemokraten aus Mainz bekannt, verzichten altersmilde und auch im Blick auf den Gesundheitszustand des vergleichsweise Jungen, Kohl, auf alle kritischen Worte. Das Kriegsbeil, man spürt es, ist begraben und es soll auch so bleiben.
Seite 2: Wie Merkel Kohl abservierte
Vollendet machiavellistisch, wie sie nun mal sein kann, scheint auch Angela Merkel heute neu zu rechnen: Helmut Kohl kann ihr mehr nützen als schaden. Denkt sie. Sie führt ja einen Vielfrontenkrieg, in dem sie die eigenen Positionen vorsichtshalber kaschiert – um es freundlich zu sagen. Einerseits wird es täglich schwerer, sich gegen die tiefsitzenden Vorbehalte Gehör und Gefolgschaft zu verschaffen, diese liederlichen Südeuropäer wollten ja nur ans schwer verdiente deutsche Geld, und die Griechen sollten lieber heute als morgen aus der Euro-Zone ausscheiden. Dieser Gefolgschaft muss sie sich als sparsame Hausfrau präsentieren, die besonders gestreng deutsche Interessen vertritt. Andererseits lässt sich nicht übersehen, dass diese Politik der kleinen Schritte gescheitert ist.
Zugleich sind die Zweifel gewachsen, sie verfolge überhaupt noch einen europäischen Kurs, für den Schmidt und Kohl gleichermaßen standen. Da käme also der Segen jenes Mannes gerade recht, den sie in der entscheidenden Krisenstunde, im Dezember 1999, überlegt, kalt, aber vollkommen einleuchtend öffentlich aufs Altenteil versetzte, ja regelrecht mit einem Bann vertrieb.
In der FAZ veröffentlichte sie damals einen Text zu den Millionenspenden, die Kohl gesammelt, aber nicht in den Rechenschaftsberichten aufgeführt hatte, und zu dessen Weigerung, die Herkunft der Gelder wenigstens nachträglich offenzulegen. Kohl, so die Autorin Merkel, die Kohl einmal sein „Mädel“ genannt hatte, habe „der Partei Schaden zugefügt“. Er stelle sich über Recht und Gesetz. Es gehe um seine Glaubwürdigkeit, aber auch um die der CDU. Sie folgerte: „Vielleicht ist es nach einem langen politischen Leben, wie Helmut Kohl es geführt hat, wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzulegen, sich völlig aus der Politik zurückzuziehen und den Nachfolgern, den Jüngeren, das Feld schnell ganz zu überlassen . . . Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muss sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen...“
Das ist mit Recht ein Scheide-Brief genannt worden. Angela Merkels Aufstieg begann, keiner sonst hatte im richtigen Moment solchen Emanzipations-Mut. Auch Wolfgang Schäuble, der bald den Siebzigsten feiert, hatte das Nachsehen.
Kohl hat dann in drei dickleibigen Rückblicks-Büchern – ein viertes soll in der Mache sein – im Ton oft aggressiv, verbittert, vereinfachend, das Bild seiner Kanzlerschaft nach eigenem Gusto zu zeichnen versucht. Also so, wie er sich sieht – da die Welt so unfair und verzerrend mit ihm umging, wie man bei ihm herauslesen konnte.
Wirklich rehabilitieren konnte er sich damit nicht, dazu waren ihm die Erinnerungen zu sehr zur Abrechnung mit einer breiten Front von Gegnern geraten, dazu fehlte ihnen zu offensichtlich der versöhnliche Ton. Ja, er wurde diesen durchaus komplexen Regierungsjahren von 1982 bis 1998 nicht annähernd gerecht; von einem selbstkritischen Umgang mit seinen Fehlern ganz abgesehen, das brachte er nicht übers Herz. Nicht einmal eine große Erinnerungsveranstaltung zum Fall der Mauer nach zwanzig Jahren mit Bush-Vater und Gorbatschow, bei welcher der ehemals hünenhaft Robuste – gesundheitlich bereits kaum wiederzuerkennen – als Einheitskanzler besungen wurde, bescherte ihm das endgültige Comeback.
Seite 3: Alte Freunde zweifeln heute, alte Feinde applaudieren
Ja, damals schon konnte man den Eindruck gewinnen, vielleicht gebe es einen wirklichen Rückweg nicht mehr – als sei der Sturz in der Spendenaffäre zu tief und sein späterer Umgang mit sich und den Weggefährten einfach zu rechthaberisch gewesen, um das noch einmal revidieren zu können. Man schreibt das mit einem gewissen Bedauern. Denn es ist ja unleugbar, dass jemand, der sechzehn Jahre regiert hat, viel von der Bundesrepublik inhalierte, und dass die Republik umgekehrt auch stark von ihm imprägniert worden ist.
Europa, das dürfte die noch nicht publizierte Biografie von Hans-Peter Schwarz sicher erweisen, stand tatsächlich im Zentrum dieser Kohl-Politik. Mag er ansonsten ein Meister des Abwartens und der Defensive gewesen sein, also jemand, der die Demontage des Sozialstaats verhinderte, aber den Anschluss an die ökonomische Neuzeit nicht fand, der mit Recht die Politik der Zurückhaltung der alten Bundesrepublik gegen ihre nationalistischen Verächter und gegen den Vorwurf verteidigte, sie sei eine krämerselige „große Schweiz“ – in Sachen Europa stürmte Kohl stets nach vorne. Er wollte es.
Er wünschte ein „europäisches Deutschland“, kein „deutsches Europa“. Mit Frankreich musste es einfach gelingen! Geradezu nostalgisch könnte man also im Blick auf diesen Herzens-Europäer Kohl im heutigen Berlin gelegentlich werden, wo nahezu alle sich wegducken vor den vermuteten Ressentiments und wo eine mutige europäische Grundorientierung kaum noch zu spüren ist. Darin erscheint Kohl – wie Schmidt oder Brandt, auch wie Adenauer, als dessen „Enkel“ er sich gerne bezeichnete – wie ein Relikt aus einer anderen Welt.
Die Rechnung aber, sich mit ihm zu schmücken und von ihm den Rücken stärken zu lassen, dürfte kaum aufgehen. Mich würde nicht wundern, wenn gerade viele der früheren Kohl-Verehrer unter den Christdemokraten und außerhalb von Zweifel geplagt werden: Noch wird es nicht laut artikuliert, aber gewispert, er sei groß gescheitert. Mit seinem „gefühligen“ Europa-Kurs habe er die Politik auf ein falsches Gleis gesetzt, gegenüber Defiziten von Ländern wie Griechenland beide Augen zugemacht und die Misere von heute eingeleitet, die gemeinsame Währung ohne politische Union. Gerade Kohls alte Verteidiger scheinen zu fürchten, er habe sich überhoben und werde vielleicht noch einmal als tragische Größe in die Geschichtsbücher eingehen.
Ball paradox: Seine Kritiker von einst hingegen, die oft mit ihm haderten, sehen das genau anders herum. Über seine Schwächen, den anspruchslosen Politikbegriff, oder die höchst eigenwilligen demokratischen Gepflogenheiten des alten „Schlachtrosses“ (Merkel), die Verwechslung von Partei und Staat, sehen sie nicht glatt hinweg.
Gerade wegen seines eindeutig gewichtigen Beitrags zu Europa und der Einbettung der Bundesrepublik in diese Gemeinschaft der Nachbarn aber haben sie sich mit dem Mann, der aus Oggersheim kommt und dort wieder gelandet ist, dennoch längst schon weithin versöhnt. In dieser seitenverkehrten Welt kann er gefeiert und gepriesen werden, und die Kanzlerin wird mit dem Lobpreis für ihn bohrende Zweifel übertönen, ob sie nicht als erste diese Europa-Tradition aufgab. Sie kann sich selbst bestenfalls Rückgrat einziehen und der Europa-Fraktion Mut machen. Die Geister werden sich an Kohl dennoch scheiden, nur in anderer Schlachtenordnung als früher. Für eine wirkliche Renaissance Helmut Kohls aber, für sein Einreihen in die nationale Liste der Tophits Schmidt, Weizsäcker, Genscher, Gauck, für die Morgendämmerung des alten Herrn Kohl, taugt das alles wohl nicht.
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