Christine Lagarde
EZB-Chefin Christine Lagarde gibt die neuen Beschlüsse gegen die Rekordinflation bekannt / dpa

EZB-Sitzung - Exklusiv für Xing-Leser: Erhöhung des Leitzins ist nicht genug

Um die Inflation zu bekämpfen, hat die Europäische Zentralbank gestern die Zinsen im Euro-Raum weiter erhöht. Doch es wurden auch Entscheidungen getroffen, die die Glaubwürdigkeit der EZB in Frage stellen. Umstrittene Anleihekäufe etwa, die nur die Sorgenkinder der EU über Wasser halten, wurden nicht beendet. Doch die EZB soll für Preisstabilität Sorgen, nicht marode Staatshaushalte finanzieren.

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Heike Lehner ist Wirtschaftswissen- schaftlerin aus Wien und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Geldpolitik und Umweltökonomie. Sie ist in der Finanzbranche tätig.

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Für die meisten kam der gestrige Zinsschritt der EZB nicht überraschend. Man erwartete bereits einen zweiten großen Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten. Somit liegt der Leitzins nun bei 2 Prozent. Dieser Schritt war notwendig, um weiter gegen die bei aktuell knapp 10 Prozent liegende Inflation vorzugehen. Die Preissteigerungen liegen also mittlerweile fünf Mal so hoch wie das Ziel der EZB. Nachdem die eigentliche Hüterin der Preisstabilität viel zu lange zu zögerlich gegen die steigenden Preise vorgegangen ist, braucht es daher jetzt ein umso entschiedeneres Entgegentreten. Doch moderne Geldpolitik besteht nicht nur aus Zinsschritten. Bei der gestrigen Sitzung wurden auch noch andere Entscheidungen getroffen, die kritisch zu hinterfragen sind. Darunter auch Entscheidungen, die die Glaubwürdigkeit der EZB für die Zukunft in Frage stellen.

Die aufgeblähte Bilanz der EZB

Nachdem die Zinsen nach der Finanzkrise im Jahr 2008 nicht mehr weiter sinken konnten, wurde bekannterweise auf sogenanntes Quantitative Easing zurückgegriffen. Die EZB war hier besonders fleißig und kaufte über zehn Jahre lang Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von vielen Billionen Euro. Unter anderem dieses Programm führte zu einer regelrechten Explosion der Bilanzsumme der EZB. Wegen der damals niedrigen Inflationsraten von weit unter zwei Prozent konnte sie das auch tun. Mittlerweile kauft die Zentralbank nur mehr dann Anleihen an, wenn alte auslaufen. Die Gelder werden somit reinvestiert, aber kein neues mehr ausgegeben. Bei der gestrigen Sitzung wurde eine Diskussion erwartet, ob diese Reinvestitionen beendet werden sollten, um die Bilanz weiter zu verkürzen, Liquidität aus dem Markt zu nehmen und somit die Inflationsbekämpfung weiter voranzutreiben.

 

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Doch bei der Pressekonferenz nach der Sitzung erteilte EZB-Präsidentin Christine Lagarde diesen Hoffnungen eine Absage. Ernsthafte Gespräche, wie man mit den Anleihekäufen und vielleicht sogar möglichen Verkäufen umgeht, würden erst bei der nächsten Sitzung im Dezember geführt werden. Dabei wäre es schon jetzt so wichtig, erste Schritte zu setzen. Denn diese Reinvestitionen stehen schon länger im Verdacht, eigentlich nur die bekannten Sorgenkinder wie etwa Italien über Wasser zu halten. Das Anlegen der auslaufenden Anleihen darf teilweise flexibel erfolgen, somit kann in einzelne Staatsanleihen stärker investiert werden als in andere. Wenig überraschend profitierten auch genau die erwähnten Sorgenkinder davon. Klare Ansagen zum jetzigen Zeitpunkt hätten ein Zeichen gesetzt, dass nicht die Schuldenquoten der Eurostaaten im Vordergrund stehen, sondern die Wiedereinhaltung der Preisstabilität. Die Gefahr der „fiskalischen Dominanz“, also dass sich die EZB den Staatsfinanzen unterordnen muss, ist in den letzten Monaten real geworden. Hier hätte man bereits jetzt gegenwirken müssen. Denn bei einer derart hohen Geldentwertung sollte klar gemacht werden, dass die EZB wieder die Oberhand gewinnen muss. Und nicht weiter marode Staatshaushalte finanzieren sollte.

Vertrauensverlust der Banken

Wenn schon nicht der Abbau der Anleihen die Bilanzsumme der EZB schrumpfen lässt, dann zumindest Rückzahlungen von Banken im Rahmen der sogenannten „TLTROs“ (Targeted Longer-Term Refinancing Operations). Kurz gesagt konnten Banken während insgesamt drei dieser Programme Gelder zu besonders günstigen Zinssätzen von der EZB ausborgen. Die letzte Auflage der TLTROs startete im Jahr 2019. Ziel war, damit die Kreditvergabe für Haushalte und Unternehmen in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten. Doch seit die Zinssätze wegen der hohen Inflation unerwartet angehoben wurden, können Banken hohe Extragewinne einfahren. Sie legen nun die Gelder zu einem Zinssatz bei der EZB an, der höher ist als der, den sie für die Summen zahlen müssen. Schätzungen dieser Extragewinne reichen bis zu 40 Milliarden Euro. Dass Finanzinstitute diese Gelder nicht zurückzahlen, sondern sie verständlicherweise lieber bei der EZB parken und davon profitieren, hat allerdings auch eine andere Auswirkung. Denn dadurch werden die angehobenen Zinsen nicht in ausreichendem Ausmaß etwa an Kreditnehmer weitergegeben. Somit wird die Inflationsbekämpfung durch notwendige höhere Zinsen über diesen Weg untergraben.

Die EZB hat aber nun die denkbar schlechteste Art gewählt, weitere Profite zu verhindern und ihre Geldpolitik besser wirken zu lassen: Sie ändert nun einfach die Bedingungen der TLTROs und erhöht den Zinssatz derart, dass keine Gewinne mehr gemacht werden können. Wieso sollten Banken dann in Zeiten expansiver Geldpolitik TLTROs weiterhin nutzen, wenn die Bedingungen im Nachhinein einfach geändert werden können? Es hätte andere Mittel und Wege gegeben, die zu einem sehr ähnlichen Ergebnis geführt hätten. Doch die EZB wollte unbedingt erreichen, dass Banken die Rückzahlungen der ausgeborgten Gelder im Rahmen der TLTROs nun schneller tätigen. Das soll dem Markt weiter Liquidität entziehen und die Zinsen weiter erhöhen. Gerade in Zeiten enormer Unsicherheit war das aber nun der denkbar schlechteste Weg und untergräbt weiter das Vertrauen in die EZB.

All das zeigt: Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die geldpolitischen Entscheidungen der EZB zu werfen. Auch wenn große Zinsschritte im Kampf gegen die Inflation essentiell sind, sind sie nicht genug. Die restlichen Handlungen der EZB müssen ebenso in Richtung Preisstabilität und Erhaltung der Glaubwürdigkeit gehen. Deshalb sollte man auch während der nächsten Sitzung Mitte Dezember ganz genau hinsehen. Denn so wie es jetzt aussieht, werden die nächsten Zinsschritte geringer ausfallen. Dann werden andere Details wie eine weitere Reduktion der Bilanzsumme nur noch wichtiger. Die Glaubwürdigkeit der EZB beim Kampf gegen die wohl noch länger problematisch hohen Inflationsraten bleibt weiterhin ein großes Thema. Es bleibt zu hoffen, dass die Zentralbank diese in Zukunft nicht weiter aufs Spiel setzt.

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