- Wodka und Wasserpfeife
Das reiche Scheichtum Katar wandelt auf einem schmalen Grat zwischen Tradition und Innovation, zwischen Terrorfinanzierung und Ausbeutung, zwischen Freiheit und Entrechtung
In der Bar des Luxushotels W Doha dröhnt laute Musik. Bis auf die Terrasse hinaus drängen sich junge Frauen mit nackten Schultern, kurzen Röcken und hohen Absätzen. Cocktailgläser in den Händen, parlieren sie mit Männern in Anzug oder legerer Abendkleidung. Die Eiswürfel klirren in den Gläsern, die Stimmung ist gut. „Noch eine Runde Wodkashots“, ruft ein junger Amerikaner dem Barkeeper zu. Manch einer hier mag diese Versammlung für frevelhaften Götzendienst im Tempel westlicher Dekadenz halten.
Das W Doha sieht dem W New York zum Verwechseln ähnlich. Die Skyline von Doha mit seinen stolzen Wolkenkratzern ähnelt vor allem nachts jener von Manhattan, dem Inbegriff von Modernität und Macht.
Noch vor 40 Jahren war Doha ein Beduinendorf. Heute ist die Hauptstadt des Emirats Katar zu einer glitzernden Metropole herangewachsen. Tamim bin Hamad bin Khalifa al Thani, 34, der Emir von Katar, will die Tradition der Golfaraber mit den Errungenschaften des 21. Jahrhunderts verbinden. Mit eingeschlichen haben sich: Alkohol und Miniröcke.
Die Symbolik ist auch bei Tag eindeutig. Überall stehen Baukräne, die Etage um Etage auf die neuen Wohn- und Bürotürme setzen. Scheich Tamim baut sein Reich in den Himmel hinauf. Er will damit nicht nur seinen immensen Reichtum zur Schau stellen. Katar verfügt über riesige Gasvorkommen. Die Staatsreserven betragen 150 Milliarden Euro. Nach dem Pro-Kopf-Einkommen ist das Mini-Emirat mit seinen 275 000 Staatsbürgern das reichste Land der Erde.
Hoch gepokert und Prestige verloren
Trotz seiner Kleinheit will das Emirat auch politisch eine ernst zu nehmende Macht im Nahen Osten sein. Womöglich auch im Rest der Welt. Diese Gratwanderung ist heikel. Die Globalisierung der Macht hat ihren Preis. Gerade im Nahen Osten, der zurzeit eine neue Phase der Gewalt erlebt.
Katar hat zu Beginn des Arabischen Frühlings 2011 hoch gepokert und viel verloren: Geld, aber auch Prestige. Die Unterstützung der Muslimbruderschaft in Ägypten, der Hamas im Gazastreifen und der islamistischen Rebellen in Syrien hat das ambitionierte Projekt, Einfluss zu gewinnen, nicht gestärkt, sondern geschwächt. Auch intern ist das Vorhaben, einen eigenen Weg zwischen konservativem Islam und westlicher Lebensart zu finden, permanent bedroht.
Seit Katar vor knapp vier Jahren die Fußball-WM 2022 zugesprochen wurde, ist das Scheichtum in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Geschmierte Sportfunktionäre sind keine Weltneuheit, aber die Affäre um die Vergabe der WM an das Emirat wächst sich aus.
Schmiergelder sind nicht Katars einziges Problem. Die britische Tageszeitung The Guardian veröffentlichte einen Bericht über die Behandlung der Gastarbeiter auf katarischen Baustellen: Vorigen Sommer starb fast jeden Tag ein Arbeiter an Hitzschlag. In Katar gibt es weder Gewerkschaften noch politische Institutionen, geschweige denn eine kritische Öffentlichkeit, die Missbrauch aufzeigen könnte. Nach internationalen Protesten und ersten Boykottaufrufen hatte das Scheichtum Anfang des Jahres einen Aktionsplan beschlossen, mit dem die Arbeitsbedingungen für Gastarbeiter drastisch verbessert werden sollten.
Von Bauboom an blind
Passiert ist wenig. Im Gegenteil. Krishna Upadhyaya und Ghimire Gundev bekommen gerade zu spüren, wie repressiv es in Katar zugeht. Die beiden britischen Menschenrechtsexperten wurden am 31. August verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, „das Gesetz des Landes gebrochen zu haben“. Ihr Verbrechen: Sie arbeiteten an einem Bericht für das Global Network for Rights and Development über nepalesische Gastarbeiter.
Vor einer der spektakulären Baustellen sitzen Arbeiter aus Südostasien in der Dämmerung auf dem Gehsteig. Sie haben seit dem Morgengrauen gearbeitet. Keiner will seinen Namen nennen, die Angst vor dem Verlust des Jobs ist zu groß. Ihre Gesichter sind mit Tüchern umwickelt, sie schützen sich so gegen Staub, Sonne – und Fotos. „Wenn einer von uns in der Hitze umkippt“, sagt einer der maskierten Männer, „wird er sofort entlassen.“
In Katar leben etwa zwei Millionen Menschen, von denen über drei Viertel Gastarbeiter sind. Sie sind vollkommen rechtlos. Die Arbeiter werden nach dem Kafala-System ins Land gebracht. Ein Sponsor übernimmt die Verantwortung – und den Pass. Damit sind die Jobsuchenden ihrem Bürgen ausgeliefert. Das Kafala-System befördert nicht nur sexuelle Ausbeutung von Frauen, es dient auch dazu, ausländische Wirtschaftsinteressen zu kontrollieren.
Viele Geschäftsleute aus der ganzen Welt haben sich mit dem Kafala-System abgefunden – der Bauboom in Katar ist für Firmen wie die Deutsche Bahn, Siemens oder Hochtief einfach zu interessant. Dafür nehmen sie in Kauf, dass sie mit lokalen Partnern zusammenarbeiten müssen.
Das absolutistische Scheichtum ist eine demokratiefreie Zone. Zwar hat der damalige Kalif Hamad bin Khalifa al Thani 2003 eine „Beratende Versammlung“, ein Quasi-Parlament eingeführt. Dessen Befugnisse bestehen aber lediglich im Abnicken von Gesetzen, die dem Emir und seinen Beratern eingefallen sind. Erste Wahlen gab es zum Gemeinderat 2007 und 2011 – revolutionärerweise durften auch Frauen wählen und sogar kandidieren.
Im Vergleich zu anderen arabischen Potentaten haben die Katarer immerhin Glück mit ihrer Herrscherfamilie: Die al Thanis sind religiös deutlich moderater als die ultrakonservativen Wahhabiten in Saudi-Arabien; sie denken politischer als die al Maktums in Dubai und sind innovativer in Erziehungs- und Forschungsprojekten als alle Nachbarn zusammen.
„Katar ist eine ganz eigene Gesellschaft, schwer mit anderen zu vergleichen“, sagt Ahmed Abdul-Malik al Hamadi. Der katarische Dichter sitzt im traditionellen Dischdasch, dem weißen Gewand mit rot-weißem Kopftuch, beim Kaffee in einem modernen Einkaufszentrum. Sein Vater war noch Perlentaucher. Der Sohn weiß beide Welten der katarischen Gegenwart zu schätzen: die Traditionen der Beduinengesellschaft wie die Innovationen des 21. Jahrhunderts. Er hat nur einmal geheiratet, während viele seiner katarischen Freunde bis zu vier Frauen haben. Seine Frau, sagt er, sei sehr selbstständig: „Sie macht, was sie will! Der Prophet Mohammed hat nie gesagt, dass man Frauen verstecken muss“, erklärt der 63-Jährige und blickt aufmerksam hinunter auf die Frauen, die an den Schaufenstern entlang schlendern.
Die meisten katarischen Frauen tragen, wenn sie das Haus verlassen, eine schwarze Abaya, den Ganzkörperschleier, der am Arabischen Golf Brauch ist. Das Gesicht bleibt dabei frei. Manche Frauen sieht man auch in Sommerkleidern oder Jeans auf den Straßen. In Katar dürfen Frauen im Gegensatz zu Saudi-Arabien ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Allerdings trauen sich das die Einheimischen nicht unbedingt.
Nicht der Hinterhof Saudi-Arabiens
Das Scheichtum ist erst seit 1971 unabhängig. Bis dahin agierten die Briten als Schutzmacht. Die al Thanis sind als Herrscherfamilie seit 1915 anerkannt. 1940 wurde in Katar Öl gefunden, später Gas, und innerhalb weniger Jahrzehnte zogen die Katarer vom Beduinenzelt in Wolkenkratzer.
Tamim ist der sechste Emir des Al-Thani-Clans. Er übernahm den Wüstenthron von seinem Vater Hamad im Juni 2013. Der Wechsel kam plötzlich und wurde von Experten als Versuch gewertet, Dynamik in Zeiten des Umbruchs zu markieren. Die Macht wurde bei den al Thanis auch schon zuvor in unblutigen Coups übergeben. Tamims Vater Hamad stahl seinem Vater Khalifa die Macht 1995. Der alte Scheich verbrachte seine Tage damals bereits lieber an der Côte d’Azur als am Golf. Der reformorientierte Hamad wollte die Geschicke des Emirats nicht nur in die Hand nehmen, um das Land ins 21. Jahrhundert zu befördern. Er wollte sich auch von Saudi-Arabien lossagen. Der große Nachbar hatten bereits einen ihm genehmen Nachfolger für den alten Emir von Katar ausgesucht. Die al Sauds betrachteten den Zwergenstaat gerne als ihren Hinterhof.
Aus diesem angespannten Machtverhältnis resultieren bis heute einige der größten Probleme in den nahöstlichen Kabalen. So investierte der Vater des heutigen Scheichs schon früh in die Entwicklung der Muslimbruderschaft. Er sah in ihnen ein reformerisches Potenzial für die Militärdiktatur Ägyptens. Außerdem waren die Muslimbrüder politisch weniger fanatisch als die Wahhabiten in Saudi-Arabien. Der spirituelle Führer der Muslimbrüder Yusuf Abdullah al Qaradawi genießt schon seit Jahrzehnten politisches Asyl in Doha.
Großzügige Spenden an islamistische Rebellen
Das Zwischenspiel der Muslembrüder an der Macht in Kairo aber hat nur ein Jahr gedauert und stellt eines der beschämenden Kapitel der katarischen Politsaga dar. „Ich mache hauptsächlich die islamistischen Kräfte unter Mohammed Mursi für diese Katastrophe verantwortlich“, sagt Azmi Bischara. Der palästinensische Intellektuelle aus Israel ist heute Direktor des Arab Center for Research and Policy Studies in Doha. „Mursi und sein Führungsteam haben sich nicht darum bemüht, in der Übergangsphase alle demokratischen Kräfte einzubinden. Nicht nur das: Die Islamisten haben Proteste niedergeschlagen, die Anführer verhaftet und antidemokratische Gesetze erlassen. Deshalb war der Staatsstreich des Militärs im Juli 2013 so leicht durchzuführen.“
Die Katarer waren zwar Schutzmacht der Muslimbrüder, solange diese noch in der Opposition waren. Kaum aber hatten die Islamisten in Ägypten die Macht errungen, hörten sie nicht mehr auf den moderierenden Rat des Emirs in Doha und radikalisierten sich. Nach Mursis Fall und der Wiederkehr des Militärs unter Abdel Fattah al Sisi erhöhten die anderen Golfscheichs unter der Führung Saudi-Arabiens den Druck auf Scheich Tamim al Thani und beriefen sogar kurzzeitig ihre Botschafter aus Katar zurück. Heute hält sich der junge Emir mit allzu lauter Unterstützung der Muslimbruderschaft zurück.
Gleichzeitig mit Ägypten ist auch Katars Investition in die islamistische Opposition in Syrien schiefgegangen. Katar hatte seit dem Beginn des Aufstands gegen den Diktator Baschar al Assad gute Kontakte zum Widerstand gepflegt – vor allem zur Al-Nusra-Front. Das hat sich gerächt. Immer mehr Al-Nusra-Kämpfer sind inzwischen mit katarischem Geld in den Taschen zum „Islamischen Staat“ übergelaufen. Heute müssen sich die Katarer fragen, ob ihre großzügigen Spenden an die islamistischen Rebellen ein noch größeres Monster als Baschar al Assad haben entstehen lassen.
Auch mit der Hamas hatte Katar Pech. Ursprünglich war die Idee im Nahen Osten populär, die islamistische Hamas-Bewegung im Gazastreifen zu unterstützen, nachdem sich Israel 2007 aus dem Gebiet zurückgezogen hatte. Ein Besuch des damaligen Emirs 2012 im Gazastreifen verlief triumphal.
Der katarische Scheich kam mit gezücktem Scheckbuch und wirkte wie ein Mäzen des arabischen Widerstands gegen die Unterdrücker.
Heute hat die Hamas nicht nur Israel zum Feind. Seit in Kairo wieder das Militär regiert, sind die Grenzen zwischen Gaza und Ägypten erneut geschlossen. Der jüngste Krieg zwischen der Hamas und Israel führte am Ende zu einem Waffenstillstand, von dem niemand erwartet, dass er lange hält. Katar aber durfte bei den Verhandlungen in Kairo um einen Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unterdessen lebt Chalid Maschal, der Chef der Hamas, immer noch in Doha im Exil.
So tummeln sich in Katar die wichtigsten Oppositionellen des Nahen Ostens. Neben Maschal auch der spirituelle Führer der Muslimbrüder und eben auch Azmi Bischara. Der palästinensische Politologe war israelischer Staatsbürger und Abgeordneter im israelischen Parlament, der Knesset. Nach dem Libanonkrieg im Sommer 2006 wurde Bischara vorgeworfen, er habe die libanesisch-islamistische Hisbollah mit Informationen über israelische Angriffsziele versorgt. 2007 flüchtete er aus Israel, weil er fürchtete, wegen Staatsverrats belangt zu werden.
Bischara ist eine Schlüsselfigur am Hof des jungen Emirs geworden. Scheich Tamim muss nach seinem ersten schwierigen Regierungsjahr neue Prioritäten setzen. Die Muslimbruderschaft ist den Katarern immer noch wichtig, man wird den spirituellen Führer al Qaradawi nicht ausweisen. Um aber die schiefgegangenen Investitionen in die Islamisten in Ägypten oder Syrien wettzumachen, gibt der junge Emir nun den linken Arabisten mehr Raum. „Katar will zu der ursprünglichen Idee zurück, die drei Trends der arabischen Politik gleichmäßig zu propagieren: Islamisten, Linke und Liberale sollen alle eine Stimme bekommen“, sagt der Golfexperte Andrew Hammond vom European Council on Foreign Relations in London.
Neue Konkurrenz in der britischen Hauptstadt
Als Zeichen der Abgrenzung von der Politik seines Vaters will Scheich Tamim eine neue Zeitung und einen neuen Fernsehsender gründen. Der neue Sender Al Arabi Al Dschadid – Der Neue Araber – soll nicht aus Doha, sondern aus London berichten.
Mit der britischen Hauptstadt sind die katarischen Herrscher traditionell eng verbunden, schließlich war das Vereinigte Königreich einst die Schutzmacht des Scheichtums bis zu seiner Unabhängigkeit 1971. Prinz Tamim wurde in britischen Eliteschulen erzogen und besuchte später die Royal Military Academy Sandhurst.
Inzwischen hat sich das Verhältnis allerdings fast umgekehrt: Waren einst die Briten die Kolonialherren am Golf, so sahnen heute die Katarer in London ab. Sie kaufen die Kronjuwelen britischer Identität auf, die sich die Engländer nicht mehr leisten können – etwa das Edelkaufhaus Harrods oder die Barclays-Bank.
Der neue Fernsehsender Al Arabi Al Dschadid soll nun in Park Royal am Rande Londons entstehen. Arabische Journalisten in der britischen Hauptstadt sind sich sicher, dass Der Neue Araber dem alten Al Dschasira Konkurrenz machen wird. Al Dschasira war von Vater Hamad 1996 gegründet worden, um dem Nahen Osten eine arabische Stimme auf der internationalen Fernsehbühne zu geben. Der Sender ist in Doha beheimatet und hat jahrelang als eine Art Anti-CNN gut funktioniert. In den vergangenen Jahren allerdings wurde Al Dschasira von vielen immer mehr als Sprachrohr von Al Qaida empfunden.
Oase der Stabilität
Mit dem Sturz der Muslimbrüder in Kairo begann auch der Niedergang der Fernsehstation. In einem spektakulären Schauprozess wurden im Juni dieses Jahres mehrere Reporter des katarischen Senders zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie angeblich im Dienst der Muslimbrüder gestanden haben sollen. Doha musste dem Schauspiel machtlos zusehen.
Diese Demütigung möchte der katarische Emir schnell vergessen machen. Seine Regentschaft wird der junge Scheich in Zukunft mit mehr Balance zwischen den islamistischen und den linken Kräften im arabischen Lager – und an seinem Hof – anlegen. Das seltsame katarische Gesellschaftsprojekt zwischen Wodkashot und Wasserpfeife hat gute Chancen, das jetzige Chaos im Nahen Osten zu überleben.
Vielleicht wird Scheich Tamim bin Hamad bin Khalifa al Thani nicht – wie von seinem Vater erhofft – die Vorherrschaft des großen Nachbarn Saudi-Arabien brechen können. Eine moderatere Variante des wahhabitischen Islam, der in Riad gepflegt wird, könnte sich in Doha aber durchaus entwickeln. Allein schon, weil der Rest des Nahen Ostens immer tiefer in den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten versinkt. Katar ist vergleichsweise noch eine Oase der Stabilität.
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