- Der Westen dreht Russland den Geldhahn zu
Kremlnahe Experten verkauften drohende Sanktionen lange als Heilmittel für die rohstoffabhängige Wirtschaft des Landes. Die jüngsten Sanktionen des Westens machen einen dicken Strich durch die Rechnung
Lange Zeit wähnte sich Russland unverwundbar. Sanktionen gegen das größte Land der Welt und einen der wichtigsten Energielieferanten Europas? Unwahrscheinlich. Importverbote für russische Rohstoffe hätten Europa zu hart getroffen. Stattdessen arbeitete der Westen fleißig am Gefühl der russischen Stärke. Russlands Einverleibung der Krim, einer ukrainischen Halbinsel von der Größe Brandenburgs, quittierte die EU mit Einreiseverboten für die sogenannten „Freunde Putins“ und untersagte Geschäftskontakte zu Ihnen. Ein Schritt der in Moskau weitläufig belächelt wurde. Je länger der Konflikt in der Ukraine weiterkochte, desto weniger rechneten Wladimir Putin und seine Berater mit ernsthaften Schritten seitens der Europäer und Amerikaner.
Die Sanktionen greifen
Seit gut anderthalb Wochen dürfte vielen Mächtigen in Russland das Lächeln allerdings vergangen sein. Der Tod von 298 unbeteiligten Flugzeuginsassen im Osten der Ukraine, für den Beobachter überwiegend den prorussischen Kämpfern verantwortlich machen, wurde zum Katalysator für eine Eskalation der Schritte gegen die Wirtschaft des Landes. Die unangenehme Überraschung für Moskau ist das Hauptangriffsziel der neuen Sanktionen: der russische Banken- und Finanzsektor. Die größten russischen Banken sind faktisch vom westlichen Kapitalmarkt ausgesperrt, während ihre Aktien nun für europäische und amerikanische Käufer Tabu sind.
„Natürlich richten die Sanktionen einen ernsthaften Schaden an“, kommentiert der Chef der zweitgrößten Bank VTB, die mehrheitlich dem Staat gehört. Die Zentralbank erhöhte ihrerseits den Leitzins auf nunmehr acht Prozent und begründete die Entscheidung mit der steigenden Inflation und der „verstärkten geopolitischen Unbestimmtheit“, sprich mit dem wachsenden Druck auf Russland wegen der Ukraine-Krise.
Solche direkten Eingeständnisse von hoher Stelle sind bisher selten in Russland gewesen. Stattdessen schien sich unter kremlnahen Experten, Medien und Politikern die Sichtweise durchzusetzen, Sanktionen seien insgesamt gut für die russische Wirtschaft. Was auf den ersten Blick wie trotziges Gehabe wirkt, folgt einer inneren Logik. In den letzten Jahren ertönten immer wieder Stimmen in der russischen Wirtschaft, die trotz des Beitritts zur Welthandelsorganisation mehr Protektionismus forderten. Zumal Russland in Branchen wie der Automobilindustrie über die vergangenen Jahre hohe Einfuhrzölle erfolgreich eingesetzt hat, um ausländische Hersteller ins Land zu holen.
Handelskrieg als Konjunkturspritze?
Ein möglicher Handelskrieg mit dem Westen könnte, so die Überlegung, die russische Industrie ankurbeln, da man sich nicht mehr auf Importe verlassen könne. Maschinen, Autos, Züge und Flugzeuge müssten, wie schon zu Sowjetzeiten, selber hergestellt werden. Der Begriff Importsubstitution geistert seit Monaten durch die russische Wirtschaftspresse. Außerdem würden Sanktionen dazu führen, dass die Exporterlöse aus dem Rohstoffhandel nunmehr im Inland investiert werden müssen, weil sie im Westen nicht mehr sicher seien.
Während diese Überlegungen für einzelne Branchen wie die Landwirtschaft oder die Rüstungsindustrie zutreffen dürften, haben unabhängige Ökonomen wenig für solchen Optimismus übrig. Zumal die jüngsten Sanktionen gegen den Finanzsektor genau hier ansetzen. Das Problem für Russland sind nicht die direkten Auswirkungen der Sanktionen auf Banken. „Ich bin mir sicher, dass das russische Bankensystem kurz- und mittelfristig nicht so sehr leiden wird“, meint etwa der Chef der Agentur „Rus-Rating“ Alexander Owtschinnikow. Die größten staatlichen Banken VTB und Sberbank hätten beide Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 15 Milliarden Euro. Eine Summe die nicht so schwer aufzubringen ist.
Russische Kreditklemme und verschuldete Realwirtschaft
Es sind die indirekten Folgen von Sanktionen, die der Wirtschaft weiter zusetzen werden. Günstige Kredite sind ein knappes Gut in Russland und fast ausschließlich über ausländische Banken zu kriegen. Erst vor zwei Wochen klagte der russischen Arbeitgeberverband RSPP über eine Kreditklemme, in der russische Unternehmen steckten. Darlehen mit einer Laufzeit von über drei Jahren seien bei einheimischen Instituten nur zu einem Zinssatz ab 15 Prozent zu haben. „Die größten russischen Unternehmen ziehen es vor, sich zu Zinsen ab drei Prozent mit Krediten bei westlichen Banken einzudecken“, erklärt RSPP-Vizevorsitzende Alexander Murytschew. Gleichzeitig sei eine langfristige Finanzierung Voraussetzung für jede größere Investition.
Russlands Realwirtschaft ist mittlerweile mit 500 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet, der Bankensektor mit etwa 200 Milliarden. Wenn nun die größten Banken des Landes von billigen Finanzierungsmöglichkeiten in Europa und den USA ausgeschlossen werden, werden die Kreditzinsen im Inland weiter steigen, fürchten Analysten. Ein weiteres, weniger akutes Problem ist die Refinanzierung der billigen ausländischen Kredite. Sollten die Sanktionen andauern, müssen diese nach und nach abgebaut werden. Günstige Kredite im Inland gibt es hierfür wiederum nicht. Beides ist Gift für die ohnehin lahmende russische Konjunktur. Für das laufende Jahr rechnen Ökonomen bestenfalls mit einem Plus von einem halben Prozent.
Die offizielle Sanktionsliste beschränkt sich zwar auf Banken mit staatlicher Beteiligung und Unternehmen wie Ölförderer Rosneft und die Rüstungsschmiede Kalaschnikow. Faktisch allerdings ist ihre Wirkung viel breiter, glaubt etwa Finanzexperte Slava Rabinovich. „Westliche Banken sind extrem vorsichtig bei Sanktionen und agieren oft vorauseilend, auch wenn es noch keine offenen Verbote gibt. Faktisch werden bei Finanzinstituten derzeit alle neuen Russland-Geschäfte auf Eis gelegt“, sagt der Chef der auf Russland spezialisierten Vermögensberatung Diamond Age. Es sieht so aus, als würden Pessimisten wie Rabinovich Recht behalten. So hat am Freitag die New Yorker Investmentgesellschaft MSCI angekündigt, Investoren einen Schwellenländer-Index ohne Russland anzubieten. Auch die britische Royal Bank of Scotland kündigte an, vorerst keine neuen Kredite mehr in Russland zu vergeben.
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weil russische Investoren dadurch nicht in der Lage sind, ihre in Deutschland begonnen Investitionen abzuschließen. Das betrifft die Sanierung von Gebäuden russischer Eigentuemer und sicher auch von Betrieben.