- Wann kommt der Knall?
Die Situation der Großen Koalition ist desolat. Statt zu regieren, beschäftigen sich die Regierungsparteien nur noch mit sich selbst. Wie lange geht das noch gut? Ein Ende mit Schrecken wäre allemal besser als ein Schrecken ohne Ende
Was war das für ein Wochenende, im bayerischen Fernsehen wurde bereits der Rücktritt von SPD-Chef Sigmar Gabriel verkündet. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer spekuliert derweil über einen eigenständigen Bundestagswahlkampf seiner Partei 2017. Er setzt sich damit weiter von der Schwester CDU ab. Die CSU hadert mit Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik und versucht, sich bundesweit als AfD Light zu profilieren. Die SPD grämt sich für ihre schlechten Umfragewerte und wird wieder von Oppositionssehnsüchten getrieben. Dazwischen verharrt die CDU in politischer Schockstarre, denn jede Regung könnte das fragile Bündnis ins Wanken bringen. Vor allem viele Konservative in der CDU haben jedoch die Faust in der Tasche geballt. Man kommt nicht drum herum, die Situation der Großen Koalition desolat zu nennen.
Unweigerlich stellt sich die Frage: Wie lange kann das so weiter gehen? Wie lange können sich die Parteien der Großen Koalition noch mit sich selber beschäftigen und das Regieren weitgehend einstellen? Wie lange kann die Regierung noch ignorieren, dass die außenpolitischen Krisen – vor allem die Eurokrise und die Flüchtlingskrise – wieder eskalieren? Wie lange kann sie es sich leisten, innenpolitische Reformvorhaben, etwa bei der Integration von Flüchtlingen, bei der Zeitarbeit oder beim Länderfinanzausgleich, liegen zu lassen? Wie lange wollen sich CDU, CSU und SPD noch von den Wahlerfolgen der AfD treiben lassen? Kommt irgendwann der große Knall? Oder droht die Bundesregierung zu implodieren?
Der Erdrutsch vom 13. März wirkt nach
Es ist nicht zu übersehen: CDU, CSU und SPD haben sich noch nicht vom Ausgang der drei Landtagswahlen am 13. März und den Wahlerfolgen der Rechtspopulisten erholt. Die Wahlergebnisse aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben die Parteienlandschaft heftig durchgerüttelt. Sie stellen das bisherige Parteiensystem und die Routinen der Machtverteilung infrage. Die Angst vor dem unberechenbar gewordenen Wähler sitzt allen drei Berliner Regierungsparteien im Nacken.
Nach dem Wahlsonntag im März haben CDU, CSU und SPD versucht, jede innerparteiliche Unruhe im Keim zu ersticken. Wohl wissend, wie groß die politische Sprengkraft des Wählervotums in Wirklichkeit ist. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wurden ohne große Debatten ungewöhnliche Koalitionen gebildet, die allein aus der Not geboren wurden – Rot-Grün-Gelb in Mainz, Schwarz-Rot-Grün in Magdeburg. In Stuttgart fügte sich die CDU fast ohne Murren in die Rolle des Juniorpartners der Grünen.
Doch inzwischen fressen sich die Zweifel durch die Parteien, die Unruhe wächst, die Zentrifugalkräfte nehmen zu. Die CSU fürchtet um ihre einmalige Sonderstellung in Bayern und um die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen 2018. Die CDU wird immer mehr gewahr, wie sehr sie von der Popularität der Kanzlerin abhängig ist und wie tief der Abgrund sein könnte, der sich für die Partei nach Angela Merkel auftut. Die SPD blickt bereits in den sozialdemokratischen Abgrund. Selbst ein Wahlergebnis von weniger als 20 Prozent ist nicht mehr ausgeschlossen. Und die Frage scheint nur noch zu sein, ob die Sozialdemokraten mit Sigmar Gabriel als Parteichef und Kanzlerkandidat dahinsiechen – oder ohne ihn.
Regieren, nicht streiten
Lange geht das nicht mehr gut. Wozu das führt, wenn die Regierungsparteien, statt zu regieren, sich nur noch mit sich selbst beschäftigen, zeigt die aktuelle Rentendebatte. Ohne Not und ohne Konzept haben vor allem CSU und SPD eine Diskussion über Altersarmut und die Zukunft der Alterssicherung ausgelöst. Horst Seehofer erklärte die Riester-Rente für gescheitert, die SPD forderte eine Wiedererhöhung des Rentenniveaus, Finanzminister Schäuble redete über die Rente mit 75. Am Ende sind die Bürger bei diesem höchst sensiblen sozialpolitischen Thema verunsichert und stellen die Kompetenz der Regierungsparteien in der Rentenpolitik insgesamt infrage.
Denn natürlich erwarten die Wähler von den Regierungsparteien in der Mitte der Legislaturperiode, dass sie nicht lamentieren, sondern Probleme lösen. Dass sie nicht bereits anderthalb Jahre vor der Wahl mögliche Wahlkampfthemen sondieren, sondern ihre politische Gestaltungsmehrheit nutzen. Kurzum: Die Wähler erwarten, dass die Regierung regiert und sich nicht permanent streitet.
Geräuschloses Regieren wäre für Regierungsparteien im Übrigen auch das beste Rezept, um die AfD klein zu halten. Natürlich gibt es immer Unzufriedene, die sich von den Regierungsparteien abwenden. Natürlich gibt es immer Gegner von politischen Entscheidungen. Zumal die AfD mit den Flüchtlingen, dem Islam und mit dem Euro auf Themen setzt, bei denen schnelle Lösungen nicht in Sicht sind. Insofern scheint es derzeit wahrscheinlich, dass die AfD 2017 in den Bundestag einziehen wird. Aber Streit, Lethargie und Wählerbeschimpfung sind am Ende ein Protestwählermaximierungsprogramm. AfD-Chefin Frauke Petry sagt schon mal herzlichen Dank.
Doch es scheint derzeit so, als bringe die Große Koalition nicht mehr die Kraft auf, um die Legislaturperiode geordnet und mit solider Regierungsarbeit zu Ende zu bringen. Ein Schrecken mit Ende wäre dann allemal besser als quälende Lethargie bis zum bitteren Ende.
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