- Baerbocks Visa-Affäre: Illegal, legal, egal
Annalena Baerbocks Auswärtiges Amt verteilt Tausende Visa an Einwanderer aus aller Welt. Ihre Beamten sind angewiesen, großzügig zu sein. Bis an die Grenzen des Rechts – und darüber hinaus. Sicherheitsbehörden hatten davor gewarnt, doch das Auswärtige Amt setzte sich darüber hinweg. Dies war der meistgelesene „Cicero“-Artikel im Juli.
Es gibt politische Skandale, die starten mit einem Knall. Ein Aufschrei geht durchs Land, Journalisten und Oppositionspolitiker stürzen sich darauf, fordern Aufklärung und Konsequenzen. Wenn sich die Staubwolken der Explosion gelegt haben, zeigt sich, was davon übrig bleibt.
Es gibt aber auch Skandale, die sich langsam entwickeln. Wie ein Schwelbrand, der unbemerkt vor sich hin kokelt und sich immer weiter ausbreitet, bis irgendwann die Flammen großflächig emporschießen. Die seit anderthalb Jahren schwelende Visaaffäre im Auswärtigen Amt könnte ein solcher Fall sein. Wann wird sie zum offenen Brand?
Sicherheitsbedenken wurden zur Seite geschoben
Es geht um gefälschte Pässe, zweifelhafte Verwandtschaftsverhältnisse und mutmaßliche Tarnidentitäten. Und darum, dass Deutschland seit Annalena Baerbocks Amtsantritt sehr großzügig und ohne genau hinzusehen Einreiseerlaubnisse an Einwanderer aus aller Welt verteilt. Sicherheitsbedenken nimmt die Außenministerin nicht ernst.
Sie hat in ihrer Behörde ein migrationsfreundliches Klima geschaffen, in dem sich Beamte dazu berufen fühlen, geltendes Recht zu brechen, um Visa möglichst schnell und reibungslos auszustellen. Gegen einzelne Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. Einiges deutet darauf hin, dass das erst der Anfang ist.
Ein Cicero-Bericht entzündete im Februar 2023 die seitdem schwelende Affäre. Bei Recherchen zur Aufnahme von Afghanen waren wir auf einen bemerkenswerten Fall gestoßen: Mohammad G., der angeblich aus Afghanistan stammt und zu seinem angeblichen Bruder nach Deutschland ziehen will. Zwischen der Zentrale des Auswärtigen Amtes in Berlin und der für das Visumverfahren zuständigen deutschen Botschaft in Islamabad gab es heftigen Streit.
Denn die Beamten vor Ort, bei denen der junge Mann vorstellig geworden war, hatten erhebliche Zweifel an dessen behaupteter Identität und den widersprüchlichen Geschichten, die Mohammad und Khan G. den deutschen Behörden auftischten. Es ist weder klar, ob die beiden überhaupt Brüder sind, noch ob Mohammad G. wirklich Afghane ist und ob eine Gefahr durch die Taliban droht. Ein Grund für das Misstrauen: Er legte in Islamabad einen gefälschten afghanischen Pass vor.
Aus einem Einzelfall wird ein System
Henning G., damals als Referent im Auswärtigen Amt für strittige Visafälle zuständig, schrieb im Dezember 2022 eine E-Mail an die Visastelle in Islamabad. An der Identität des Antragstellers bestünden „eigentlich keine Zweifel, falscher Pass hin oder her“, behauptete er. Und machte als Vorgesetzter massiven Druck: Er möchte „trotz des falschen Passes an der Weisung zur Visumerteilung festhalten“. Der Referent hatte zuvor vor dem Verwaltungsgericht Berlin dem gegen die Bundesrepublik klagenden Mohammad G. nachgegeben und der Erteilung eines Visums zugestimmt. Dass dessen Pass gefälscht war, fiel erst danach auf.
Diese interne E-Mail mit der Anweisung, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen, nahm die AfD-Bundestagsfraktion zum Anlass, im Mai 2023 Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen Henning G. zu stellen. Eine weitere Strafanzeige gegen unbekannt ging von einem ehemaligen Mitarbeiter des Innenministeriums ein. Beide Verfahren wurden zusammengelegt, die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehr als einem Jahr. Henning G. wurde versetzt. Er arbeitet an einer Botschaft in Skandinavien, mit Visaverfahren hat er dort nichts mehr zu tun.
Man könnte das Ganze als Einzelfall abtun, als Verfehlung eines unter Druck stehenden Beamten, der mal ein Auge zudrücken und Menschlichkeit über Bürokratie stellen wollte. Doch das wäre falsch. Es ist kein Einzelfall. Es hat System. Neue Cicero-Recherchen zeigen, wie sich im Auswärtigen Amt unter Annalena Baerbock eine „No nations, no borders“-Ideologie durchgesetzt hat, die blind ist für die Gefahren einer allzu naiven Einwanderungspolitik und Sicherheitsexperten verzweifeln lässt.
„Aktionsplan Afghanistan“ verändert das Ministerium
Dass Baerbock sich als Außenministerin für die möglichst unkomplizierte Aufnahme möglichst vieler Verfolgter einsetzen will, machte sie von Anfang an klar. Zwei Wochen nach Amtsantritt, am 23. Dezember 2021, stellte sie ihren „Aktionsplan Afghanistan“ vor. „Wir werden bürokratische Hürden abbauen, um die Aufnahme und die Einreise nach Deutschland für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen zu erleichtern“, kündigte die Grünen-Politikerin an. „Unser Ziel muss der Aufbau nicht einer, sondern mehrerer humanitärer Luftbrücken von Afghanistan nach Deutschland sein.“ Den großen Worten folgten Taten. Und die erstreckten sich bei Weitem nicht nur auf Flüchtlinge aus Afghanistan.
Um das Ausmaß der unter Annalena Baerbock vollzogenen Weichenstellungen zu verstehen, hilft zunächst ein Schritt zurück. Neben der seit 2015 geduldeten illegalen Migration gibt es auch legale Wege nach Deutschland. Einer der wichtigsten ist der Familiennachzug. Migranten, die bereits in der Bundesrepublik aufgenommen wurden, können ihre Ehegatten, Eltern oder Kinder nachholen – in besonderen Härtefällen auch Geschwister oder andere Verwandte. Allein im Jahr 2023 stellte das Auswärtige Amt 130.799 nationale Visa für den Familiennachzug aus.
Die Anträge werden in den Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen entgegengenommen, geprüft und entschieden. Und die sind in einigen Ländern Afrikas und Asiens heillos überlastet. Zum einen, weil dort der Migrationsdruck nach Deutschland besonders hoch ist. Zum anderen, weil in diesen Ländern Pässe und Familiendokumente nicht gerade verlässlich sind. In der Vergangenheit gab es deshalb langwierige Urkundenüberprüfungsverfahren, in Zweifelsfällen auch mit Nachforschungen vor Ort. Die deutschen Visastellen hatten den Anspruch, wirklich zu wissen, wer derjenige ist, dem sie ein Visum ausstellen – und ob er wirklich das Recht hat, per Familiennachzug nach Deutschland zu gelangen.
Einfach nicht mehr genau hinsehen
Diesen Anspruch hat das Auswärtige Amt aufgegeben. Das zeigt eine vertrauliche Weisung an alle Visastellen, „betrifft insbesondere Addis Abeba, Amman, Ankara, Bagdad, Beirut, Damaskus, Doha, Duschanbe, Erbil, Islamabad, Istanbul, Khartum, Nairobi, Neu-Delhi, Taschkent und Teheran“. Sie ist als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft und wurde am 28. März 2022 per E-Mail verschickt. Sie stammt aus dem Visagrundsatzreferat 509 und beginnt so:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die besonders schwierige und volatile Lage in verschiedenen Regionen weltweit bezüglich der Möglichkeiten, Familienzugehörigkeiten und Identitäten nachzuweisen, machen vielerorts eine Optimierung der Prüfschritte bei der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung notwendig.Hierbei sind stellenweise Unsicherheiten und unnötige Verzögerungen eingetreten, die wir mit dieser Weisung gerne ausräumen und zukünftig verhindern möchten. (…)
Der formelhafte Griff zu den bewährten Instrumenten wie der Urkundenüberprüfung ist nicht durchgehend zweckmäßig und muss durchdacht und ergänzt werden.“
Dies klingt ganz nach dem, was Außenministerin Baerbock drei Monate zuvor versprochen hatte: Bürokratische Hürden für die legale Migration nach Deutschland sollen aus dem Weg geräumt werden. Man könnte es aber auch so sehen: Illegale Migration soll legalisiert werden, indem man einfach nicht mehr genau hinsieht.
Denn genau dazu weist das Auswärtige Amt seine Beamten in den Visastellen an, nur etwas umständlicher und wohlklingender formuliert:
„Die Antragstellenden müssen das Vorliegen der Voraussetzungen (zum Beispiel Verwandtschaftsverhältnisse, Anm.) beweisen. Dabei reicht es aus, wenn die Antragstellenden mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen.“
Das Auswärtige Amt bestätigt, dass diese Weisung weiterhin gültig ist, und betont: Die hier zitierte Formulierung stamme aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, an die die Bundesregierung gebunden sei.
Wohin es führt, wenn Zweifeln zu wenig nachgegangen wird, zeigen etliche Fälle von falsch ausgestellten Visa, von denen einige aufgeflogen sind und nun Staatsanwaltschaften beschäftigen. Regierungsintern haben die deutschen Sicherheitsbehörden schon lange vor zu viel Gutgläubigkeit und laxen Kontrollen gewarnt. Doch im Auswärtigen Amt stießen sie auf taube Ohren. Vor allem ganz oben, an der Spitze des Hauses.
Baerbock sah in Sicherheitsbedenken nur lästige Hindernisse
Wenn es um ihr Prestigeprojekt ging, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan, sah Annalena Baerbock in Sicherheitsbedenken nur lästige Hindernisse. Davon zeugt eine interne Vorlage, die Ende 2022 auf dem Dienstweg über zwei Staatssekretäre zur Ministerin gelangte. Es geht darin um praktische Probleme bei der Ausreise von Afghanen und um einen diesbezüglichen Streit mit dem Innenministerium (BMI). „Erschwerend“ komme hinzu, dass das BMI beim Verfahren des Bundesaufnahmeprogramms (BAP) Sicherheitsaspekte betonen wolle, heißt es in der Vorlage für Baerbock. Nach der Zwischenüberschrift „Herausforderungen“ wird es konkreter:
„Interessenskonflikte in Bundesregierung: BMI wünscht bei Ausreisen im Rahmen des BAP – diese werden im kommenden Jahr das Gros aller Ausreisen stellen – Durchführung zusätzlicher Sicherheitsinterviews und vollständiges Visumverfahren im Drittland, analog der für Resettlement üblichen Verfahren. Für BAP-Reisende würde dies zu einer Verengung der derzeitigen Ausreiserouten auf Islamabad führen (…).“
Am Ende dieses Absatzes ist am Rand eine Anmerkung der Ministerin notiert:
„Das sollten wir nicht akzeptieren. Hier hart bleiben ggfs. weiter bis zu Ebene Bundesministerin eskalieren, ggf. öffentlich.“
Das Innenministerium wollte also zusätzliche Sicherheitsinterviews einführen, wogegen sich Annalena Baerbock erfolgreich gewehrt hatte. Bis sich die im Untergrund schwelende Visaaffäre erneut an der Oberfläche der Öffentlichkeit bemerkbar machte.
„Im Namen Allahs – Sharia-Richter für Deutschland?“
Im März 2023 berichtete Cicero über ein Alarmschreiben der deutschen Botschaft in Islamabad. Es war am 22. Februar 2023 als vertrauliche „Diplomatische Korrespondenz“ an die Zentrale des Auswärtigen Amtes geschickt worden. Im Betreff stand: „Im Namen Allahs – Sharia-Richter für Deutschland?“ Gewarnt wurde vor dem systematischen Missbrauch deutscher Aufnahmeprogramme und einer „Unterwanderung unserer Rechtsordnung durch islamistische Kreise“.
Nachdem dieses Schreiben öffentlich wurde, reiste eine Delegation des Auswärtigen Amtes und des Innenministeriums, zu der auch Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz gehörten, zum Krisengespräch nach Islamabad. Kurz darauf stoppte die Bundesregierung die humanitäre Aufnahme von Afghanen, um „optimierte Sicherheitsmaßnahmen zu ergänzen“, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte. „Dazu werden in Zukunft eben auch Sicherheitsinterviews gehören“, sagte er Anfang April 2023 und kündigte damit genau das an, was seine Chefin zuvor vehement bekämpft hatte.
In diesen Sicherheitsinterviews, die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes führen, werden die Antragsteller auf ihr Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geprüft. Die genauen Inhalte sind geheim. Laut ARD-Magazin „Panorama“ geht es auch um Fragen wie: „Dürfte Ihre Tochter in einem Bikini am Schwimmunterricht teilnehmen? Wie fänden Sie es, wenn Ihr Sohn in Deutschland einen Mann heiratet?“
Was in diesen Gesprächen allerdings nicht überprüft wird: Ob die behauptete Identität und die Gefährdungsgeschichte des Antragstellers stimmen. Die Interviewer sind dem Innenministerium unterstellt und haben deshalb keinen Zugriff auf die Daten, die das Auswärtige Amt im Visumverfahren erhoben hat. Die Beamten des Auswärtigen Amtes wiederum, die über das Visum entscheiden müssen, erfahren nur das Ergebnis des Sicherheitsinterviews, aber nicht dessen Inhalte. Widersprüchliche Angaben fallen dadurch nicht auf. Und am Ende entscheidet das Auswärtige Amt. Es kann auch Personen, vor denen der Verfassungsschutz warnt, die Einreise gestatten.
Brisanter Verdacht
Um welche Gefahren es geht, zeigt ein weiteres Warnschreiben der deutschen Botschaft in Islamabad, das bislang noch nicht öffentlich wurde. Es stammt vom 17. Februar 2023, ist also nur wenige Tage älter als der „Sharia-Richter“-Bericht. Als Verfasserin ist bei beiden die damalige Leiterin der Rechts- und Konsularabteilung angegeben, gezeichnet hat sie der Botschafter Alfred Grannas selbst.
In der vertraulichen Korrespondenz zwischen Islamabad und Berlin geht es um die siebenköpfige Familie N., die Aufnahmezusagen der Bundesregierung erhalten hat. Der Vater gab an, als Friseur für die australische Armee in Afghanistan gearbeitet zu haben. Die Mutter und vier Kinder sind im September 2022 nach Deutschland geflogen worden. Ein volljähriger Sohn und der Mann selbst waren zurückgeblieben und wollten nun ebenfalls nach Deutschland.
Als der Sohn in der Visastelle vorsprach, kamen dort starke Zweifel auf, ob er wirklich zur selben Familie gehört. Denn er sprach Farsi mit einem starken Akzent, der nicht zu dem seiner Mutter passte und zudem vermuten ließ, dass er in Pakistan und nicht in Afghanistan aufgewachsen war. Später kam sein Vater, der angeblich von den Taliban verfolgte Friseur, zur Befragung und verstrickte sich dabei in Widersprüche. Zudem habe er einen „sehr gebildeten, fast schon militärischen, und gepflegten Eindruck“ gemacht, berichtete die Botschaft an die Zentrale in Berlin. Und er hatte zahlreiche Dokumente dabei, darunter Schreiben pakistanischer Regierungsstellen, die Misstrauen weckten.
„Hauptperson und Familie könnten absichtlich mit afghanischen Identitäten ausgestattet worden sein“, heißt es in dem internen Warnschreiben. „Es liegt hier der dringende Verdacht nahe, dass es sich bei (der) Familie möglicherweise um einen von pakistanischen Behörden inszenierten Fall handelt“. Und: „... dass die vorgetragene Lebensgeschichte nicht stimmt und Teil einer konstruierten Legende ist.“
Die Bundesregierung hat ihre Aufnahmezusagen für Familie N. inzwischen zurückgenommen. Herr N. und sein Sohn klagen deshalb gegen das Auswärtige Amt und haben ein Abstammungsgutachten vorgelegt. Die fünf restlichen Familienmitglieder leben nach wie vor in Deutschland. Vermutlich in Sachsen-Anhalt.
Initiative Kabul Luftbrücke setzte sich für Familie N. ein
Für die möglichst rasche Aufnahme von Familie N. hatte sich übrigens die Initiative Kabul Luftbrücke eingesetzt. Die von einem Grünen-Politiker mitgegründete Organisation pflegt beste Kontakte zu Annalena Baerbock und war in deren Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan von Anfang an eng eingebunden. Sie zählte zu jenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die als „meldeberechtigte Stellen“ Personen für das Programm vorschlagen durften.
In dem Botschaftsbericht „Wer ist Herr N.? Fragen einer afghanisch-pakistanischen Legende“ steht gleich zu Beginn: „Sachverhalt wird eng von Kabulluftbrücke (KLB) begleitet (u. a. Verfassen der Gefährdungsanzeige)“. Eine Seite weiter gibt es dazu Details: Als die Aufnahmezusage für den volljährigen Sohn wegen massiver Zweifel an dessen Identität zurückgezogen wurde, habe Kabul Luftbrücke eine Beschwerde an das zuständige Referat in der Zentrale des Auswärtigen Amtes geschrieben.
„Bemerkenswert, dass stellenweise wortwörtliche Textpassagen der AV-Stellungnahme übernommen wurden.“ AV steht für Auslandsvertretung. „Wortwörtliche Textpassagen“ ist fett gedruckt und unterstrichen. Das bedeutet: Kabul Luftbrücke muss Einblick in den vertraulichen Schriftwechsel zwischen der Botschaft und der Zentrale des Auswärtigen Amtes in einem laufendem Visumverfahren gehabt haben. Und das bei einem besonders heiklen Fall.
Einfluss migrationsfördernder Netzwerke
Wie eng die Verbindungen zwischen den für Deutschlands Visapolitik zuständigen Topbeamten in Baerbocks Ministerium und migrationsfördernden Netzwerken sind, zeigt noch eine andere Begebenheit. Farsana Soleimankehl-Hanke stammt aus Kabul, hat in Hamburg Jura studiert und vertritt nun als Rechtsanwältin Afghanen, die nach Deutschland wollen. Im November 2022 wandte sie sich deshalb an die Visastelle in Islamabad und bat dringend um einen „Sondertermin“ für zwei afghanische Frauen, deren Begehr es war, per Familiennachzug in die Bundesrepublik zu gelangen.
Soleimankehl-Hanke arbeitet allerdings nicht nur für Mandanten, die im Ernstfall gegen Visumentscheidungen des Auswärtigen Amtes klagen, sondern sie arbeitet auch für das Auswärtige Amt und berät dort diejenigen, die Visumentscheidungen treffen. Im Oktober 2021 gab die promovierte Juristin den Mitarbeitern etlicher Visastellen von Istanbul bis Dubai ein Seminar über „Afghanisches Familien- und Personenstandsrecht“. Welche Vergütung sie dafür erhalten hat und welche weiteren Tätigkeiten sie für das Auswärtige Amt ausgeübt hat, hält das Ministerium geheim.
Aber das ist nicht der einzige Interessenskonflikt. Verheiratet ist die deutsch-afghanische Rechtsanwältin mit Frederik H. Er hat bis mindestens Mitte 2022 als stellvertretender Leiter des Referats 508 für „Ausländer- und Visumrecht, langfristige Aufenthalte, migrationspolitische Grundsatzfragen“ im Auswärtigen Amt gearbeitet und galt dort als wichtiger Strippenzieher. Inzwischen wurde er in das für Afghanistan zuständige Nahost-Referat 310 versetzt.
Recht und Gesetz sind im Auswärtigen Amt dehnbar geworden
Das Auswärtige Amt, so viel steht in der erst bruchstückhaft aufgeklärten Visaaffäre bereits fest, ist unter Annalena Baerbock zu einer Institution geworden, in der der Zweck die Mittel heiligt. Und in der Recht und Gesetz als ziemlich dehnbar gelten. Das zeigen nicht nur die internen Weisungen, sondern auch die offiziellen Reaktionen auf die bisher bekannt gewordenen Ermittlungen.
Anfang des Jahres kam es am Flughafen Hannover zu denkwürdigen Szenen. Dort landete im Januar ein Charterflugzeug, dessen Passagiere allesamt von der Bundesregierung handverlesen waren: Afghanen, denen Deutschland Schutz versprochen hat. Sie hatten das gesamte Aufnahme- und Visumverfahren erfolgreich durchlaufen, samt Sicherheitsinterview durch den Verfassungsschutz.
Doch bei der Passkontrolle nach der Landung in Deutschland stellten Beamte der Bundespolizei fest, dass mehrere Passagiere ungültige Papiere hatten. Es handelte sich um sogenannte Proxypässe, die ausgestellt werden, ohne dass der Passinhaber bei der Passbehörde erscheint. Das macht sie manipulationsanfällig. Deutschland akzeptiert keine afghanischen Proxypässe. Sie hätten niemals mit einem deutschen Visum versehen werden dürfen. Doch genau dies ist geschehen. Der Bundespolizei blieb nichts anderes übrig, als Strafanzeige zu erstatten. Nun ermitteln die Staatsanwaltschaften Berlin und Cottbus gegen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes.
Weshalb haben die Entscheider die ungültigen Pässe akzeptiert?
Bei einer Pressekonferenz am 28. Juni versuchte Baerbocks Sprecher, den Vorfall herunterzuspielen. Es gehe um „weniger als zwei Dutzend Fälle“. Neben dem Flug nach Hannover im Januar sei noch ein weiterer Charterflug betroffen gewesen. Der Pressesprecher tat so, als handle es sich bei den falsch ausgestellten Visa um einen reinen Formfehler, eine Ungenauigkeit ohne Folgen. „Das gesamte Verfahren ist durchlaufen worden, und auf dieser Grundlage ist diesen Personen die Einreise nach Deutschland gestattet worden. Das Einzige, was aufgetaucht ist, ist, dass das Visum nicht in das dafür vorgesehene Dokument geklebt wurde“, spielte er die Sache herunter. Proxypässe seien in einem Visumverfahren „nicht ganz einfach“ zu erkennen.
Was er nicht sagte: Die ungültigen Pässe wurden im Visumverfahren erkannt. Und zwar von den Spezialisten der Bundespolizei, die genau dafür an deutsche Auslandsvertretungen entsandt werden. Es sind gewissermaßen vorverlagerte Grenzkontrollen, mit denen die dem Bundesinnenministerium unterstellte Polizeibehörde Passfälschern, Schleppern und Schleusern das Handwerk legen will. Ihre „Dokumenten- und Visumberater (DVB) treten der illegalen Einreise nach Deutschland (…) bereits in Drittstaaten entgegen“, erklärt die Bundespolizei stolz im jüngsten Jahresbericht. Sie „bilden einen wichtigen Teil der Vorverlagerungsstrategie zur Bekämpfung illegaler Migration“. Im Jahr 2022 hätten sie an 29 Standorten in 24 Ländern insgesamt 19 612 unerlaubte Einreisen verhindert. Neuere Zahlen hat die Grenzschutzbehörde noch nicht veröffentlicht. Vermutlich sind sie weiter gestiegen.
Das große Rätsel ist: Weshalb und auf wessen Weisung hin haben die Visaentscheider die ungültigen Pässe akzeptiert? Dokumenten- und Visaberater der Bundespolizei hatten rechtzeitig davor gewarnt. Warum hat sich das Auswärtige Amt darüber hinweggesetzt?
Fragen, die nun Strafermittler klären müssen. Und das könnte erst der Anfang sein. Denn, wie Welt am Sonntag unter Berufung auf „Sicherheitskreise“ berichtete, werden derzeit Tausende Visaentscheidungen „kriminalpolizeilich überprüft“. Zwischenergebnisse würden laufend den Staatsanwaltschaften mitgeteilt.
Richtigstellung
Am 25. Juli 2024 hatten wir in der Ursprungsversion dieses Artikels das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Herrn N. und seinem Sohn als „angeblich“ bezeichnet und in Zweifel gezogen. Wir bitten dies zu entschuldigen und stellen hiermit richtig, dass bereits am 3. März 2023 vom UKG Universitätsklinikum Halle (Saale), Abteilung Rechtsmedizin, ein medizinisch-genetisches Abstammungsgutachten zum Ergebnis gekommen ist, dass die beiden Personen mit 99,9999% Sicherheit Vater und Sohn sind.
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Ihre Headline kenne ich auch anders. " Legal, Illegal und Sch....egal." Das können Sie natürlich so nicht titeln, verstehe ich völlig. Vom sprachlichen Niveau aber würde es die Politik dieser Frau, ja der gesamten Regierung, meiner Meinung spiegeln. Danke für ihre ständigen Bemühungen uns Leser durch zusammenfassende Erkenntnisinhalte auf dem Laufenden zu halten. Ich gestehe, nicht immer bin ich in Folge so vieler "neuer" Erkenntnisse und Analysen auf Ball Höhe. Und was soll man noch zu Frau Baerbock sagen? Selten jemand erlebt, der sich öffentlich so lächerlich macht, Ärger und Zorn vieler Bürger und sogar der Politiker, deren Land sie besucht erzeugt. Man muss gar nicht mehr auf sie draufhauen. Sie schlägt sich längst selber. Auch Ihnen ein friedvolles und geruhsames Fest.
Wie einseitig ÖRR und die sogenannten Mainstream-Printmedien (Spiegel,Zeit, Süddeutsche Zeitung) berichten, wird einem bei solchen Themen immer erst so richtig bewusst.
Der mit brachialem Tamtam am meisten verbreitete Aufreger dieses Jahres war wohl die sogenannte "Wannsee-Konferenz" mit anschließenden Demos gegen "Räächts" in Dauerschleife. Dass am Ende eigentlich gar nichts dran war an den Vorwürfen - geschenkt, Hauptsache, die Haltungsnote stimmte!
Die belegbaren Tricksereien von Habeck und Baerbock hingegen wurden mit keiner Silbe erwähnt - und wenn doch, dann als klitzekleine Randnotiz. Soviel zur "Ausgewogenheit"....
Cicero ist neben der NZZ einer der wenigen verbliebenen journalistischen Leuchttürme für kritische konservative Leser. Danke dafür!